Professor P.’s Rhythm and Soul Revue
Professor P. vertreibt schlechte Laune mit neuen Werken von DeWolff, Gabriels, L.A. Salami, George Leitenberger und Joel Sarakula.
Freunde, kann sein, dass Ihr diese Seiten mit dem Topflappen umblättern müsst. Sie sind heiß. Hot. Beziehungsweise: heet. Heet en vettig, wie man so sagt im Land der Tulpen, Tomaten und allzeit frisch frittierten Frietjes. Gestern Abend war der Professor nämlich endlich mal wieder ausgerückt, um sich den Kalk aus den Gebeinen zu schütteln, das Glückszentrum auf links krempeln zu lassen und ganz allgemein die Synapsen zu rebooten. Und heute in aller Frühe sitze ich am wärmenden Herd in der Küche und hacke mit kalten Fingern und glühendem Herzen Ultraaktuelles in die Tasten. Im Rotlichtquartier gastierte gestern die beste Band der Welt. DeWolff, das Wundertrio aus Holland, dessen künstlerisches Wirken ich Euch immer und immer und tatsächlich immer wieder empfehlen werde, bis der graue Bart im Brusttoupet verwächst, geht nicht anders. Man traf sich also mit den alten Groovegefährten, dem Rambler und Mr. T, und stieg hinab in einen tiefen Kulturkeller, den Clubdesigner meinten im Stile eines U-Bahnhofs gestalten zu müssen. Voll war’s, das ist man ja gar nicht mehr gewöhnt. Auch auf der Bühne, wo sich das Trio der beiden Brüder und ihres orgelnden Jugendfreundes mittlerweile von einem Bassisten – ausgeliehen von der ebenfalls großartigen Nederland-Band The Dawn Brothers – sowie zwei Backgroundsängerinnen begleiten ließ. Ach, es war ein Abend des Glücks. Southern Rock und Soul in trauter Viersamkeit mit Blues und Boogie, Songs aus einer psychedelischen Paralleldimension. Wäre diese Band vom universellen Masterplan in den Sech- oder Siebzigern platziert worden, sie hätten vermutlich Deep Purple, Led Zeppelin, Cream & Co in Grund und Boden gespielt. So aber haben wir, folks, die Ehre, eine Zeitebene mit DeWolff zu teilen. Checkt ihren Tourplan, das kann ich Euch nur wärmstens auf einem Post-it ans Knie tackern. Sie sind quasi nonstop unterwegs, da bieten sich Chancen! Und zur Einstimmung hört Euch den ersten Song vom neuen Album an, „Night Train“, oder das unvergleichliche „Love Dimension“ vom älteren Werk Roux-Ga-Roux. Jetzt aber verbrennt Euch nicht die Finger, lest weiter, weiter, weiter. Es wird immer besser!
DeWolff – Love, Death and In Between
„Are you ready for the night train!?“ „Yeah!“ „I said, are you ready for the night train??!!“ „Yeaaahh!!“ Oh yeah, Mr. Soulshouter. Ohne Pause geht’s weiter, pumpende Drums, eine Hammondorgel als Lokomotive, Pablo van de Poels Leadgitarre, mariniert in southern grease, flambiert des Hörers Herz … Freunde, selten ward ich so aus den Holzklotschen gehebelt von den ersten 15 Sekunden eines Albums. DeWolff veröffentlichen Love, Death & In Between, ihr soundsovieltes Album in den vergangenen Jahren, freudetrunken verliert man den Überblick, und schon wieder ist es ihr bis hierhin großartigstes. Es gibt keine Kulturschaffenden, die der Professor so oft und regelmäßig mit heißblütiger Leidenschaft auf diesen Seiten würdigte wie DeWolff aus dem grauen Chemieort Geelen in der holländischen Provinz Limburg. Folks, lasst einem alten Narren seine Liebe. DeWolff: Trio-Formation aus dem Flachland, das siedend heißen Soul, Hymnenrock, Bombastblues, Psychedelicpop spielt, nennt es, wie Ihr wollt. Als die drei – zwei Brüder, Drums und Gitarre, und ein Kumpel an der Orgel – 2008 den ersten Plattenvertrag bekamen, waren sie 14, 16 und 17 Jahre alt. Heute sind sie um die 30, noch immer erschreckend jung angesichts