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Atoll IN300 Vollverstärker

Atoll IN 300

Insel-Begabung

Atoll IN 300 Vollverstärker

Vielleicht geht es Ihnen wie mir – Atoll Electronique aus der Normandie hatte ich immer schon auf dem Zettel, aber dann doch nie reingehört. Liegt es daran, dass die französische Audiomarke hierzulande in der Masse internationaler Anbieter untergeht, weil zu unspektakulär, zu normal? Oder vielleicht ganz im Gegenteil zu speziell nur auf einen regionalen Markt konzentriert?

Atoll IN300 Vollverstärker

In aller Kürze:
Seine vielseitigen Begabungen erstaunen, der Atoll IN 300 ist damit zeitgemäß, sehr alltagstauglich und auf gar keinen Fall nur „für die einsame Insel“ gemacht.

Atoll IN300 Vollverstärker


Mir fehlt die Diagnose, was ist da los mit meiner Wahrnehmung? Vielleicht verbirgt sich hinter dem Markennamen vielmehr die Ruhe und Entspanntheit ohne Selbstdarstellungszwänge, gedanklich eingetaucht in die türkisfarbene Lagune eines fernen Atolls aus Korallenriffen und schmalen Stränden … Dabei existiert die Marke Atoll schon seit 25 Jahren und hat ihr Portfolio kontinuierlich erweitert. Die Grundidee war damals, audiophile Geräte zu bezahlbaren Konditionen mit einheimischen Zulieferern und hoher Fertigungstiefe eben zu Hause in der Normandie zu entwickeln und zu produzieren. In dieser Idee sah man eine Marktlücke mit Potenzial und sich sprichwörtlich auf der „einsamen Insel“, was aus heutiger Sicht als sehr vorausschauend bewertet werden muss. Glücklicherweise kann ich meine „audiogeografische“ Lücke mit diesem Erlebnisbericht therapieren und vorweg schon bestätigen, dass die Grundidee von damals heute mindestens genauso gut funktioniert.

Atoll hat von Anfang an darauf gesetzt, neue Formate und Wiedergabemöglichkeiten in die Geräte mit einzubeziehen. Zuerst mit Mehrkanalverstärkern für das Heimkino, später gab es D/A-Wandler sowie SACD-Player, und aktuell sind eigene Netzwerkspieler sowie Bluetooth-Anbindung das Thema. Lag in der Anfangszeit der Fokus auf den Einsteigerserien 50, 80 und 100, wurde ab 2005 die Notwendigkeit einer High-End-Produktlinie erkannt, um dem gewachsenen Kundenkreis nun mit den Serien 200, 300 und 400 den Aufstieg im Atoll-Produktspektrum zu ermöglichen. Der hier vorgestellte Vollverstärker IN 300 ist seit 2016 auf dem Markt und gehört zur jüngsten Produktlinie, die das gesamte Know-how von Atoll im High-End-Segment zu einem attraktiven Preis bündeln soll.

Atoll IN300 Vollverstärker
Die Front des Atoll IN 300 gefällt mit einem angenehm minimalen Design, das jedoch von Details wie dem keck hochgezogenen „Mundwinkel“ und dem gerundeten Muster der Lüftungslöcher aufgebrochen wird und so von keinem Betrachtungswinkel aus jemals unterkühlt wirkt.

Kontrollzentrum

Der IN 300 ist im Atoll-typischen schlichten Design mit Stahlblechgehäuse und acht Millimeter dicker Aluminiumfront in Schwarz oder Silber ab 2995 Euro verfügbar. Auf der Frontblende findet sich nur das Nötigste: zwei rundliche Drehknöpfe mit Digitalencoder für die Eingangswahl links bzw. rechts für die Lautstärke und dazwischen ein OLED-Display. Die schlichte, aber hochwertige Blende wirkt durch eine abgesetzte Designlinie freundlich, ein Kopfhöreranschluss ist in der linken unteren Ecke untergebracht. Die wesentlich aufregendere Ansicht bietet sich beim Anheben des geschraubten Gehäusedeckels aus Stahlblech. Der Verstärker ist vollständig symmetrisch mit diskreten Komponentenschaltungen aufgebaut, die in Class A für die Vorverstärkung und in Class A/B für die Endverstärkung ausgeführt ist. Bei den verwendeten Leistungstransistoren handelt es sich um MOSFETs, die laut Atoll den Vorteil einer schnelleren Stromlieferfähigkeit besitzen und sich dabei ähnlich zu Röhrenverstärkern verhalten sollen. Diese sind jeweils einzeln auf eigene Wärmekühler montiert. Zwei gewaltige Ringkerntrafos unterstützen dabei mit Energie im Überfluss und sollen in Verbindung mit zwölf schnellschaltenden, speziell für Atoll hergestellten Siebkondensatoren – sie sind zusätzlich mit einer Dämpfungsfolie ruhig gestellt – und kurzen Signalpfaden eine hohe Dynamik und Impulsfähigkeit bei der Musikwiedergabe gewährleisten. Speziell für die Digitalsektion ist zudem ein eigenes 5-VA-Netzteil vorgesehen.

