Goldberg, neu gehört – Aus Dresdner Nächten
Der Schriftsteller Eric Siblin schreibt: „Es ist, als ob Bach ideale Musik komponiert hätte – Musik, die die Instrumente überwindet; Musik, die erfunden wurde, um sich neu zu erfinden.“
Die Geschichte ist bekannt, wenn auch vielleicht nicht wahr. Hermann Carl von Keyserlingk, der Gesandte Russlands am sächsischen Hof in Dresden, konnte wegen chronischer Schmerzen nachts nicht schlafen. Um sich die Zeit zu vertreiben (und um vielleicht doch noch einschlafen zu können), bat er seinen Hausmusikus, ihm zu nächtlicher Stunde auf dem Cembalo vorzuspielen. Dieser Hausmusikus hieß Johann Gottlieb Goldberg. Ihn hatte der Graf von Keyserlingk schon als Zehnjährigen – ein Wunderkind – zu seinem Schützling gemacht. Als Goldberg 14 war, schickte ihn der Graf zu Johann Sebastian Bach, um dort eine Art „Meisterkurs“ zu absolvieren. Danach bestellte er beim Thomaskantor in Leipzig auch gleich noch etwas Musik, die ihm „sein Goldberg“ in den langen Dresdner Nächten vorspielen sollte. Ein Variationenwerk – ein Thema und 30 kurze Stücke von vielfältigem Charakter, aber mit einheitlichem Bassverlauf. Das beschäftigt beim Zuhören gut das Gehirn.
Keine Musik wird so oft bearbeitet, adaptiert, transkribiert, arrangiert oder zitiert wie diejenige von Johann Sebastian Bach. Pop- und Rockmusiker montieren Bachs schönste Melodien in ihre Songs, Jazzmusiker improvisieren darüber. „Bach ist der unzerstörbarste aller Komponisten“, sagt der Saxofonist Willem van Merwijk. In der Klassikwelt wiederum gibt es Transkriptionen von Bachs Musik für alle möglichen Ensembles. Die Goldberg-Variationen von 1741 stehen dabei in der Beliebtheitsskala ganz oben.
In meiner Kollektion finde ich Bearbeitungen für zwei Klaviere, für Orgel, für Akkordeon, für Streichquartett, Streichtrio oder Gitarrentrio. Es gibt reine Bläserfassungen – für Saxofonquartett, Blechbläserquintett und sogar Blockflötenquintett –, aber auch Arrangements für Kombinationen wie Violine-Gitarre-Cello oder Oboe-Violine-Tenoroboe-Cello. Kaum ein Werk scheint die Fantasie der Bearbeiter so anzuregen wie dieses.
Eine klangliche Kuriosität ist die Aufnahme des Bassoon Consort Frankfurt (MDG 903 1914-6). Henrik Rabien schrieb das Arrangement speziell für dieses Ensemble, eine reine Fagott-Formation, die er zusammen mit (ehemaligen) Studenten betreibt. Geblasen gewinnt Bachs Musik immer einen „atmenden“, gesanglichen Charakter – auch hier, obwohl sie fürs Fagott überwiegend nach unten oktaviert wurde. Interessant sind die (je nach Register) unterschiedlichen Klangfarben dieses Instruments. In den schnellen, virtuosen Stücken wird häufig der näselnde, leicht humoristische Ton des Fagotts vorherrschend, während in den ruhigen, nachdenklichen Variationen ein beinahe „klagender“ Charakter aufkommt. Die Ensemblestärke variiert zwischen zwei Fagotten (Variationen 7 und 11) und neun Fagotten (Variationen 16 und 29–31).
Eine ganz andere Fassung präsentiert das Arctic Philharmonic Chamber Orchestra aus Norwegen (SIMAX PSC 1353). Sein Leiter, der Geiger Henning Kraggerud, hat Bachs Goldberg-Variationen zusammen mit dem Cellisten Bernt Simen Lund für insgesamt 19 Streicher bearbeitet.
Die Basslinien (die auch in der originalen Cembalofassung immer gut zu hören sind) wurden dabei zeitweilig verdoppelt. Eine Brücke zur originalen Cembalo-Fassung schlägt auch das Pizzicato-Spiel, das für einige Passagen gewählt wurde. Gelegentlich tritt ein Streichquartett aus dem großen Ensemble hervor und markiert besondere Melodieabläufe. Der Gesamteindruck: eine verblüffende Annäherung an die heitere Festlichkeit von Bachs Orchestermusik, die oft ja ebenfalls ohne oder mit nur wenigen Bläsern auskommt.
Sehr ungewöhnlich besetzt ist das in Dänemark beheimatete Ensemble Alpha (Da Capo 8226210). Mit Blockflöte (Bolette Roed), Saxofon (Peter Navarro-Alonso) und Orchesterperkussion (David Hildebrandt) verfügt dieses Trio über ein enormes Spektrum an Timbre und Dynamik. Navarro-Alonso hat an Bachs Werk keinen Ton geändert, verteilt die Noten aber „motivbildend“ auf die Instrumente – er spricht daher von einer „Rekomposition“.
Die verschiedenen Blockflöten- und Saxofongrößen und vor allem die vielen Percussion-Instrumente (Marimba, Xylofon, Vibrafon, Glockenspiel, Güiro, Taiko-Trommel usw.) geben jedem Stück einen besonderen, beinahe schon expressionistisch übertriebenen Charakter. Die variable Instrumentierung schafft auch eine zusätzliche Dynamikkurve über den Gesamtlauf des Variationswerks hinweg.