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Arndt-Helge Grap Interview

Arndt-Helge Grap im FIDELITY-Interview

Der Mann im Hintergrund

Arndt-Helge Grap im FIDELITY-Interview

Arndt-Helge Grap ist der König der Funktionsmusik: Mit seiner Firma Radiopark beschallt er mit maßgeschneiderten Playlists weltweit Hotels, Kreuzfahrtschiffe und Designer-Geschäfte. Im Interview mit FIDELITY erklärt Grap, wie man mit den Rolling Stones Prada-Taschen und Porsche-Autos verkauft. Und warum Carlos Santana in keiner seiner Playlists vorkommt.

Arndt-Helge Grap Interview
Fotografie: Matthias Haslauer, Nicolas Döring

FIDELITY: Herr Grap, ich fürchte, es wird jetzt erst einmal etwas konfrontativ. Sie werden als „Meister der Hintergrundmusik“ nicht viele Freunde haben unter der Leserschaft von FIDELITY.

Arndt-Helge Grap: Sie meinen wegen der Qualität der Musik, wegen des Klangerlebnisses? Weil unsere Musik in einem Restaurant oder auf einem Schiff nicht immer auf FIDELITY-konformen High-End-Anlagen abgespielt wird?

Nein, ich dachte eher an Ihren Umgang mit Musik. Bei unseren Leserinnen und Lesern dreht sich vieles darum, Musik authentisch und vor allem bewusst zu hören. Da sind Sie mit Ihrem Geschäft der Hintergrundbeschallung so etwas wie der Antichrist …

Wenn jemand meint, die einzig wahre Art und Weise Musik zu hören sei in einem kahlen Zimmer mit einer sündhaft teuren Audioanlage, dann liegt der- oder diejenige nun wirklich falsch. Musik dürfen alle hören, und zwar wie und wo sie wollen. Selbst wenn ein Stones-Song in einem Ladengeschäft in mono über einen miserablen Lautsprecher abgespielt wird, das darf sein! Und wissen Sie, warum?

Na?

Weil die Stones auch schon in den sechziger Jahren über miserable Lautsprecher liefen. Viele haben die Lieder mit irgendwelchen quäkenden Kofferradios gehört. In der Küche, im Auto. Oder am Baggersee, das kenne ich selbst noch. Ich bin Baujahr 63. Ich habe Musik jahrelang über billige Geräte gehört. Hat mir nicht geschadet. Und der Musik auch nicht.

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Aber ein Stones-Song hört sich auf einer guten Anlage besser an.

Ja, klar! Aber Künstler machen Musik in der Regel nicht, damit sie jemand halb entrückt in einem schalltechnisch optimal ausgepegelten Zimmer auf Luxus-Equipment hört und jede Nuance der Aufnahme goutiert. Warum wird Musik gemacht? Um dazu zu tanzen, zu essen, Spaß zu haben, zu trauern. Musik ist Wellen gewordene Emotion. Wenn ich mit einer Frau im Bett liege, darf ich dann keine Musik hören? Weil meine Aufmerksamkeit nicht ungeteilt der Musik gilt?

Sie verkaufen aber keine Playlists für erotische Abenteuer oder den Nachmittag am Baggersee, dafür gibt’s Spotify. Sie setzen Musik ein, um Umsätze zu steigern oder ein Markenimage zu stärken.

Unsere Playlists sind auch am Baggersee besser als die aus Schweden (lacht). Ich habe dazu viel für die Qualität dieser, wie Sie es sagen, Hintergrundbeschallung getan. Bevor ich vor 20 Jahren damit anfing, lief im Hintergrund von Restaurants, von Hotellobbys und von Kaufhäusern nur süß-säuselige Instrumentalmusik. Funktionelle Musik, die erstens nicht stören, zweitens bloß nicht zu laut und drittens nicht auffallen durfte.

Die berüchtigte Fahrstuhlmusik.