Atoll IN300 Vollverstärker
Keine Spur von Zurückhaltung dagegen am Rückenpanel: Insgesamt sechs Line-Eingänge, einer davon symmetrisch, vier optische sowie ein USB-Digitaleingang sollten jedes Setup bedienen können. Per Bypass-Buchse lässt sich die Endstufe direkt ansteuern, dazu gibt es nicht einen, sondern gleich zwei Pre-Outs.

An neuralgischen Positionen im Signalweg werden High-End-Kabel mit großem Querschnitt gewählt und hochwertige Bauteile eingesetzt, beispielsweise von Mundorf in der Analogstufe und Vishay-Kondensatoren in der Digitalsektion. Hier zeigt sich die Liebe zum Detail, was nicht unerheblich zur gewünschten Klangsignatur beitragen soll. Rückseitig befinden sich fünf Cinch-Eingänge, ein XLR-Eingang und ein By-Pass-Eingang für die direkte Signalleitung an die Endstufe. Das integrierte Digitaleingangsmodul erweitert die Anschlussmöglichkeiten um zwei optische Toslink-, zwei koaxiale ­S/­PDIF-Eingänge, einen USB-Eingang und einen Bluetooth-Empfänger. Herzstück des Digitalboards ist der leistungsfähiger D/A-Wandler AK4490 EQ von AKM für die HiRes-Formate DSD und PCM. Optional kann ein Erweiterungsmodul für Phono MM oder kombiniert für MM/MC eingebaut werden. Ein Tape-Out und zwei Vorstufenausgänge für den Anschluss zusätzlicher Endstufen (Bi-Amping oder Heimkino), sehr stabile Boxenanschlüsse und ein Trigger-Ausgang komplettieren die Atoll-Schaltzentrale. Die mitgelieferte IR-Fernbedienung kann neben dem Verstärker auch Tuner, DAC und CD/DVD-Player der Marke ansteuern.

Atoll IN300 Vollverstärker
Die fixe Benennung der Eingänge mit „Aux“, „CD“ etc. ist ein kleiner Hinweis darauf, dass der IN 300 bereits einige Jährchen auf dem Markt ist. Das Vorhandensein einer Tape-Schleife wirkt dagegen nur auf den ersten Blick wie aus der Zeit gefallen: Sie eignet sich auch zum Einschleifen etwa eines Raumprozessors.

Wahrnehmungstest

Nach ein paar Tagen des Ankommens und Aufwärmens darf der Atoll im Hörraum den angestammten Platz meines MFE-Röhrenvollverstärkers übernehmen, sodass der Höreindruck meines gewohnten Setups direkt als Vergleichsbasis dient. An dieser Stelle muss ich gestehen, dass ich mich schon seit längerer Zeit nicht mehr mit Transistorverstärkern auseinandergesetzt habe und mir erst für diesen Bericht preislich ähnliche Transistor-Vergleichsgeräte für eine möglichst validierte Einschätzung angehört habe. Das bewährte Setup aus Canor-Röhren-Phonovorverstärker und Linn LP12 gebe ich als Quellenangabe gerne mit an. Die Lautsprecher variiere ich zwischen Blumenhofer-Hornlautsprecher und Von-Schweikert-Kompaktlautsprecher. Die Zuleitungen belasse ich dabei unverändert, wohl wissend, dass die klangliche Harmonie der Spielpartner untereinander auch unter Berücksichtigung dieser „Kabelage“ für das Gesamtklangerlebnis ein sehr wichtiger Faktor ist, wie sich auch im Verlauf dieses Hörberichtes bewahrheiten wird.

Atoll IN300 Vollverstärker

Schon die ersten Minuten einer Schallplattenseite (Inside We Are The Same von Steve Kilby und Martin Kennedy) reichen mir aus, um deutliche klangliche Unterschiede auszumachen, wohlgemerkt unter den übernommenen Randbedingungen meines Röhren-Setups. Das Klangbild entfaltet unter der Kontrolle des Atoll mehr Basswucht und hat eine Menge Punch in den oberen Frequenzen – da stelle ich das Glas Rotwein am späten Abend lieber auf festen Untergrund. Die Höhen kommen geschmeidig, dennoch neutral und ohne Schärfe in den S-Lauten von z. B. Dido auf der LP Still On My Mind, eine schöne Schallplatte, um dies zu überprüfen.

