Queen – Queen II
Diese Band wusste, wo sie hinwollte.
Bei ihrem Debütalbum hatte sie noch etliche Stücke gezielt weggelassen, weil sie nicht bereit war, Kompromisse zu machen. Jetzt, beim zweiten Album, bekamen Queen aber beste und unbegrenzte Studiozeiten. Jetzt hatten sie die Möglichkeit, ihre Musik so aufzunehmen, wie sie ihnen vorschwebte: mit extensiv vielen Overdubs für die E-Gitarren-Chöre, für die opernhaften Vokalharmonien, die komplexen Begleitriffs, die Soundscapes und die Hintergrundgeräusche. „Was wir anders als andere machen, ist dieser geschichtete Sound“, sagte Brian May. „Wir versuchten, die Studiotechnik für Rockbands an eine neue Grenze zu bringen – das erfüllte alle unsere Träume, weil wir dafür auf dem ersten Album nicht viel Gelegenheit hatten.“ Queen II war, so meinte May später, der größte Schritt vorwärts, den die Band in ihrer Geschichte je gemacht hat. Dabei war die Hälfte der Songs schon ein paar Jahre alt.
Als die Studioaufnahmen begannen, ist das erste Album gerade erst erschienen. Die Musiker produzierten also zwischendurch Promo-Videos für die alten Songs und gaben Interviews. Dabei erwähnten sie auch, die zweite Platte werde das Thema „Gut vs. Böse“ behandeln. Davon blieb immerhin eine grobe Konzeptidee übrig: Der „weißen“ Seite A (mit „The White Queen“) steht eine „schwarze“ Seite B (mit „The March Of The Black Queen“) gegenüber. Alle Stücke von Brian May sind auf der A-Seite, alle von Freddie Mercury auf der B-Seite. Man machte dementsprechend auch Coverfotos der Band in Weiß und in Schwarz. Das weiße Foto geriet etwas plüschig und verschwand im Innern des Albums. Das schwarze Foto zeigte die Musiker eindrucksvoller, kam aufs Frontcover und sollte Rockgeschichte schreiben. „Sie sahen auf dem Bild nach viel mehr aus, als sie damals waren“, meinte der Fotograf. Sie wussten einfach schon, wo sie hinwollten.
Auf Queen II ist musikalisch alles vorhanden, was diese Band groß machen sollte. Vielleicht fehlte noch etwas die Balance, die richtige Dynamik, der Mut zu Pathos und Pause. Aber die künstlerischen Mittel sind da: die theatralische, überbordende Haltung, die Breaks, Stops, Brüche und Einschübe, die wechselnden Stilistiken und die wuchtigen Gitarren- und Stimmenchöre. Einige der Stücke klingen wie Blaupausen fürs spätere Erfolgsalbum A Night At The Opera. Die Fachmagazine allerdings waren 1974 noch nicht so weit. Der Record Mirror zum Beispiel nannte Queen II den „Bodensatz des Glam Rock, schwach und überproduziert“. Viel später schrieb dagegen so mancher, Queen II sei zwar nicht das populärste Album der Band – aber ihr bestes.
Aufnahme: August 1973 bis Februar 1974
Veröffentlichung: März 1974
Label: EMI
Produktion: Queen + Roy Thomas Baker, Robin Geoffrey Cable
Titel
- Procession 1:12
- Father To Son 6:14
- White Queen (As It Began) 4:34
- Some Day One Day 4:23
- The Loser In The End 4:02
- Ogre Battle 4:10
- The Fairy Feller’s Master-Stroke 2:40
- Nevermore 1:17
- The March Of The Black Queen 6:33
- Funny How Love Is 2:50
- Seven Seas Of Rhye 2:50
Musiker
Freddie Mercury – Gesang, Piano, Cembalo
Brian May – Gitarren, Gesang, Piano
John Deacon – Bassgitarre, akustische Gitarre
Roger Taylor – Schlagzeug, Gesang, Percussion
- Trotz der vielen unerhörten Sounds auf dem Album hat die Band nirgends einen Synthesizer verwendet. Darauf war Brian May besonders stolz.
- Wegen der aufwendigen Overdubs war der Arbeitstitel des Albums Over The Top. Am Ende einigte man sich auf das etwas einfallslose Queen II – Roger Taylor hielt das später für einen Fehler.
- „White Queen“, das Symbolstück der A-Seite, wird von Freddie Mercury gesungen, handelt aber von Brian Mays unglücklicher Liebe zu einer ehemaligen Kommilitonin. Der Songtitel ist vom Buch The White Goddess von Robert Graves inspiriert. Den Sitarklang im Gitarrensolo erzielte May durch eine besondere Saitenpräparation.
- „The March Of The Black Queen“, das Symbolstück der B-Seite, wirkt wie eine Vorübung zu „Bohemian Rhapsody“ (und ist sogar noch eine halbe Minute länger). Mercury hatte jahrelang an diesem Song gearbeitet. „Daher waren wir mit Freddies Exkursionen in seltsame musikalische Bereiche bestens vertraut – und wir hatten immer Spaß dabei“ (Roger Taylor).
- Das Gruppenfoto auf dem Albumcover war inspiriert von einem PR-Porträt von Marlene Dietrich aus dem Jahr 1932. Später bildete das Cover den Startschuss fürs Video von „Bohemian Rhapsody“.
- Freddie Mercurys Songs auf der B-Seite gehen weitgehend ineinander über und klingen wie eine kleine Suite. Nur „Seven Seas Of Rhye“ am Ende steht einzeln da – der Song war als Single-Auskopplung konzipiert. „Rhye“ ist ein von Mercury erfundenes Fantasieland und taucht in seinen Songs öfter auf. Eine kurze Instrumentalversion des Stücks beendete bereits das Debütalbum von Queen.
- Einen besonderen Höhepunkt auf Queen II bildet Freddie Mercurys abgefahrenes Uptempo-Stück „The Fairy-Feller’s Master-Stroke“, angeregt von einem Feen-Gemälde und Feen-Gedicht von Richard Dadd. Dieses „Stereo-Experiment“ ist eine surreale Tour de force voller wilder Stilbrüche.