Grand Chess Records
Das Label Grand Chess hat sich nicht nur der Musik verschrieben.
Berlin Gallery Weekend 2023: Auf einer gemeinsamen Vernissage der Berliner Künstler Tina Berning und Julio Rondo mit dem belgischen Maler Albert Pepermans ertönen plötzlich irritierende psychedelische Gitarrenklänge. Das Hamburger Plattenlabel Grand Chess hat zu einem musikalischen Intermezzo geladen und präsentiert dabei eine Reihe hochwertiger Vinylproduktionen in auffallender Optik, darunter auch Cover, die der anwesende Albert Pepermans gestaltet hat. Neugierig geworden, kommt der Rezensent dieser Zeilen ins Gespräch mit Guido Randzio, einem der beiden Betreiber des Labels, und schnell steht fest, dass die Produktionen des Labels genau in die Philosophie unseres Vinyl-Corners passen: Musikalische Qualität trifft auf hochwertiges Vinyl, und die Produktion enthält das gewisse Extra, das den LPs ihr offenkundiges Alleinstellungsmerkmal garantiert. Neben einem hochwertigen Fertigungsverfahren bei Optimal Records, der nicht ganz alltäglichen Musik der Residents, Klangkonstrukten aus dem Umfeld von Nick Caves Band The Bad Seeds, Musikern der Berliner Indie-Szene der 90er und frühen 2000er Jahre um die Gruppen Die Haut und Einstürzende Neubauten steht die Kooperation mit hochkarätigen bildenden Künstlern, die von international bekannten Galerien wie Eigen&Art vertreten werden.
Häufig gibt es persönliche Verbindungen zwischen den Musikern und den Künstlern, die sich hier zu einer durch das Label angestoßenen Kooperation vereinigen. So sind etwa der renommierte Maler Martin Eder und die bei The Bad Seeds vertretenen Thomas Wydler und Toby Dammit seit 2002 miteinander bekannt. In diesem Falle wurde das ehemals nur als CD erhältliche Album Morphosa Harmonia als hochwertige Vinylbox wiederveröffentlicht und enthält ein in besonderer Druckqualität hergestelltes Booklet mit allen Gemälden, die Eder damals zu diesem Album erstellt hat.
Der besondere Clou ist aber nun, dass es zu den meisten Veröffentlichungen des Labels besondere „Galerie-Editionen“ gibt, die entweder direkt beim Label oder auf Kunstevents namhafter Galerien zu erwerben sind. Bei Morphosa Harmonia ist dies ein signierter und nummerierter Spezialdruck eines Werks von Martin Eder in einer Kleinstauflage von 25 Exemplaren, die der Künstler dem Label zur Verfügung gestellt hat. Es handelt sich hierbei de facto um eine auch mäzenatische Unterstützung des Labels, das diese Einnahmen aus dem Kunstverkauf für die Finanzierung der Vinylherstellung nutzt, da Künstler und Galerien auf ihre Tantiemen verzichten. Aber auch derjenige, der nur die „normalen“ Veröffentlichungen erwirbt, wird mit exquisiten künstlerischen Beigaben und Drucken belohnt, auch wenn dann hier die persönliche Unterschrift und die Aura einer niedrigen zweitstelligen Kleinstauflage fehlt, was aber die musikalische und künstlerische Qualität des erworbenen Gesamtpakets nicht mindert. Zudem erfolgt der Verkauf der Standardeditionen über die im Markt vertretenen allseits bekannten Vinylhändler und muss nicht über das Label oder Galerien abgewickelt werden. Um die musikalische Ausrichtung des Labels zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Anthologie der legendären Berliner Undergroundband Les Hommes Sauvages. Das Boxset umfasst nicht nur die längst vergriffenen drei LPs der Band, diese Schätze werden von einem aufwendigen 16-seitigen Booklet und vier hochwertigen Drucken des von Albert Pepermans gestalteten Artworks begleitet. Les Hommes Sauvages setzte sich aus dem Gitarristen, Songwriter und Sänger Kristof Hahn (bekannt von Pere Ubu) sowie der Sängerin und Songwriterin Viola Limpet (Tumbling Hearts) zusammen. Diese Alben wurden in Zusammenarbeit mit Musikern wie Thomas Wydler (Bad Seeds, Die Haut), Toby Dammit (Iggy Pop, Bad Seeds) und nicht zuletzt Bela B. (Die Ärzte) geschaffen. Hier treffen französisches Chanson, deutsche Elektronik, britischer Punk/Post-Punk auf Rock’n’Roll und die Atmosphäre der Noir-Filme. Aber erst durch die von Grand Chess animierte Zusammenarbeit mit Albert Pepermans wird diese Veröffentlichung zu einem Gesamtkunstwerk.
Wer aber steht hinter dem eigenwilligen Label? Um das zu verstehen, muss man ein wenig in die Vergangenheit reisen. Die Band Steely Dan sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, die markante Klavier-Basslinie ihres Hits „Rikki Don’t Lose That Number“ von Horace Silvers „Song For My Father“ abgekupfert zu haben. Diese Kontroverse brachte in den 80er Jahren einen Hamburger Juraprofessor auf die Idee, eine Debatte über Urheberrechtsverletzungen in der Musik anzuzetteln. Während die Diskussion unter den Studierenden im Hörsaal tobte, hoben sich zwei Gesichter ab. Carsten Hess und Guido Randzio, zuvor Fremde, fanden sich im Desinteresse an der gesprächigen Aufregung wieder. Ein kurzer Blickaustausch, und zwei Gleichgesinnte hatten sich gefunden, obwohl ihre Persönlichkeiten konträr waren: Carsten Hess, der in gutbürgerlichen Hamburger Kreisen aufgewachsen war und ein breites Spektrum an Wissen über Kunst und Jazz in sich trug, und der dynamische, von der Punk- und Undergroundkultur geprägte Guido Randzio, der sich bereits früh allein durch Hamburgs Straßen geschlagen hatte. Im Jahr 2019, nach über 30 Jahren seit ihrem ersten Treffen im Hörsaal, war die Zeit gekommen, ihre Kräfte offiziell zu bündeln. Beide machten ihren lang gehegten Traum wahr und gründeten das Plattenlabel Grand Chess Records, das ganz entscheidend von den persönlichen Verbindungen der Inhaber geprägt ist: Carsten Hess kuratiert über seine Kontakte den künstlerisch-bildnerischen Aspekt der Veröffentlichungen, während Guido Randzio seine langjährigen Aktivitäten in der Musikszene zur Akquise der Musiker nutzt. Beiden ist es gelungen, ein kleines, feines Label jenseits des Mainstreams zu gründen, das jeder Vinyl-Connaisseur kennen sollte.
Grand Chess
Arts & Entertainment UG
Budapester Straße 40
20359 Hamburg
info@grand-chess.com
Die wichtigsten Veröffentlichungen:
The Residents, Duck Stab! Alive!
Thomas Wydler & Toby Dammit, Morphosa Harmonia
Les Hommes Sauvages Meet Albert Pepermans, Anthology
Sometimes With Others, Nous
