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Professor P. - Pornofolk

Professor P.’s Rhythm and Soul Revue

Pornofolk

Professor P.’s Rhythm and Soul Revue

Professor P. versinkt in Sehnsucht und Erinnerung mit neuen Werken von Ivan Neville, Fatcat, Izo FitzRoy, Scott McMicken & The Ever-Expanding sowie Mohamed Lamouri.

Erzählte ich Euch vor zwei Monaten noch von den feuchtkalten Fingern des ausklingenden Winters, die mich und den Geburtstag feiernden Rambler am Nacken packten? Kaum zu glauben. Vermutlich delirierte ich seinerzeit im Fieber der Verwirrung, wer weiß das schon. Was ist wahr? Was ist ein Traum? Was ein Traum in einem Traum? Bin ich high oder Samurai? Eins ist jetzt gewiss: Es ist heiß. Höllenheiß. Die Hypophyse glüht und die Synapsen funken aus dem letzten Loch. Der Professor schaukelt auf der Veranda seiner verwelkten Shotgunbude unten am Fluss, dort, wo der alte Weidenmann sein Haupt ins lauwarmmodrige Wasser senkt und die Grenze zwischen Wipfel und Wurzel verschwimmt. An den Wänden japsen fette Sumpfmoskitos und verfluchen den Tag des Herrn, an dem der Deoroller erfunden wurde, nur eben nicht für Sumpfmoskitos. Der dreibeinige Kater liegt erschlagen im Schatten, der keine Kühle, sondern nurmehr Sehnsucht nach alten Zeiten verheißt. Ich tätschele dem namenlosen Alligator zu meinen Füßen das schartige Haupt. Man ist in trauter Zweisamkeit matt und platt und dämmert so vor sich hin. Bzw. schreibt für meinen Teil an dieser Ausgabe von Prof. P.’s Rhythm and Soul Revue. Versucht es jedenfalls, während die halbe Welt brennt und die andere Hälfte sich Gedanken darüber macht, ob der Klimawandel wohl auch zu ihr kommt, obwohl er doch längst da ist und manch Kind schon heute nicht mehr weiß, wie man gestern „Regen“ buchstabierte. Des Professors Tasten jedenfalls stehen in Flammen. Bei jedem Anschlag bildet sich ein Wölkchen verdampfender Schweißtropfen über müde hackenden Zeigefingern. Seltsame Fingermikroklimawölkchen, aus denen Tränen der Lethargie tropfen. Die Gedanken entfliehen in die Paralleldimension längst vergangener Tage, da der Professor manch Höllensommer down at the banks of The Ol’ Man River verbrachte und sich vom Teufel des Blues die Seele auf links krempeln ließ. Damals, ach damals. In der Schwüle des Südens reinkarnierte ich mich gleich zwei- bis dreimal und taumelte durchs Nirwana des gepflegten Nichtstuns, während an jeder Ecke der Stadt Musik aus schummrigen Löchern quoll und der magische Groove einem ins Gebein fuhr, auf dass man irr durchs Leben tanzte. Daran ward ich nun erinnert, als ein Albatros, oder war’s ein fliegender Alligator, mir ein kleines Päckchen in den Schoß warf. Darin eine CD mit manch Komposition, die selbst Gregory Peck aus seinem Fiebertraum am Fuße des Kilimandscharo gerissen hätte. Nun, stay tuned.

