Britische Rockdrummer und ihre heimliche Leidenschaft
Der elektrische Fusion-Jazz ist ein guter Spielplatz für virtuose Musiker. Auch die Rockdrummer Phil Collins, Bill Bruford und Jon Hiseman nutzten ihre Chance.
Der Saxofonist Theo Travis hat es einmal so formuliert: „Im London um 1970 standen sich Prog- und Jazzmusiker durchaus nahe. Insbesondere Schlagzeuger und Bläser spielten in beiden Typen von Bands. Prog- und Jazzbands traten in den Clubs am gleichen Abend auf und hingen hinterher zusammen ab. Erst als die Rockwelt größer und kommerzieller wurde und die Jazzwelt schrumpfte, ging man getrennte Wege.“ Vielleicht sollte man hinzufügen: Als die Rockwelt Mitte der 1970er Jahre kommerzieller wurde, ging die progressive Variante unweigerlich baden. Gleichzeitig entwickelte der Jazz aber elektrische und progressive Ambitionen – man nennt das Fusion. Kein Wunder also, dass mancher „echte“ Rockmusiker sich ein zweites Standbein suchte im Fusionjazz-Bereich – darunter einige britische Rockdrummer.
Da wäre zum Beispiel Phil Collins. Bei Genesis war der Drummer zunächst ein Außenseiter neben den Charterhouse-Absolventen Gabriel, Banks, Rutherford & Co. Dieser Collins hatte mit 14 Jahren die Schule abgebrochen, um eine Schauspielerausbildung anzutreten, und angeblich nie Notenlesen gelernt. Als Schlagzeuger allerdings war er bei Genesis eher unterfordert. Dass er seine Fühler in Richtung des elektrischen Fusionjazz ausstreckte, verrieten schon seine komplexeren Drum-Experimente auf den Genesis-Alben von 1973/74. Als die Arbeit mit Genesis über ein Jahr lang ruhen musste (nach Peter Gabriels Weggang), vermittelte ein A&R-Manager Collins an die britische Fusion-Band Brand X. Hier konnte sich Collins seinen Frust von der Seele trommeln und offenbarte sich als ein ganz anderer Schlagzeuger: „Brand X war die Band, in der ich Spaß hatte“, sagte er. Mit den Herren Goodsall, Lumley und Jones entfachte er eine nervös-hektische Turbo-Musik im Stil von Mahavishnu Orchestra oder Return To Forever. Die Themen auf dem Debütalbum Unorthodox Behavior (1976, Charisma) waren knapp und schmucklos, die Improvisationen dagegen ausgedehnt und funky. Als Collins zum neuen Sänger von Genesis aufstieg, blieb ihm für diese Fusion-Leidenschaft leider keine Zeit mehr.
Bei späteren Livekonzerten von Genesis half gelegentlich Bill Bruford am Schlagzeug aus – Collins war als Vokalist zu stark in Anspruch genommen. Der zwei Jahre ältere Bruford suchte aber ebenfalls nach neuen Herausforderungen. Nach fünf Studioalben mit Yes hatte er sich King Crimson angeschlossen, weil es dort kompliziertere Metren zu spielen gab. Acht Studioalben machte er mit der Band, verteilt auf drei Jahrzehnte. Dazwischen startete er eigene Projekte zwischen Jazz, Fusion, World und Prog – erstmals 1977 mit der Formation Bruford. Seine ausdauerndste Band (in wechselnden Besetzungen) waren die Earthworks, die er 1986 gründete, als King Crimson mal wieder pausierten. Brufords Mitmusiker auf dem Debütalbum Earthworks (1987, EG), die Herren Ballamy, Bates und Hutton, gehörten zu den Stars des neuen britischen Jazz.
Der Sound der Band war definitiv „Eighties“ – mit viel Elektronik und Synthesizer. Bruford galt damals als Pionier des elektronischen Schlagzeugs, auf dem er Melodien und sogar Akkorde spielen konnte. Steeldrum-Klänge, akustisches Jazzpiano, Bebop-Saxofon und rockende Synthesizer-Riffs bilden hier starke experimentelle Kontraste. Übrigens hat Bruford nie aufgehört, Herausforderungen zu suchen. Er gründete später eigene Labels, schrieb Lehrbücher und promovierte sogar noch – mit 67 Jahren.
Fünf Jahre älter als Bruford war Jon Hiseman (1944–2018), der schon in den 1960er Jahren in der Londoner Bluesrock-Szene getrommelt hat (bei John Mayall oder Graham Bond). Als Hiseman 1968 die Band Colosseum gründete, bedeutete das bereits eine Art „Fusion“ aus Rock, Blues und Jazz. Doch auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs fiel die Band 1971 überraschend auseinander – niemand hat darunter mehr gelitten als Hiseman. Als er vier Jahre später mit dem jungen Gitarristen Gary Moore eine neue Band gründete, zögerte er daher nicht, sie „Colosseum II“ zu nennen, auch wenn die neue musikalische Ausrichtung definitiv auf den elektrischen Rockjazz zielte. Nach der ersten Platte – einer Mischung aus Fusion und Rock – trennten sich Colosseum II von ihrem Sänger und machten wirklich ernst.
Auf dem zweiten Album Electric Savage (1977, MCA) treibt Hiseman seine Mitmusiker Moore, Airey und Mole in einen Tempo-Tornado im Stil des Mahavishnu Orchestra. Stücke wie „Put It This Way“, „Desperado“ und „Intergalactic Strut“ haben nicht nur eine virtuose Turbo-Dynamik, sondern auch eine interessante, rockige Härte.