ihrer alten Seelen. Das neue Album ist tatsächlich noch soulvoller und groovender als manch Werk zuvor. Vielleicht liegt’s an den neuen drei „B“: Bass, Backgroundchor und Bläsersektion, die bisher nur sehr selten zum Einsatz kamen. DeWolff spielen wie Cream beim legendären letzten Konzert, berauschend und beängstigend lässig. Das Album wurde irgendwo in Frankreich eingespielt, live und kompromisslos direkt analog aufs 24-Spur-Band gebannt. Das klingt authentisch wie einst Otis Redding im Whisky a Go Go. Wie Booker T. im letzten juke joint deep down south, wie Deep Purple in Montreux, Led Zeppelin in meinen feuchten Träumen. Da vereint sich Stax-Soul mit Lynyrd-Skynyrd-Swamp-Rock, Mississippi-Gospel mit Seventies-Psychedelic, Rock’n’Roll mit Voodoo-Vibes. In Sachen DeWolff werden mir in diesem Leben die Worte nicht ausgehen, Freunde. Aber der Platz hier ist beschränkt, von daher hört z. B. dort rein: „Night Train“ (orgiastisch pumpende Opus-Ouvertüre), „Mr. Garbage Man“ (Voodoo-Blues à la Screamin’ Jay Hawkins) und „Will O’ The Wisp“ (Soulballade mit den Füßen in muddy waters).
DeWolff
Love, Death & In Between
Label: Mascot Records
Format: CD, LP, DL 24/96
Gabriels – Angels & Queens, Part 1
An dieser Stelle geht ein Dank an Beyoncé. Nanu, werden Stammkonsumenten unserer kleinen Soulrevue denken, macht der Prof. plötzlich Brustschwimmübungen im Mainstream? Nein, das Schaffen der Frau Knowles lockt den Professor kaum aus der Reserve. Einen anderen aber beeindruckte Beyoncé so sehr, dass ich meine müden Knochen jetzt doch von der Chaiselongue hebe und mit fröhlichem Überschwang durch die alte Shotgunbude tänzele. Jacob Lusk war es, der einst als Junge den Song „Baby Boy“ von Beyoncés Debütalbum Dangerously In Love hörte, sich spontan in Musik und Moves der seinerzeit aufstrebenden Jungkünstlerin verliebte und die gesamte Choreographie des 2003 veröffentlichten Videos zum Song „Baby Boy“ im Wohnzimmer seiner Großmutter einstudierte. Im nicht gerade touristischen Arbeiterstadtteil Compton in Los Angeles war das, zu Zeiten, da alle anderen Jungs eher in Hip-Hop und Gangsta-Rap oder gleich ganz auf Gangsta machten. Lusk aber war mit Kirchengospel aufgewachsen, durfte keine Popmusik hören und erklärte der Oma, es handele sich um ein notwendiges Schulprojekt. Über einige Umwege führte das nun zu Prof. P.’s Rhythm and Soul Revue, meine Lieben. Denn Jacob Lusk ist mittlerweile selbst Popstar, wenngleich einer, dessen Musik Ihr unbedingt hören solltet. Als Sänger der Band Gabriels findet sein enorm vielseitiges Falsett nun den Rahmen, der ihm als jobbendem Gospelworkshop-Leiter für gelangweilte Highschool-Kids bisher verwehrt blieb. Keyboarder und Werbefilmregisseur Ryan Hope und Geiger sowie Filmkomponist Ari Balouzian hatten Lusk für einen Job im Auftrag von Prada verpflichtet, irgendwas mit Handtaschen. Die drei hatten dabei offenbar so viel Spaß, dass sie eine Band gründeten: Gabriels, benannt nach der Straße St. Gabriels, in der Hope im nordenglischen Sunderland aufwuchs. Das Plattendebüt Angels & Queens, Part 1 ist nun genau das, was den Professor spontan begeistert in die Laptoptasten greifen lässt: Gospel in modernen R’n’B-Arrangements, fein groovender Soul, funky Gitarre zu spannend schräg arrangierten Streichern und pointierter Posaune, warm wabernder Bass und knackig groovende Drumbeats. Nur eine knappe halbe Stunde misst das erste Werk. Angels & Queens, Part 2 erscheint ebenfalls bereits dieser Tage. Warum man das im Twostep-Rollout plante? Keine Ahnung. Wohl die Werber-Vergangenheit der Musiker.
