Jutta Hipp – die virtuose Jazzpianistin, die Verschwand
An Jutta Hipp war nichts gewöhnlich, angefangen bei der Tatsache, dass sie in den 1950er Jahren die einzige weiße Europäerin war, die bei Blue Note Records unter Vertrag stand, bis hin zum Umstand, dass sie sich sechs Jahre nach dessen Unterzeichnung so vollständig aus der Musikszene zurückzog, dass sie nicht einmal mehr ihre Tantiemen kassierte. Am ungewöhnlichsten war jedoch das wunderbare Spiel dieser deutschen Pianistin, das ihr den Spitznamen “Europas First Lady of Jazz” einbrachte.
Eine Kooperation zwischen FIDELITY und dem Copper Magazine
Der Originalartikel erschien im Copper Magazine, Ausgabe 181.
Die gebürtige Leipzigerin kam 1925 zur Welt und begann schon als Kind mit dem Klavierspiel. An sich wollte sie Malerin werden, aber sie liebte es, Jazz zu hören und zu spielen. Mit dem Aufstieg Hitlers, der den Jazz aus dem Rundfunk verbannte, wurde dieses Hobby dann zu einem Zeichen des Widerstands; Als Teenager hörte und spielte Hipp heimlich mit ihren Freunden. Während des Krieges hatte sie als Flüchtling zu kämpfen, doch bereits Anfang der 1950er Jahre hatte sie als professionelle Jazzpianistin Fuß gefasst.
Sie tourte und machte Aufnahmen mit dem Bandleader und Saxophonisten Hans Koller und gründete ihr eigenes Quintett. Schnell erlangte sie einen hervorragenden Ruf als Spielerin und Kollegin. 1954 änderte sich ihr Schicksal auf eine Weise, von der ihre europäischen Jazzkollegen nur träumen konnten: Der berühmte Jazzkritiker Leonard Feather beschloss, ihrer Karriere auf die Sprünge zu helfen. Dies führte nicht nur zu wichtigen Festival-Engagements, sondern auch zu ihren ersten Auftritten in Amerika und zu ihrem Vertrag mit Blue Note. 1956 emigrierte sie endgültig in die USA.
Langfristig verlässliche Arbeit als Pianistin zu finden, wurde allerdings immer schwieriger; Hipp bewältigte diesen Stress durch starkes Rauchen und Alkoholkonsum. Auch wenn es niemand mit Sicherheit sagen kann, könnte diese schwierige psychologische Situation der Grund dafür gewesen sein, dass sie ihre Karriere aufgab. Im Jahr 1960 nahm sie eine Stelle in einer Bekleidungsfabrik an und beschränkte ihr Klavierspiel auf die Wochenenden, bevor sie schließlich ganz mit dem Spielen aufhörte. Sie blieb 35 Jahre lang in dieser Fabrik und starb 2003, in Jazzkreisen weitgehend vergessen, aber zum Glück auf Tonträgern festgehalten.
Genießen Sie diese acht großartigen Stücke von Jutta Hipp.
1. Track: “Indian Summer”
Album: Jutta Hipp: The German Recordings
Label: Jazzhus
Jahr: 1955/2012
In den drei Jahren, bevor sie bei Blue Note unterschrieb und in die USA kam, machte Hipp einige Aufnahmen für das Label Jazzhus. Hier spielt sie mit ihrem Trio, Harry Schell am Bass und Karl Sanner am Schlagzeug.
In den frühen Jahren ihrer Karriere waren ihre bevorzugten Klaviereinflüsse der intellektuelle Bebop von Lennie Tristano und der blues- und gospelorientierte Hard Bop von Horace Silver. Auf dieser Aufnahme von Victor Herberts “Indian Summer” kann man das Wirken dieser beiden Kräfte hören.
2. Track: “My Heart Stood Still”
Album: Jutta
Label: Fresh Sound
Jahr: 1954
Als weitere Zusammenstellung früher Aufnahmen wird auf dem Album Jutta das Quintett der Pianistin geboten, mit dem sie bis zu ihrer Übersiedlung nach Amerika auf Tournee war. Es handelt sich sowohl um Live- als auch um Studioaufnahmen, die in Frankfurt und Köln entstanden sind.
Auf dieser Aufnahme von “My Heart Stood Still”, die sich schnell zu einer wilden, polyphonen Improvisation entwickelt, beweist sie einen leicht wirkenden Sinn für Swing. Eines der Markenzeichen ihres Up-Tempo-Stils ist die Verwendung einer zusätzlichen Note in der rechten Hand gegen bestimmte Noten in der Melodie als eine Form der Interpunktion.