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Ganz genau. Heard but not listened, wie es hieß. Da gab es die amerikanische Firma Muzak, die sich darauf spezialisiert hatte: Gesang raus, Soli raus, keine Bässe, keine Höhen, nur die weiche Melodie, womöglich von einem Saxofon gespielt. Man nennt diese Art Musik auch „Muzak“, nach der Firma. Ich habe damals gedacht: Wir haben 40, 50 Jahre Pop- und Rockhistorie im Rücken. Über Musik definieren sich ganze Generationen. Musik ist das wichtigste Kulturgut, ein sozialisierendes Element. Und in der Lobby eines First-Class-Hotels liefen diese nölenden Saxofone? Musik in Beige und Hellgrau? Nein! Wir spielen coole Musik, relevante Musik, auch abseits vom Mainstream. Bei uns sitzen echte Musikredakteure. Da findet auch ein völlig unbekannter Soulsänger aus den Südstaaten seinen Platz.

Für den Einsatz als Verkaufsassistent in einer Hotellobby in Dubai oder einer Porsche-Niederlassung in Stuttgart …

Ich sorge dafür, dass Menschen, die sich einen Porsche beim Händler anschauen, das nicht zu austauschbarer Drei-Akkorde-Popmusik machen müssen. Wir haben gerade für eine neue Niederlassung eine Playlist erstellt, da spielen wir ganz abgefahrene Jazz-Sachen. Stücke, die laufen nie im Radio, vermutlich nicht mal im Kulturradio. Das ist doch toll.

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Aber missbrauchen Sie die Musik nicht?

Die Stones hatten schon eine Kooperation mit Volkswagen. Ich erinnere mich an eine Sonderedition des Golfs, die „Rolling Stones Collection“. Bei Phil Collins und Genesis genauso. Von Songs, die für Werbespots eingesetzt werden, will ich gar nicht erst anfangen. Und das haben die Jungs selbst entschieden.

Ok, der Punkt geht an Sie. Aber wirklich besser machen solche Beispiele diesen Umgang mit Musik nicht.

Eins stimmt: Was da immer wieder an Marketing-Kooperationen im wahrsten Sinne über die Bühne geht, ist schon krass. Es gibt heute keine große Tournee, in die nicht zig Markensponsoren eingebunden sind. Die Nähe von Musik zu Konsumgüterartikeln ist seit den achtziger, neunziger Jahren einfach da. Und man könnte sich sicher darüber unterhalten, was die Rock’n’Roll-Rebellen Mick Jagger und Keith Richards mit dem VW Golf verbindet …

Ein Künstler hat mal gesagt, ich weiß nicht mehr wer’s war: Er schreibe einen Song, und dann sei er da draußen. Man müsse ihn loslassen können, so wie Eltern ihre Kinder.

Ein kluger Gedanke! Man hat keinen Einfluss mehr darauf, was mit dem Song im weiteren Leben passiert. Er ist dann allgemeines Kulturgut. Ein Prinzip, das übrigens schon seit Jahrhunderten gilt.

Ach?

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Geh’ mal 800 Jahre zurück zur sakralen Musik. Das war auch funktionelle Musik, die einen ganz klaren Zweck erfüllen sollte: Die Leute in die Kirche zu locken. Warum startet der Bach-Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“ aus der Matthäus-Passion mit einem verminderten Akkord, der maximal denkbaren Dissonanz also? Um Aufmerksamkeit zu generieren, um die Leute zu fesseln. Im Prinzip ging es bei Kirchenmusik nur darum, die Verweildauer im Gotteshaus zu erhöhen. Die Musik hat Faszination und Wärme in diese Räume gebracht. Joseph Haydn hat als Kapellmeister am Hofe des Fürsten Esterházy primär funktionelle Musik komponiert – zum Essen, für Empfänge und Feste. Wollen wir die Qualität seiner Kompositionen oder seine Genialität deshalb abqualifizieren? Ganz sicher nicht.

Die Musik hat eine Macht und Kraft, die über den einfachen Genuss hinausgeht.

Genau deswegen habe ich früher Musik studiert. Weil das etwas ist, von dem man nicht wegkommt. Akkordfolgen, bestimmte Intervalle erzeugen Emotionen. Der Mensch ist ein hörendes Wesen. Die Ohren schlafen nie. Die Augen schon. Selbst Schamanen setzen auf die Macht der Musik. Magische Gesänge und Getrommel? Locken die Leute ans Feuer und stärken letztlich die Marke des Schamanen. Simpler Trick.