Ivan Neville – Touch My Soul

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Fiat Panda, Mercedes 190, Opel Manta cruisten auf dem Highway des Rotlicht-Quarters auf und ab. Die Nutten stapften in Moonboots von einem Bein aufs andere, der Professor schaute verschämt dran vorbei. Jung und unschuldig war ich, aber auch fasziniert vom Leben auf der Sündenmeile, dem Polarkreis des kleinen Mannes. Klein war auch ich, gerade der Pubertät entstiegen, aber musikalisch positiv indoktriniert vom Senior, der gerne Zwingenberger, Adderley und Davis hörte und in der Vinyl-Vitrine eine Bluescompilation aufbewahrte, auf der die Worte „New“ und „Orleans“ in geschwungenem Schriftzug von einem magischen Ort kündeten, an den mich das Schicksal höchstpersönlich eine gute Dekade später verschicken, wo ich knietief durch die Sümpfe der Seelenpein waten würde. Nun, an jenem Abend auf dem Elbehochplateau aber, noch feucht hinter den Ohren und mit einem Herzen hinter jugendlicher Brust, das schon zart im Offbeat schlug, klopfte ich an die Tür eines Nachtclubs. Eine Band aus der weiten Ferne, fernen Weite würde aufspielen, aus der Heimat der Alligatoren, des Tabascos, der schwülen Nächte. Die Neville Brothers, von denen ich genau einen Song kannte („Yellow Moon“), erschienen auf dem gleichnamigen Album 1990. Der Abend mit den vier Brüdern, die den Voodoo-Funk vom Mississippi aus in die Welt trugen, prägte mich fürs Leben, Freunde. Noch heute spüre ich die Hitze auf meinen Wangen, als mir der unvergleichliche New-Orleans-Offbeat das Blut zum Kochen brachte. Warum der Professor sich in nostalgischer Litanei verliert? Weil auch die nächste Generation an Neville-Künstlern mir das Herz erwärmt, darum. Ivan Neville, Sohn von Funk-Falsett-Sänger und Einviertel-Neville-Brothers Aaron, veröffentlichte gerade eine wahrhaft wundervolle Platte, Touch My Soul. Den Titel des Werks des weltbekannten Ausnahmemusikers – Ivan spielte zum Beispiel Keyboard auf den Rolling-Stones-Alben Dirty Work und Voodoo Lounge – kann man wörtlich nehmen. Hört hier herein: „Hey All Together“ (Soul-Funk-Ballade, sanft wabernd wie der Mississippi an einem dieser schwül-heißen Frühsommerabenden, mit einem Allstar-Chor aus u. a. Aaron Neville, Bonnie Riatt und Doobie Brother Michael McDonald) und „Greatest Place On Earth“ (Hymne auf die beste Stadt der Welt, New Orleans, die Gospel, Funk, Soul, Jazz und Mardi-Gras-Blues zum unvergleichlichen Groove-Gumbo vermengt. Die Posaune übrigens bläst Trombone Shorty, den ich hier auch schon einmal würdigte).

Label: Mascot/The Funk Garage
Format: CD, LP, DL 24/48

Fatcat – More Sugar

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Der Funk begegnet einem ja gerne dort, wo man sich ein paar Takte neben dem Mainstream bewegt. In New Orleans natürlich, dem halb im Sumpfdelta versunkenen Groove-Atlantis. Oder auch in einem Industriegebiet von Minneapolis, wo einst Prince sein crazy-kreatives Base Camp unterhielt. Oder etwa in Atlanta, Georgia, von wo aus James Brown seine letzte Tour ins Himmelreich antrat. Nein, den Funk trifft man auch in einem verwunschenen Örtchen im Schwarzwald. Dort liegt umgeben von dunklen Tannen und bewohnt vom Volksstamm der „Studenten“ ein abgeschiedener Weiler namens Freiburg. Hier öffnet man des Abends, wenn sich die Sonne über den Wipfeln verabschiedet, braune Fläschchen mit lustigem Namen („Tannenzäpfle“) und wirft sich als Einheimischer humorvolle Namen an den Kopf („Na, du süßes Bobbele!“). Zum Wochenende pilgern dann alle in die Achim-Stocker-Straße 1 und schauen im örtlichen Amphitheater („Europa-Park Stadion“) einem Mann mit grauen Haaren („Christian Streich“) dabei zu, wie er mit den Armen wedelt. Ich selbst war noch nie da, bin wohl immer falsch abgebogen. Zum Glück aber kam Freiburg zu mir. An einem Abend, es ist schon ein paar Monde her, spielte eine lustige Kapelle in bunten Hemden in einer Kneipe in des Professors Habitat, unterhalb einer ICE-Brücke gelegen, die Stufen weiß von Taubenscheiß, die Bühne tatsächlich noch kleiner als Freiburg selbst. „Fatcat“ nannte sich die Vereinigung ehemaliger Musikstudenten, und des Professors vorurteilsüberladenes Herz („Musikstudenten!“) wurde alsbald vom überflüssigen Ballast befreit und schlug erfrischt und gestärkt im fetten Funkbeat. Aber ich merke gerade, Freunde, mir geht der Platz hier aus. Also: Fatcat hat dieser Tage More Sugar veröffentlicht, ein erstaunlich Minneapolis-treues Werk dafür, dass es im Schwarzwald zusammengespielt wurde. Gutes Songwriting, Gespür für Breaks, Bridges und Brass-Pointen, charismatischer Sänger mit Soul in der Seele, versierte Solisten (Musikstudenten!). Die Musiker heißen Jakob, Ferdinand, Fabian, Malte, Stefan, Paul, Damien und Kenny, das nur als sympathisch-irrelevante Randnotiz. Hört hier hinein: „2 Sexy“ (knackig-dumpf produzierter Bass, Bootsy Collins lässt grüßen, als Fundament für eine scharf-schrille Funkgitarre; Sänger Kenny Jayner schwankt zwischen Jamiroquai-Popsoul und dezenten Rap-Exkurs), „Payphone“ (spartanischer Dirtyfunk, yeah!) und „Broken Place“ (klingt zwar nach Honig mit Zucker, Kandis und drei Stück Süßstoff, ist aber eine gute Ballade).

