HIGH END 2024 – Analog. Analog? Analog!
In der Nische herrscht Bewegung: Die LP überholt gerade die CD. Sagen Fachverbände, die es wissen müssen. Die HIGH END 2024, sie schreibt das analoge Revival fest und fort. Mit Innovationen bei Soft- und Hardware, sprich bei Plattenspielern ebenso wie bei jenen Scheiben, die nicht mehr schwarz sein müssen, um überragend gut zu klingen. Und darüber hinaus auch noch die gestiegenen Ansprüche an Nachhaltigkeit und umweltfreundliche Produktion befriedigen.
Nennen wir das Kind beim Namen: So richtig umweltfreundlich war die Produktion von Tonträgern eigentlich nie. Nicht die von Schellackplatten, noch weniger jene von Vinyl und seinen Derivaten und schon gar nicht jene von Carbon, auch CD beziehungsweise SACD oder Blu-ray genannt. Hier hat inzwischen ein Paradigmenwandel eingesetzt, der auf der Eröffnungskonferenz der 2024er HIGH END im Münchner MOC mit Zahlen und Fakten unterlegt und hinterleuchtet wurde.
So bewirbt beispielsweise die Sonopress GmbH, die als dezidierter Mediendienstleister nicht nur zu den weltweiten Marktführern in der CD-Herstellung zählt, sondern auch über mehrere Schallplatten-Presswerke verfügt, nun „Green Vinyl“. Weniger Schadstoffe in der Materialmischung des analogen Tonträgers, weniger Schadstoff-Aufkommen bei dessen Produktion lautet das nur vordergründig simple Rezept. Zudem soll die „grüne“ Herstellung der (meist immer noch schwarzen) LP beziehungsweise Single nicht auf Kosten des Klanges gehen, sondern als willkommenen Nebeneffekt Platten mit geringerem Rauschen und weniger Knistern und Knacken gerieren.
Die Testsamples, die bei der HIGH END 2024 an die Vertreterinnen und Vertreter der internationalen Fachpresse verteilt wurden, sind tatsächlich fast frei von Oberflächengeräuschen und offenbar auch von gerade bei farbigem Vinyl häufig vorkommenden Pressfehlern. Dass diese Technologie im Geheimen längst bei der Kundschaft angekommen ist, belegen Edel-Analog-Editionen wie „The Original Source“ der Deutschen Grammophon, die bereits 2023 auf den Markt kamen und eine dem Master(ton)band ähnliche, weitgehende, wenn auch nicht vollständige Abwesenheit von Störgeräuschen aufweisen.
Mithin die geeignete „Software“, um das Klangpotenzial von Plattenabspielgeräten auszuloten, die 2024 stärker denn je auf den Punkt optimiert über den Tresen wandern. Wer den Klangvorteil der LP vor der CD ins Reich der Fabel verbannte, wer Limitierungen von digitalen und analogen Medien rechnerisch gegeneinander aufwog, könnte sich über die ersten Hörerlebnisse mit der „neuen“ LP ziemlich wundern, weil positive Irritationen dominieren.
Bei den Abspielgeräten, die man längst an den Grenzen des Machbaren wähnte, haben neue Materialbearbeitungsverfahren und dadurch optimierte Toleranzen sowie ein erweitertes Wissen über das Wesen von Störfrequenzen und Resonanzen noch einmal für einen Sprung nach vorne gesorgt. Und uns die Erkenntnis verschafft, dass wir aus sehr guten analogen Aufnahmen noch längst nicht alles herausgekitzelt haben, was sich in den Tonrillen verbirgt.
Dennoch hielten sich die Innovationen auf Geräteseite in diesem Jahr vergleichsweise in Grenzen, wenngleich auf der HIGH END 2024 eine Plattenspieler-Tonarm-Kombination gezeigt wurde, die mit hohem technischem Aufwand und sehr viel Entwicklungs-Gehirnschmalz unausrottbar geglaubte Analogschwächen endgültig in die Geschichtsbücher der hochwertigen Musikwiedergabe verbannen könnte. Dem Polruckeln sagt diese Zaubermaschine ebenso den Kampf an wie dem Spurfehlwinkel, der dank elektromagnetischer Tonarmlagerung und -führung kein Thema mehr sein soll. Bei Gelegenheit mehr, wenn ein Testgerät greifbar ist.
