Album-Doppel: It’s Time! vs Giant Steps!
Es gibt nicht nur Coverversionen von Songs. „Gecovert“ werden auch Plattenhüllen. Das gecoverte Cover: Ist es witzige Anspielung, respektvolle Verehrung, Parodie – oder hat es einen tieferen Sinn?
Der Mann suchte einfach künstlerische Herausforderungen. Jackie McLean, früh sozialisiert mit Altsaxofon, Bebop und Heroin, sprang in den 1960er Jahren auf die „New Breed“ an, die freie Jazz-Avantgarde. Er wollte die frischen Anregungen der Jungen aufgreifen, die alten Wurzeln aber nicht kappen – er wollte Brücken schlagen zwischen Alt und Neu. Dass das kein kommerzielles Kalkül war, macht schon der Plattentext von 1965 deutlich: „Es gab für ihn sicherlich keinen finanziellen Anreiz, um relativ unerforschtes Gelände zu erkunden; die neue Welle von heute erlebt ein ökonomisch noch trüberes Wetter als ihre Vorgänger vor 20 Jahren.“ Starthilfe für sein „zweites Jazzleben“ hatte McLean durch seinen Sound auf dem Altsaxofon – denn der war schon immer schreiend laut, aufrüttelnd energisch, widerspenstig und unangepasst. „Zuckerfrei“ nannte McLean ihn selbst; er passte zur Energie des neuen, revoltierenden Jazz. Wegen dieses Sounds hatte Charles Mingus den Saxofonisten schon Mitte der 1950er Jahre in seine Band geholt.
Als Brückenschläger zwischen Alt und Neu eignete sich McLean auch deshalb, weil er noch relativ jung war. Er hatte seine Karriere sehr früh begonnen, gefördert von Miles Davis. Tatsächlich waren die beiden „Neutöner“ in McLeans Studioband – Charles Tolliver und Herbie Hancock – nur rund zehn Jahre jünger als er. Die anderen beiden – Cecil McBee und Roy Haynes – kamen noch aus McLeans eigener Generation. Für Tolliver, den Bläserpartner an der Trompete, bedeutete It’s Time! das Plattendebüt. Er lieferte drei Stücke, der Bandleader auch – den Unterschied hört man. Tollivers Stücke sind überwiegend modal angelegt, seine Themen haben sich von der Logik von Akkordfolgen befreit und erinnern an alarmierende, wiederholte Signalmotive. McLeans Stücke dagegen sind noch stark der Hardbop-Welt der Fünfziger verpflichtet, dem funky Blues und der swingenden AABA-Form.
Ein wenig in der Mitte zwischen Alt und Neu liegt das Titelstück (es ist von McLean). Sein Name – „It’s Time“ – soll die Dringlichkeit dieses stilistischen Brückenschlags unterstreichen. Reid Miles, der Hausgrafiker von Blue Note, machte das im Albumtitel zusätzliche Ausrufezeichen zur grafischen Cover-Idee. (Verschwindend klein dagegen: McLeans Porträtfoto rechts oben.)
Die Plattenhülle bot ein Bildkonzept, das ikonisch wurde und das die britische EMI rund 30 Jahre später mit Giant Steps! wieder aufgegriffen hat – nun mit kleinen Schuh-Symbolen.
John Coltranes gleichnamiger Klassiker spielt hier allerdings keine Rolle. Es geht vielmehr um künstlerische „Riesenschritte“ von der Vergangenheit in die Gegenwart. Auch Giant Steps! dreht sich nämlich um einen großen Brückenschlag: von der legendären Blue-Note-Welt in die Welt des Hiphop-Jazz. Künstler wie US3 und Guru hatten um 1990 damit begonnen, die Blue-Note-Archive für den Hip-Hop auszuschlachten, vor allem auf dem Weg des Sound-Samplings. Manche ihrer Stücke bestehen nur aus historischen Jazz-Grooves, Jazz-Compings, Jazz-Riffs, über die ein Computerbeat und ein Rap gelegt sind.
Die Compilation Giant Steps! vereint elf Stücke. Dabei erzählen Zusammenstellung und Reihenfolge nicht ungeschickt von der modischen Verbindung zwischen Blue Note und Hip-Hop. Geradezu programmatisch steht „Cantaloop“ am Anfang, der große US3-Sampling-Hit von 1993 auf der Basis von Herbie Hancocks Stück „Cantaloupe Island“ von 1964. (Hancocks Originalaufnahme entstand nur wenige Wochen, bevor der Pianist mit McLean ins Studio ging.) Interessanterweise wurde für dieses Album aber ein Instrumentalmix von „Cantaloop“ gewählt (Track 1) – ganz ohne menschliche Stimmen, dafür mit einem umfangreichen Trompetensolo von Gerard Presencer. Das rückt das Ganze ein Stück weiter Richtung Jazz.
Nicht nur blickt der Hiphop-Jazz in die Vergangenheit zurück – die Vergangenheit hatte bereits in die Hiphop-Zukunft geschaut. Deshalb gibt es auf dieser Compi auch drei Stücke aus der Zeit um 1970, in denen der Funk-Jazz sich anschickte, soulige Tanzmusik zu werden. „Black Byrd“, eine Aufnahme des Trompeters Donald Byrd, war 1973 einer der bis dahin größten Hits des Labels Blue Note gewesen (Track 3). Passenderweise fühlte sich Donald Byrd auch 30 Jahre später noch im Hiphop-Jazz ganz wohl. Es gibt ein Wiederhören mit ihm in Gurus „Loungin’“ (Track 5) – kein Sampling, sondern ein originales Trompetensolo des damals 60-jährigen Byrd.
Die Sprünge zwischen den Epochen sind auf dieser Compilation in der Tat recht elegant gelöst. Bei den Beastie Boys (Track 6) hört man Richard „Groove“ Holmes’ Hammondorgel prominent gesampelt – eine gute Überleitung zum soulfunkigen „Hot Rod“ des Organisten Reuben Wilson aus dem Jahr 1968 (Track 7). Der Orgelsound zieht sich dann noch durch die nächsten beide Stücke: Wir hören Ronnie Foster gesampelt bei US3 (Track 8) und dann Charles Earland in Lou Donaldsons „Who’s Making Love?“ von 1969 (Track 9).
Nicht fehlen darf auf diesem Brücken-Album auch Gang Starrs „Jazz Music“ (Track 10), eine Rap-Hymne an die große Jazz-Vergangenheit: “There was Hawk, the Prez, and Lady Day and Dizzy, Bird and Miles”. Sogar Charlie Parkers Saxofon wurde für diesen Titel gesampelt. “Yes, the music / it was born down there / We’re gonna use it / so make the horn sound clear.”
Jackie McLean: It’s Time! (Blue Note 58285, veröff. 1965)
Various Artists: Giant Steps! (EMI-Parlophone 827533, veröff. 1993)
Jackie McLean – It’s Time! auf discogs