Handsignierte Werke – Moleküle und Gefühle
In meiner Plattensammlung stehen einige handsignierte Werke. John Lee Hookers 1992 veröffentlichtes Album Boom Boom zum Beispiel. Und das ist etwas ganz Besonderes, denn Delta-Blues-Mann Hooker, 1917 im ländlichen Mississippi geboren, konnte weder lesen noch schreiben.
Seine Unterschrift besteht aus Großbuchstaben, wobei das „N“ in „JOHN“ falsch auf das Albumcover gezeichnet wurde, der Mittelstrich verläuft von links unten nach rechts oben. Für mich stellt dieses signierte Plattencover einen Höhepunkt in meiner sonst nicht besonderen Karriere als Autor dar. Wenn ich das Cover in die Hand nehme, dann weiß ich: John Lee Hooker hatte genau dieses Stück Plattencoverpappe einst in seinen Händen. Es verbindet mich, auf eine das Raum-Zeit-Kontinuum überwindende Weise, mit einem Künstler, den ich verehre. Auf dem Cover tanzen ein paar Moleküle von Hooker und Wesselhöft Hand in Hand. Zum Glück kann ich mir sicher sein, dass die Unterschrift echt ist. Ich selbst hatte den silbernen Textmarker vorab gekauft, passend zum dunkel gehaltenen Cover. Und ich saß daneben, als der Mann seinen Namen schrieb. Auf Hookers Sofa, seine Katze Fluffy auf dem Schoß. Es war 1992, Boom Boom gerade veröffentlicht und Hooker, schon unsicher auf den Beinen, empfing den ambitionierten Jungjournalisten in seinem Haus südlich von San Francisco.
Ach, Freuden der Nostalgie. Diese angestaubte Geschichte soll als Fundament dienen für eine weitere, aktuellere: Und zwar sorgte vor kurzem eine Entschuldigung für Aufsehen in der Musikwelt. Mit den Worten „To my fans and followers“ adressierte Bob Dylan seine Anhängerschaft, und auch das ist etwas sehr Besonderes. Denn His Bobness ruft ja nicht einmal zurück, wenn Oslo auf dem Anrufbeantworter ist und ihm den Literaturnobelpreis überreichen möchte. Nun aber dies. „With my deepest regrets“ entschuldigte sich Bob Dylan für den Verkauf von 900 signierten Ausgaben seines neuen Buches The Philosophy of Modern Song. Denn für 599 Dollar bekamen seine Fans kein handsigniertes Buch, sondern nur ein von einer Signiermaschine unterschriebenes Exemplar. Es sei die „geschriebene Replik“ von Bob Dylans Originalunterschrift, versuchte der Verlag Simon & Schuster sich noch herauszuwinden. Doch wahre Dylan-Anhänger erkennen eine Fälschung. Und es geht ja gar nicht um den eigentlichen Schriftzug, wie jeder Fan weiß. Der macht ein Cover, egal ob von Buch oder LP, grafisch nicht attraktiver. Es geht um dieses gewisse Etwas. Bob Dylan muss das Buch, wenn auch nur für Sekunden, selbst in der Hand gehalten haben. Das mag für Menschen, die nie einen Künstler anhimmelten, nicht zu verstehen sein. Aber für uns andere, die wir Dylan, Hooker & Co. verehren, ist das eine unbezahlbare Verbindung im großen Kosmos der Moleküle und Gefühle.
Immerhin erbrachte der Signier-Schmu etwas Unbezahlbares, etwas, was es im oft irrlichternden öffentlichen Leben des 80-jährigen Bob Dylan noch nie gegeben hatte: eine Entschuldigung.
PS: Unnützes Wissen, Teil 28: In Tulsa im US-Bundesstaat Oklahoma hat vor wenigen Wochen ein neues Museum eröffnet, das Bob Dylan Center. Milliardär und Sponsor Georg Kaiser hatte zuvor Dylans persönliches Archiv mit 100 000 Erinnerungsstücken aufgekauft. Darunter die türkische Trommel, die Dylan zum Song „Mr. Tambourine Man“ inspirierte, sowie die „Blood Notebooks“, drei Notizbücher, die lange als verschollen galten, mit Dylans Song-Skizzen zum Album Blood On The Tracks, erschienen 1975. Warum der introvertierte Dylan der Schau zustimmte? Vermutung: Gleich nebenan residiert das Woody Guthrie Center. Und von dem 1967 verstorbenen Folksänger heißt der größte Fan bis heute: Bob Dylan.
John Lee Hooker – Boom Boom auf discogs(leider ohne Original-Signatur)