Dem weiterhin vorhandenen Willen der Branche, jüngere Hörerschichten in größeren Zahlen zu akquirieren, tragen diverse Einstiegsofferten Rechnung, die das High End aus der Nische holen sollen. Vinyl ist cool, Vinyl ist hip, Vinyl ist sexy, deshalb sollten die dafür notwendigen Abspielgeräte bezahlbar und dennoch optisch wie akustisch lecker sein, um der Generation Z zu gefallen. Bei Pro-Ject etwa ist Weinrot das neue Schwarz, werden die Zargen des neuen Einsteiger-Plattenspielers Evo 2, der spielfertig mit Tonarm und Tonabnehmer für deutlich unter 1000 Euro zu haben ist, unter anderem in dieser wohnraumfreundlichen Farbe ausgeliefert. Halt passend zu den skandinavischen Versandhaus-Tonmöbeln, auf denen die preiswerten Spieler in den heimischen vier Wänden gerne platziert werden. Deutlich aufwendigere und kostspieligere Tonmöbel, wie sie etwa Quadraspire baut, sind der Phase nach den Einsteigerjahren vorbehalten.
Die Statistik spricht ebenfalls ganz klar für Vinyl. Laut Thomas Neuroth von der (2020 kurz vor Corona gegründeten) Non-Profit-Organisation Vinyl Alliance, die rasch von acht auf heute 45 Mitglieder wuchs und in der sich unter anderem Plattenproduzenten, Presswerke und der Online-Marktplatz Discogs zusammengeschlossen haben, hält bei der totgesagten Schallplatte „seit 17 Jahren das kontinuierliche Wachstum“ an. Soll heißen, dass die Nische wieder größer wird und dass die LP längst die CD in Sachen Verkäufe überholt hat. Der 68-jährige Branchenveteran Neuroth verschweigt freilich auch nicht, dass nichtphysische Medien längst an der Spitze stehen, wenn es um den täglichen Musikkonsum geht. Gestreamt wird gerne über mobile Geräte wie Mobiltelefone mit Zusatzfunktionen. Der klassische Stereoturm ist zumindest beim Musikgenießer-Nachwuchs so gut wie tot, wenngleich auf der HIGH END vor allem in den Hörräumen der Atrien eine beachtliche Anzahl konventioneller Komponentensysteme zu sehen war. In Studenten-WGs dürften solche Boliden gleichwohl eher selten auftauchen, was auch eine Platzfrage sein dürfte.
Dennoch oder gerade deshalb boomt der Plattenspieler bei der jüngeren Generation. Folgerichtig haben viele Hersteller diejenigen als Kundschaft ausgemacht, die gerade zwischen 20 und 40 sind und ein Faible für Musik in Verbindung mit hochwertiger Wiedergabe entwickeln. Nachdem Themengeräte schon seit einer Weile angesagt sind, erinnert sei an die Metallica- und Pink-Floyd-Editionen preiswerter Plattenspieler, kommt von Clearaudio aus Erlangen nun eine beeindruckende Ergänzung: Der innovative mittelfränkische Mittelständler stellte zur HIGH END die Al di Meola Signature Edition vor: Die Plattenspielerzarge in Schwarz oder Hellbraun kommt in Form eines Gitarrenkorpus daher, das Bedienfeld trägt stolz die Unterschrift des 2023er HIGH-END-Schirmherren und (Jazz-)Gitarrengottes Al di Meola. Bei Clearaudio haben sie es geschafft, dass diese streng limitierte Tribute-Edition weder billig aussieht noch billig klingt, sondern sich ganz klar an den Oberklasseprodukten ihrer Innovation-Modelle orientiert: eine elaborierte Sandwichkonstruktion aus Panzerholz, in polierte Metallleisten gefasst und überaus hochwertig wirkend. Auf diesen Plattenspielertest freuen wir uns schon.