Gabriels
Angels & Queens, Part 1
Label: Parlophone/Warner
Format: CD, DL 24/44
L. A. Salami – Ottoline
Wir fliegen jetzt nach Peckham. Keine Angst, die Schneebrillen können im Koffer bleiben. Ich entführe Euch nicht in die Antarktis, wo ein gleichnamiger Gletscher vom Mount McClintock in der Britannia Range des Transantarktischen Gebirges in südlicher Richtung fließt. Unser Peckham liegt in der Britannia Range von London. Peckham, im 19. Jahrhundert noch ein Dorf, gilt heute ja als der Bezirk mit der größten Kulturvielfalt im Königreich. Die Wurzeln der Menschen hier schlängeln sich um die gesamte Welt, reichen nach Afrika, in die Karibik, nach Vietnam. Little Lagos zum Beispiel nennt man einen Teil von Peckham, wegen seiner großen nigerianischen Community. Warum der Professor wieder einmal mit Halbwissen um sich wirft? Little Lagos ist eben auch die Heimat von Lookman Adekunle Salami, kurz L.A. Salami. Und ein kleiner Blick hinter die Kulissen seiner Hood hilft, das kreative Schaffen dieses Ausnahmekünstlers zu verstehen. Salami spielt eine unvergleichliche Crossover-Mischung aus Blues, Jazz, Soul und Rap, so bunt wie die Kleider auf dem Markt in Peckhams pulsierender Basar-Meile Rye Lane. Bob Dylan gehört zu seinen Vorbildern, der frühe Kanye West (bevor dieser in seiner Bipolarität zur Persona non grata mutierte), Neil Young und Leonard Cohen. Sein nun viertes Album in acht Jahren, Ottoline, beeindruckt den Professor in seiner grenzüberschreitenden Genre-Negierung. Da trifft postmoderner Blues auf sanften Folk, Punk-Einflüsse upgraden Soul-Zitate zu einem futuristischen Neo-Soul, ach, ich könnte noch so manch unreife Allegorie zusammenschrauben. Besser ist, Ihr hört Euch das selbst einmal an. Zum Beispiel: „Desperate Times, Mediocre Measures“ (sanfter Rap im London-Akzent mit milder Folk-Grundierung und spartanischen Hiphop-Grooves), „Lady Winter“ (psychedelischer Soul im Shufflebeat von Drums, Bass, Violinen und einer zarten Oboe) und „In Honour Of The Street Lights“ (Akustikgitarre im Geiste des frühen Dylan, begleitet von Jazzsaxofon). L.A. Salami selbst nennt seine Kunst übrigens „lyrically-centered genre-nonspecific music“ – seine Vorliebe für intelligente Texte lässt sich auf seiner Homepage vertiefen, auf der er Notizzettel zur Entstehung einiger Songs eingescannt präsentiert.
