The Who versus Petra Haden
1967 war das große Jahr der Psychedelik. Das hieß nicht nur: LSD, Sommer der Liebe, bunte Fantasieklamotten, Sitarklänge und leicht entrückte Melodien. Psychedelik hieß auch: Soundcollage und Gesamtkunstwerk. 1967 war das große Jahr der frühen Konzeptalben.
Damals erschienen Sgt. Peppers von den Beatles und Frank Zappas Absolutely Free. Alben, auf denen Soundschnipsel, Geräuschexperimente, Gesprächsfetzen, ironische Verfremdungen, musikalische Montagen und musikhistorische Zitate mitverarbeitet sind – eine Mixtur, die so etwas wie einen „ästhetischen Zusammenhang“ suggerieren sollte. Denn das war die Idee des Konzeptalbums: Das Ganze ist mehr als seine Teile. Und dabei muss das Konzeptalbum gar keine Geschichte erzählen, es muss nicht stringent sein – eher eine Art Happening. Psychedelisch eben.
Auch die britische Band The Who plante 1967 ein Konzeptalbum. Es war ihr Management, das die Idee hatte, als „ästhetischen Zusammenhang“ ein Radioprogramm zu suggerieren, also zwischen die Musikstücke Sender-Jingles und Werbespots zu packen. Das passte nicht schlecht, da The Who ohnehin schon nebenher mit der Produktion von Commercials etwas Geld verdienten. Außerdem waren im Sommer 1967 gerade die britischen Piratensender verboten worden, denen die Rockmusik so viel verdankte (die BBC spielte damals kaum aktuelle Songs). Also wurde das neue Who-Album eine Liebeserklärung an „Wonderful London Radio“, den legendären Piratensender, der am 14. August 1967 seine Arbeit hatte einstellen müssen. Zwischen den Songs des Albums (der bekannteste: „I Can See For Miles“) erklingen authentische Sender-Jingles von WLR (mit Bläsern und Streichern usw.) sowie einige (überwiegend gefakte) Werbespots, bei deren Herstellung die Band eine Menge Spaß hatte: „Was gibt’s zum Tee? Heinz’ gebackene Bohnen!“
Aber mehr noch: Auf The Who Sell Out verschwimmen die Grenzen zwischen der Musik und den fiktiven Werbespots – denn einige der Songs enthalten selbst schon Markenreklame. In „Odorono“ zum Beispiel geht es um eine Sängerin, die beim Manager nicht recht ankommt: „Her deodorant had let her down / She should have used Odorono“. Und „Medac“ handelt von einem Jüngling, bei dem kein Aknemittel zu helfen scheint: „Then, when just about to crack / He found another cream, Medac“. Andere Produkte, die auf dem Album beworben werden, sind Premier Drums, Rotosound Strings und Charles Atlas (der erste Bodybuilding-Kurs). In der digital remasterten Albumversion von 1995 tauchen außerdem noch Coca-Cola, Top Gear, Bag O’Nails und John Mason’s Cars auf – sowie ein Song über die Automarke Jaguar. Natürlich ist das alles mit viel Ironie gemacht und als humorvolle Konsumkritik gemeint. Die betroffenen Firmen fanden das aber gar nicht lustig und haben die Band mit mehreren Prozessen überzogen.
Das Thema fürs Albumcover von The Who war jedenfalls klar: der Ausverkauf. Wir sehen Pete Townshend mit einem überdimensionierten Deodorant und Roger Daltrey in einer ganzen Badewanne voll gebackener Bohnen. (Auf der Cover-Rückseite beschmiert sich Keith Moon mit dem Aknemittel, und John Entwistle posiert als „Charles Atlas“ im Leopardenfell zusammen mit einer Blondine im Leoparden-Bikini.) Das Layout, die Fotos und die launigen Texte darunter parodieren Werbeanzeigen. Der Fotograf war übrigens David Montgomery, einer der berühmtesten amerikanischen Promi-Knipser. Roger Daltrey soll sich allerdings beschwert haben, weil er für das Foto ewig lange in der Badewanne sitzen musste und sich dabei heftig erkältet hatte. Heinz’ Bohnen kamen offenbar aus dem Kühlschrank und waren „eiskalt“.
Die Radio- und Reklame-Idee und der Humor der Band machten The Who Sell Out zu einem der besten Konzeptalben der Rockgeschichte. Auch Mike Watt, der Leader der kalifornischen Punkband Minutemen, war schon als Jugendlicher ein Riesenfan des Albums. „Das war eine Platte, die uns sagte: Eine Band kann machen, was sie will, und dennoch nach sich selbst klingen.“ Als Watt die Sängerin Petra Haden kennenlernte, hatte er die verrückte Idee, das Who-Album einmal auf neue Weise erleben zu wollen. Er besaß damals einen Achtspur-Kassettenrecorder und nahm das Originalalbum auf eine einzige Tonbandspur auf. Dann bat er Petra, auf der zweiten Spur einfach mitzusingen – und danach auf Spur 3 bis 8 weitere Stimmen zu ergänzen. So entstand eines der unglaublichsten A-cappella-Alben der Musikgeschichte: Die siebenfache Petra Haden singt das komplette Who-Album – inklusive der Harmonien, Rhythmen und Werbespots. Petra Haden ist die Tochter des Jazzbassisten Charlie Haden – auch der war schon ein unerschrockener Künstler.
Das Albumcover von Petra Haden Sings: The Who Sell Out ist eine geniale Hommage an die Albumhülle von The Who.
Die Fotos machte Alicia J. Rose, die auch als Musikerin und Videokünstlerin mit Haden zusammenarbeitet. Die Texte unter den Fotos sind ebenfalls hoch spaßig: „Petra faces the music under-armed with Odorono, the all-day deodorant that turns perspiration into inspiration.“ Pete Townshend, der Boss von The Who, äußerte sich zu Hadens Album begeistert: „Ich schämte mich ein wenig, dass mir meine eigene Musik hier so gut gefiel – in gewisser Weise habe ich sie wie zum ersten Mal gehört.“ Übrigens konnte Petra Haden ihre A-cappella-Version 2005 auch live aufführen – mit einem Frauenchor.
The Who Sell Out (Decca, 1967)
Petra Haden Sings: The Who Sell Out (Bar None, 2005)