Mit dem Unity hat die Erlanger Manufaktur zudem eine Tonarmneuheit im Messegepäck, die dem sowieso reichhaltigen Tonarmportfolio eine spannende Alternative hinzufügt. Kohlefaser-Leichtbau und clevere Aufhängungslösungen tragen die Handschrift von Chefentwickler Stefan Kmuch. Dem immer wichtiger werdenden Erdungsthema widmet man sich mit einem Metallzylinder namens „Terra“, der das nervende Potenzialbrummen auch aus „schwierigen“ Ketten schnell vertreiben soll. Zubehör, nicht zum Schnäppchenpreis zu haben, aber fraglos sinnvoll. Eine besonders spannende Neuheit bei den Erlangern ist die neueste Version der Double-Matrix-Plattenwaschmaschinen, dank Verzicht auf Automatikfunktionen mit deutlich weniger Stellfläche auskommend und auch sehr viel leiser auftretend als die bisherigen Modelle. „Die große Double Matrix braucht ihren eigenen Aufstellungsort, die kleine kann man auch in der Raumecke verstauen und nur zum Waschen hervorholen“, sagt Stefan Kmuch.
Ein kleines Jubiläum feiert der Schwarzwälder Plattenspieler-Guru Christian Feickert. Der promovierte Analog-Schrittmacher zeigte auf seinem kleinen Messestand stolz den Volare 25, den die FIDELITY-Redaktion voraussichtlich nicht zum Testen bekommen wird, weil er zur Messe bereits so gut wie ausverkauft war, denn „der Doc“ hat ihn nur in Miniauflage auf die resonanzoptimierten Füße gestellt.
Kein neuer Phonoverstärker am Stand nebenan bei Norbert Lehmann, dafür cleveres-Zubehör zur gezielten Hemmschwellensenkung. Lehmann drückt mir mit feinem Lächeln kleine Ringe aus Kunststoff-Schwerfolie mit Korkunterlage in die Hand. Sozusagen eine extreme Light-Version der bekannten 3S-Gerätefüße ohne „String Suspension System“ und ohne Schraubvorrichtung, dafür zum Kampfpreis von 30 Euro für vier Stück. „Man hört unmittelbar eine Verbesserung“, verspricht Norbert Lehmann, der mit den Ringen, die man einfach unter die vorhandenen Gerätefüße legt, bewusst die HiFi-Neulinge und die High-End-Anfänger für die Idee begeistern will, aus vorhandenen Geräten besseren Klang herauszukitzeln.
Gewiss kein Neuling ist Produzentenlegende Leslie Mandoki, der einen weiten Weg zurückgelegt hat, seitdem er als quirliger Frontmann der deutschen Schlagerband Dschingis Khan nicht nur auf der Bühne der ZDF-Hitparade umherhüpfte. Die Besetzung seines seit Jahren erfolgreichen Soulmates-Projekts liest sich, wechselnd von Album zu Album, wie ein Who’s who der internationalen Classic-Rock-Szene. Auf der HIGH END hatte er den einstigen Supertramp-Saxofonisten John Helliwell und den singenden Hammond-Organisten Tony Carey dabei.
Bei der pünktlich zum Start der HIGH END auf den Markt gekommenen Soulmates-Scheibe A Memory Of Our Future, die Mandoki als diesjähriges „Gesicht“ der HIGH END gleich in mehreren Pressekonferenzen und Sonderveranstaltungen präsentierte, prangt auf der Rückseite ein unübersehbares AAA-Logo.