L.A. Salami
Ottoline
Label: Sunday Best Recordings
Format: CD, LP, DL 24/96
George Leitenberger – Roadmovies
Man traf sich in einer alten Armaturenfabrik aus den dreißiger Jahren, in Genf, irgendwann vor kurzem. Baute ein paar Mikrofone auf, stöpselte ein Aufnahmegerät in die Steckdose, stimmte Banjo, Bass, Gitarre, Akkordeon, Trompete, Viola und noch dies und das und intonierte gemeinsam groovend die von George Leitenberger auf Reisen komponierten Songs. Ein Hund bellte zwischendurch, vor der Tür stritten ein paar Männer in fremdem Zungenschlag, die alte Heizungsanlage rauschte. High End geht anders, ganz klar, aber diese Platte dürft Ihr Euren verehrten Verstärkern nicht vorenthalten, das ist ein Befehl! Roadmovies, das neue Album des zwischen Genres und Ländergrenzen wandelnden Musikpoeten und gebürtigen Schwaben George Leitenberger, ist ein wunderbares Werk für stille Stunden oder lange Fahrten, man sollte auf jeden Fall hinhören, denn Leitenbergers Texte sind es wert. Er singt von der endlosen Zugfahrt in Mexiko, als zwischen Chihuahua und Los Mochis am Pazifik die Lokomotive verschwand („El Chepe“), von einer Sinnsuche in der Sahara („Debbie & A Million Ghosts“) oder der berühmten Straße in Tunis, die hinaus in die Weite des Landes führt („Boulevard Du Grand Maghreb Arabe“). Zwei Texte lieh er sich vom deutschen Lyriker Henry-Martin Klemt, „Von Anfang an“ (anlässlich des Todes von Leonard Cohen verfasst) sowie „Kerl wie’n Baum“, eine Hommage an den DDR-Songwriter Gerhard Gundermann, dessen Todestag sich am 21. Juni zum 25. Mal jährt. Musikalisch ist das spartanischer Delta-Blues mit orientalisch-afrikanischen Einflüssen, Folk im Stile von J.J. Cales Tulsa Sound, dargeboten von Leitenbergers zugleich knorriger und zarter Stimme. Schön.
George Leitenberger
Roadmovies
Label: Silberblick Musik Berlin
Format: CD, DL 16/44
Joel Sarakula – Island Time
Der Winter war hart. Nicht in Sachen Frost, obwohl ich meinen Iglo ja fast am Polarkreis errichtet habe. Nein, das graue Grauen hing über der Stadt wie ein schlechter Witz. Dumpfes Wetter, uninspiriert vom Schöpfer zusammengerührt an einem Tag, da er einen schlimmen Kater gehabt haben muss. Das drückt selbst den letzten Maniac irgendwann in die Seile. Der Professor, eher zum Club der sanften Gemüter zählend, stolperte über Wochen wie ein Zombie durchs Leben, auf der Suche nach Erlösung. Und die fand ich im Genuss einer tollen Serie, Ted Lasso. Das aber nur nebenbei, kleiner Streaming-Tipp am Rande. Was ich eigentlich sagen möchte: Besorgt Euch das neue Werk von Joel Sarakula, Island Time. Das vertreibt Trübsal. Mein Motto des Jahres lautet ja: Wider die Trantütigkeit. Da kommt Sarakula gerade recht. Der Mann trägt Brillen und Frisur, als sei er eben einem Porno der siebziger Jahre entsprungen, und so klingt ein wenig auch die Musik. „Yacht Rock“ heißt das Genre, ein Terminus, der auf funky Grooves, klirrende Keyboards und den dazugehörigen Cocktail mit Schirmchen verweist. Ich für meinen Teil kann mit solch Kategorisierung eher wenig anfangen, vielleicht weil ein Kanu-Urlaub in Schweden das war, was mich dem Yacht-Lifestyle in meinem Leben bisher am nächsten brachte. Auf jeden Fall hat Sarakula, der auf Island Time Gitarre und Piano spielte und den Drumcomputer programmierte, ein feines kleines Werk vollbracht. Eingespielt hat der Australier sein mittlerweile achtes Studioalbum in Pandemie-Zeiten, teils in seiner zwischenzeitlichen Wahlheimat Gran Canaria. Soul, Pop, Reggae und Funk umtanzen sich in gut geschriebenen Songs wie „Love My Shadow“, „Sun Goes Down“ oder „Lonely Town“. Jamiroquai meets Shawn Lee, wenn Ihr versteht, was ich meine. Es weht, so finde ich, eine leichte Brise vom Meer kommend durch die Arrangements. Luftig klingen sie und gut tanzbar, probiert’s einmal aus.
Joel Sarakula
Island Time
Label: Légère Recordings
Format: CD, LP, DL 16/44