Würden Sie sich eher als DJ, Innenarchitekt oder Schamanen sehen?

Innenarchitekt. Ich gestalte Räume. Es hat was mit Farben zu tun, mit akustischen Farben. Zu welcher Zeit des Tages, in welcher Atmosphäre, für welches Publikum und für welche Marke soll die Musik laufen? Für eine Nachmittagsstunde auf dem Sonnendeck eines Kreuzfahrtschiffes benötige ich gelbe Musik, etwas Loungiges. Für die Bar zu später Stunde blaue Musik, coolen Jazz. Oder eine Playlist mit tiefweinroten Balladen, je nach Bar. Es ist eine hochkomplexe Aufgabe, die jeweils passende Musik zusammenzustellen. Ok, ein bisschen nutzen wir denselben Trick wie der Schamane (lacht).

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Wie gestalten Sie Räume mit Musik?

Wir nutzen die Musik, um einem Raum eine vernünftige akustische Atmosphäre zu verschaffen. Wohlbefinden zu erzeugen. Für ein Restaurant bekommen wir zum Beispiel Fotos von der Inneneinrichtung, einen Einblick ins Menü. Alles muss passen. Rockmusik zu mediterran inspiriertem Essen passt nicht. Aber Ramazzotti eben auch nicht. Im Fitnessstudio sind energetische Beats gefragt, aber eben nicht zu jeder Tageszeit. Und nicht für jedes Studio. Auf einem Kreuzfahrtschiff wird’s richtig komplex. Da sind vielleicht 5000 Gäste an Bord, plus 1000 Mitarbeitende von der Besatzung. Da müssen wir mitunter 25 verschiedene Musikkanäle mit individuellen Playlists versorgen.

Bestimmte Musik eignet sich nicht für den Hintergrund. Santana sei ein No-Go, haben Sie mal gesagt. Tina Turner auch …

Richtig. Und das sage ich als ausgebildeter Gitarrist. So wie Tina singt, mit dieser großartigen Röhre, das kann man einfach nicht in den Hintergrund drängen. Oder wenn Anne-Sophie Mutter das Presto aus dem Sommer von Vivaldis Vier Jahreszeiten spielt: Das ist ein musikalischer Hurricane. Nichts für nebenbei. Und Santana: Der ist nun mal ein sehr virtuoser Gitarrist. Im Studium sagten wir immer, der gniedelt ganz schön. Das geht nicht, wenn’s im Hintergrund läuft. Da muss man zuhören.

Es gibt also Musik, die auf keinen Fall verkaufsfördernd wirkt …

Natürlich. Motörhead werden wir sicher in keinem Joop!-Geschäft oder Hyatt-Hotel spielen. Denn es macht überhaupt keinen Sinn, Motörhead leise zu spielen.

Aber in einem Fitnessstudio wiederum könnte „Ace Of Spades“ vielleicht animieren …

(Lacht) Sehen Sie, jetzt haben Sie’s heraus.

Arndt-Helge Grap Interview

Biografie

Arndt-Helge Grap, 59, hat Musik studiert, Hauptfach Gitarre. Das Ziel seinerzeit: Musiklehrer werden. Doch beim ersten Anblick eines Lehrerzimmers orientierte er sich um, wurde in den achtziger Jahren Radiomoderator. Dann kam das Formatradio, Grap schwenkte erneut um: Er gründete seine Firma Radiopark, mit der er Klangkulissen für Unternehmen schafft. Damit ist er globaler Marktführer. Seine von rund 30 Mitarbeitenden an Standorten in Hamburg, Berlin oder Dubai erstellten Playlists beschallen Hotels, Kreuzfahrtschiffe oder Restaurants, abgestimmt auf Zielgruppe, Tageszeit und Location, um die Verweildauer von Gästen zu erhöhen und Umsätze zu steigern. Zu seinen Kunden zählen die Reederei Cunard, die Kempinski-Hotels und Marken wie Porsche oder Joop!. Grap ist passionierter Gitarrist, Vater von zwei Kindern und lebt am Rand von Hamburg.


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www.radiopark.de

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