Was dafür steht, dass diese Doppel-LP auf 180-Gramm-Vinyl (genau: das umweltfreundliche und störungsarme) von der Aufnahme über die Abmischung bis zur Pressung auf rein analogem Weg entstanden ist. Nicht einmal die Segnungen der vordigitalen Ära zur Feinkorrektur des Frequenzgangs hat Mandoki nach eigenem Bekunden in Anspruch genommen. „Der beste Kompressor ist das analoge Tonband“, meint Mandoki augenzwinkernd. Allerdings hat er sich vom Immersive-Audio-Protagonisten Steven Wilson inzwischen überreden lassen, von A Memory Of Our Future auch eine Mehrkanal-Version abzumischen, was bei analogen Basistapes „nicht ganz einfach“ sei. Dennoch bleibt er im Grundsatz ein beinharter Analog-Verfechter, „weil Analog klanglich einfach überlegen ist“, wie er lapidar bemerkt.
Auf den Plattenteller eines Bellini der Traditionsschmiede Transrotor wird das Soulmates-Album garantiert auch wandern. Laut Transrotor-Senior Jochen Räke gab es dieses Modell in dieser Ausführung schon einmal, es verschwand aber aufgrund von Lieferschwierigkeiten bei den aus dem Vollen gefrästen Schieferzargen wieder in der Versenkung. Nun kann man den Bellini in zwei farblich und von der Oberflächenbeschaffenheit her sehr unterschiedlichen Versionen wieder kaufen. „Da ist kein Exemplar wie das andere“, kommentiert Räke die Verwendung des ebenso optisch reizvollen wie akustisch vorteilhaften Naturwerkstoffs.
Dass Totgesagte länger leben, fällt spätestens dann auf, wenn man die handgefertigten Tonabnehmer-Preziosen von Nagaoka betrachtet. Die japanische Manufaktur gibt es seit gefühlten Ewigkeiten, sie produziert bis heute Systeme, die bestimmt nicht billig, angesichts des Klangniveaus aber definitiv ihren Preis wert sind.
Dass viele Vorführanlagen auf den Plattenspieler als Primärquelle setzen, ist beileibe kein neues Phänomen mehr. Inzwischen hat die Szene aber auch die analoge Bandmaschine wiederentdeckt, deren sich majestätisch drehende Spulen 2024 gerne auch in matten Kontrastlacken wie leuchtendem Orange daherkommen. Zu bestaunen unter anderem im „Newcomer“-Areal der Messe. Auch das Innenleben solcher Maschinen ist streckenweise neu und kein direktes Derivat der Platzhirsche von Nagra oder Revox mehr. Da bahnt sich etwas Spannendes an.
Wo die reine Analoglehre dagegen kaum noch eine Rolle spielt, ist auf dem weiten Feld der Verstärkerelektronik. Dass man einem analogen Röhren- oder Transistorgerät einen Digital-Analog-Wandler (DAC) einpflanzt, um auch Digitalmaschinen zum Tönen zu bringen, gehört längst zum guten Ton; inzwischen gibt es sogar Streamer mit Röhren-Ausgangsstufen, bei denen über Sinn und Unsinn trefflich gestritten werden darf.
Am Ende, so viel Ehrlichkeit muss sein, war es dann ein Digitalgerät, dessen Qualitäten nicht nur in die Ohren, sondern zu Herzen gehen. Weil hier eine gefühlt unendliche Geschichte in ein Happy End mündet: Vor 20 Jahren haben die audiophilen Feingeister von Audia Flight erstmals einen SACD-Player vorgestellt. Das erste Messesample war eine leere Blechkiste, über die Jahre wurde das Projekt zwar nicht fertig, aber immer teurer. 2024 stand er nun endlich spielfähig auf dem Messestand, man munkelt von rund 20 000 Euro UVP. Was diese supersolide Maschine mit ihrem ins Design integrierten Grinsegesicht in einer Analog-Übersicht verloren hat? Die Antwort ist simpel: Der Audia Flight SACD ist der LP näher, viel näher als jeder andere Digitalplayer, der mir je vor die Ohren kam. Den Sachzwängen des Jahres 2024 geschuldet verbirgt er unter seinem soliden Aludeckel auch einen kompletten Streamingzweig. Physische wie nichtphysische Quellen bringt er mit so viel unangestrengter Selbstverständlichkeit über die Rampe, dass die Frage nach dem Wiedergabeprinzip sich nicht mehr stellt. Nur die Musik zählt. So soll es auch sein.