Bei Jennifer Warnes’ The Songs Of Leonard Cohen („Famous Blue Raincoat“) fällt besonders der Fluss in der Musik auf, was für die Fähigkeit des Atoll spricht, schnelle Impulse unmittelbar weiterzuleiten. Der Verstärker bleibt somit tendenziell auf der agilen, nüchternen Klangseite und reicht die „Randbedingungen“ charmant durch an den geneigten Zuhörer. Das eröffnet andererseits wieder eine relativ breite „Spielwiese“ für klanglichen Feinschliff etwa auch bei den Zuleitungen. Tatsächlich habe ich dreimal das Lautsprecherkabel und auch das Cinchkabel getauscht, bis ich den für meine Ohren optimalen Klangeindruck herausgearbeitet hatte. Dabei erschien mir der XLR-Eingang noch ein klein wenig druckvoller. In diesem neuen Setup gefiel der Atoll als klanglich eigenständige Alternative zu meinem „Röhrenklang“.

Atoll IN300 Vollverstärker

Da ich gerade meine Gewohnheiten auf den Kopf stelle und der Atoll einen integrierten D/A-Wandler besitzt, habe ich für weitere Hörerfahrungen auch meinen CD-Player wieder hervorgeholt, obwohl ich eigentlich bevorzugt Musik von der Vinylschallplatte höre. In der Kombination Atoll und digitales Medium verstärkt sich der ungemein druckvolle, dynamische und unmittelbare Klangeindruck noch einmal. Die Liveaufnahme Time & Distance von Ray Wilson erinnert mich an mein Konzerterlebnis in einem regionalen Rock-&-Blues Club. Die zu „enge“ Location für den bekannten Songwriter samt siebenköpfiger Band sorgte für eine unvergesslich intensive Teilhabe an der Musik. Die Atmosphäre kommt in meinem Hörraum erstaunlich authentisch rüber, die Location bei der Aufnahme war glücklicherweise aber nicht so beengt, es gibt viel Luft zwischen den Musikern. Dabei agiert der interne DAC nicht als „Platzanweiser“, sondern bewährt sich vielmehr als Eventmanager im Hintergrund, überlässt die Bühne lieber den Musikern. Der Wandler in meinem CD-Spieler gibt sich dagegen eher etwas weniger sanft, fast kantig, und hat nicht diesen musikalischen Fluss. Ein zu Vergleichszwecken herangezogener externer D/A-Wandler aus einer höheren Preisklasse wirkt in der Bühne noch etwas größer, aber nicht musikalischer in der Gesamtdarstellung.

Abschließend höre ich mal wieder in die CD A Feast Of Consequences von Fish rein, und jetzt darf sich der Atoll bei gehobener Lautstärke über meine Hornlautsprecher mal ausleben. Ich kann mich nicht erinnern, wann mein Hörraum zuletzt so schnell wie gerade eben (mit dem Atoll) akustisch an seine Grenze kam, dass ich meine Lautsprecher neu positionieren musste … Chapeau! In Anbetracht des hochwertigen Aufbaus, der vielseitigen Ausstattung und des gebotenen Klangpotenzials muss der Atoll als bemerkenswert preiswürdig bezeichnet werden.

Atoll IN300 Vollverstärker

Info

Vollverstärker Atoll IN 300

Konzept: Stereo-Vollverstärker mit integriertem D/A-Wandler
Eingänge analog: 5 x Cinch (unsymmetrisch), 1 x XLR (symmetrisch), Phono-In optional (ersetzt AUX-In)
Eingänge digital: 2 x koaxial (Cinch), 2 x optisch (Toslink), USB, Bluetooth
Ausgänge analog: 1 x Tape-Out (Cinch, Festpegel), 1 x By-Pass (Cinch, Festpegel), 2 x Pre-Out (Cinch, geregelt)
Abgriffe: 1 Paar LS-Anschlüsse für Gabelschuhe und Bananenhülse, 1 Kopfhörerausgang (6,3 mm)
Leistung (8/4 Ω): 2 x 150 W, 2 x 260 W
Netzteil: 86 400 μF, 2 x 440 VA
Signal-Rausch-Abstand: 100 dB
D/A-Wandler: AKM AK4490EQ (24/192), DSD bis 5,6 MHz
Sonstiges: Triggeranschluss 12 V, Fernbedienung
Maße (B/H/T): 44/10/37 cm
Gewicht: 16 kg
Garantiezeit: 3 Jahre
Preis: um 2995 €; Aufpreis Phonomodul P50 (MM) um 100 €, P100 (MM/MC) um 150 €

Kontakt

Audium/Visonik

Catostraße 7b
12109 Berlin
Telefon +49 30 6134740
kontakt@audium.com

vertrieb.audium.com

Mitspieler

Plattenspieler/Laufwerk: Avid Diva SP, VPI Avenger, Clearaudio Reference Jubilee
Tonarm: Origin Live Illustrious
Tonabnehmer: Lyra Kleos
Phonovorverstärker: Cyrus Phono Signature
Verstärker: MFE TA 211 V
Lautsprecher: Blumenhofer Tempesta 20

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.