Label: Jazzhouse Records
Format: CD, LP, DL 16/44

Izo FitzRoy – A Good Woman

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Wie manch Mitglied unseres erlesenen Leserzirkels richtig vermuten mag, ist der Professor kein großer Freund von Downloads. Pflichtschuldig kramt er alle zwei Monate im Netz, um auch den Sammlern von Binärziffern adäquate Runterladedatenraten zu präsentieren, siehe fettgedruckte Albuminformation. Viel lieber aber blättert er in echten Booklets und gewinnt aus einer solchen analogen Googelei feinste Informationskörnchen, die man im Wildwuchsweb („www“) schnell übersieht, vor allem, weil sie mitunter gar nicht da sind. So also lag ich eben auf der durchgelegenen Couch meiner Shotgunresidenz, kraulte den holzbeinigen Kater hinterm halben Ohr und lauschte dem Gesang von Izo FitzRoy, während ich mit der anderen Hand das Booklet zur neuen CD A Good Woman hielt. Als dreiviertelgebildeter Groove-Enthusiast, man ist ja nicht ohne Grund selbsternannter Professor, dechiffrierte ich die Liner Notes wie folgt: Produziert wurde das aktuelle Werk der britischen Soul- und Gospelsängerin von Oscar de Jong, der zudem alle Songs mitschrieb, bis auf die Coverversion von Joan Armatradings „Love and Affection“ natürlich. Außerdem spielt er alle Keyboard-Parts, ein Instrument, mit dem der gute Mann als kreatives Zentrum des niederländischen Produzenten- und DJ-Trios Kraak & Smaak ziemlich gut vertraut ist. Querverweis: Kraak & Smaak veröffentlichten 2005 ihr erstes Album Boogie Angst ebenfalls auf dem Label Jalapeno Records, dort, wo jetzt Izo FitzRoy mit ihrem neuen Werk gelandet ist. Überhaupt schätzt Frau FitzRoy offenbar prominente Produzenten. Wurde ihr Debüt Skyline 2017 noch vom britischen Remix-Meister Dr. Rubberfunk produziert, gaben sich beim Folgealbum How The Mighty Fall gleich eine ganze Reihe von Topproduzenten die Klinke in die Hand, darunter Shawn Lee und House-DJ Dimitri from Paris. A Good Woman nun changiert schillernd zwischen Einflüssen aus Drum’n’Bass, klassischem Soul und glattgeschmirgeltem R’n’B. Eine spannende Mischung, die durch die Verpflichtung von Marcus Bonfanti an der Gitarre (Booklet, Freunde!) noch gewinnt. Wer ihn nicht kennt: britischer Bluesrockgitarrist, der seit 2014 als Frontmann für den vor zehn Jahren verstorbenen Alvin Lee bei Ten Years After spielt.

Label: Jalapeno Records
Format: CD, LP, DL 16/44

Scott McMicken & The Ever-Expanding – Shabang

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Ach, das geht gut los: „What about Now“, ein Dylan-sound-alike-Song von unbeschwerter Freundlichkeit, mit Countryside-Gefühl und Sonntagnachmittag-auf-der-Terrasse-mit-Freunden-sitzen-während-die-Kids-durch-den-Garten-turnen-Feel, if you know what I mean. Piano, Bass, Gitarre verschwimmen akustisch zu einem lässigen Freizeit-Beat, da wippt jedes Härchen auf meiner mäßig bewaldeten Unterarmprärie im Takt. Dann das nächste Stück, „Reconcile“: Schnarrend gestimmte Drums im Duett mit einem Glockenspiel, dazu singt Scott McMicken wie ein gutgelaunter Elliot Smith, R.I.P., während sich aus dem Geplätscher eine wundersame Melodie schlängelt … „In My Mind“: Reggae mit Westerngitarre und Texmex-Trompete, umwoben von einem düster klingenden Voodoo-Groove. Schließlich „Restart“: den Erotikfilm der Siebzigerjahre, aus dem diese kleine Folk-Funk-Miniatur inklusive Star Wars-Soundeffekte zu stammen scheint, möchte ich doch mal sehen. Pornofolk, Freunde. Nun, mir war der Kreativschaffende hinter dem fantastischen Werk Shabang kein Begriff. Offenbar ist McMicken Gründungsmitglied der wohl schon relevanten Rockband Dr. Dog aus Philadelphia. Not my cup of tea, bisher jedenfalls. Sein Debüt mit neuer Band The Ever-Expanding: Very well indeed my cup of eiskaltes Ale. Spannende Geschichte dahinter: Eingespielt und produziert in dem Musiker-Kollektiv-Kommunen-Studio The Chicken Shack im Hudson Valley im Staate New York, umgeben von Bienenschwärmen, Wildwiesen und tiefen Wäldern traf sich ein gutes Dutzend Musiker im alten Hühnerstall, Musiker, die Felice-Brothers-Produzent Nick Kinsey im Auftrag von Scott McMicken gebucht hatte. Einzige Voraussetzung: McMicken wollte sie vorab nicht kennenlernen. Dann ging man in den Stall, McMicken sagte: „Alle bitte in g-Moll, ich werde über irgendwelche Tiere singen.“ Heraus kam „Mountain Lion“, ein Song, der klingt wie aus dem verschollenen Soundtrack eines schwarzweißen Johnny-Weissmüller-Tarzan-Films. Genial.

Label: Anti
Format: CD, LP, DL 24/96

Mohamed Lamouri – Méhari

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Hier rechts auf dem Schreibtisch des Professors türmen sich CDs. Viele davon werden den Weg nicht finden in unsere feine Rhythm and Soul Revue. Der Platz im Analogkompendium ist begrenzt, und manch Werk hab’ ich schon vergessen, sobald ich auf „Stop“ drücke. Nicht so dieses. Weiß auch nicht, was mich da beschwingt, die guten Texte können es nicht sein. Mein Algerisch ist doch etwas eingerostet, seit ich im vorvergangenen Leben Taxifahrer in Algier war. Mohamed Lamouri, sehbehinderter Sänger mit Lebensmittelpunkt wechselweise in Paris und Marseille, hat mit Méhari sein zweites Album nach dem 2019er Debüt Underground Rai Love veröffentlicht. Bis vor kurzem noch lebte er von Auftritten in der Metro, wo er ein kleines Keyboard mit sich trug und Michael Jacksons „Billie Jean“ und „Hotel California“ von den Eagles auf Algerisch und in nordafrikanisch anmutenden Arrangements vortrug. Solch bekannte Songs finden sich auf Méhari nicht. Aber Lamouris selbst für Sprachunkundige sehr altersweise klingende Stimme – er ist erst 41 – singt hier den Soul des Maghreb mit solch Gefühl und Groove, da fehlen mir die Worte. Begleitet wird der einstige U-Bahn-Solist von drei Musikern: dem experimentellen World-Music-Gitarristen Mocke, Hammondorgel-Mann Charlie O., der auch schon mal ein komplettes Album mit nur einer Kirchenorgel eingespielt hat, und dem französischem Reggae-Schlagzeuger Baron Rétif. Letzterer obendrein produzierte dieses Album, das ein schöner Beweis für eine analoge Straßenmusikkarriere jenseits von Youtube- und Instagram-Fame ist.

Label: Almost Musique
Format: CD, LP, DL 24/48

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