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3. Track: “Yogi”
Album: Cool Dogs & Two Oranges
Label: Jazzhus/Fresh Sound
Jahr: 1954
Cool Dogs & Two Oranges ist ein Studioalbum des Jutta Hipp Quintetts. Es vermittelt einen guten Eindruck von dem Ensemble. Hipp war die Gründerin, nicht der Star, und der Schwerpunkt lag auf dem Zusammenspiel der beiden Saxophonisten Emil Mangelsdorff und Joki Freund. Ehrlich gesagt ist Hipp hier die beste Ensemblemusikerin. Dem engen Zusammenspiel der Saxophone fehlt es an Präzision.
Es gibt keine Kompositionshinweise auf dem Album, aber das Stück “Yogi” ist in einem Standard-Bebop-Stil gehalten. Hipp hält sich meist im Hintergrund und liefert rhythmische Akkorde. Bei ihrem kurzen Solo um 1:45 trifft sie jedoch die überraschende Entscheidung, fast gerade Achtelnoten zu spielen, die nicht geswingt sind, was ein faszinierendes Gefühl von Synkopierung vermittelt.
4. Track: “Flamingo”
Album: Deutsches Jazz Festival
Label: Brunswick
Jahr: 1954
Es war der Einfluss von Leonard Feather, der Hipp den Weg auf die Bühne des Deutschen Jazzfestivals ebnete. Auf diesem Album tritt sie in der Combo des Altsaxophonisten Hugo Strasser auf, in der auch ihre üblichen Bassisten und Schlagzeuger Hans Kresse und Karl Sanner mitspielen.
“Flamingo” ist ein Stück von Ted Grouyer, das durch das Duke Ellington Orchestra berühmt wurde. Dieses Stück zeigt eine andere Seite von Hipp. Ihr Solo, das bei 2:31 beginnt, basiert mehr auf stark swingenden Akkorden als auf einer einzelnen Melodie, was dem akkordischen Charakter des Arrangements entspricht.
5. Track: “Jeepers Creepers”
Album: At the Hickory House, Vol. 1
Label: Blue Note
Jahr: 1956
1956 war Hipp bereits als Blue Note-Künstlerin etabliert. Das brachte sie in die Gesellschaft höherwertiger Musikerkollegen, als sie in Europa finden konnte, ganz zu schweigen von den erstklassigen Fähigkeiten des Produzenten Alfred Lion und des Tontechnikers Rudy Van Gelder.
Der Unterschied ist bei dieser Live-Aufnahme aus dem Hickory House in Midtown Manhattan sofort zu hören. Zu Hipp gesellen sich der Bassist Peter Ind und der Schlagzeuger Ed Thigpen. Bei ihrem Spiel des Harry-Warren-Stücks “Jeepers Creepers” von 1938 demonstriert Hipp ihre absolute Kontrolle über die Tastatur. Jede Note hat eine bestimmte Stärke und einen bestimmten Zweck innerhalb jeder Phrase. Inds Bass-Solo ist es wert, dass man dranbleibt.
6. Track: “Moonlight in Vermont”
Album: At the Hickory House, Vol. 2
Label: Blue Note
Jahr: 1956
Dasselbe Konzert im Hickory House in New York lieferte das Material für eine zweite LP.
Hipp hatte eine Vorliebe für schnelles und kantiges Tempo, daher ist es ein Genuss, sie etwas Langsames und Sentimentales wie “Moonlight in Vermont” spielen zu hören. Es ist eine nachdenkliche, gar verträumte Interpretation, vollgepackt mit Ideen, die sie zwischen den Phrasen der beliebten Karl-Süssdorf-Melodie einfügt, die 1944 von Margaret Whiting in die Welt gesetzt wurde.
7. Titel: “Violets for your furs”
Album: Jutta Hipp with Zoot Sims
Label: Blue Note
Jahr: 1957
Jutta Hipp with Zoot Sims ist das beste Album der Pianistin. Leider hatte sie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung die Welt der Musik bereits zugunsten eines gesicherten Einkommens verlassen. Es ist fast schmerzhaft, diese Duette mit dem großen Saxophonisten Sims zu hören und sich vorzustellen, welche anderen Kollaborationen Hipp hätte eingehen können, hätte sie nur Zugang zu der atemberaubenden Liste von Blue Note-Künstlern gehabt.
In seinen Liner Notes beschreibt Feather das Album mit dem Geist einer Live-Show, obwohl es im Studio aufgenommen wurde. Die Combo, die von Ahmed Abdul-Malik am Bass und Ed Thigpen am Schlagzeug unterstützt wird, bietet eine wehmütige Kulisse, vor der sich die beiden Stars auf “Violets for Your Furs” ausdrücken. Hipp setzt einen subtilen Kontrapunkt, während Sims die Melodie einleitet.
8. Track: “Too Close for Comfort”
Album: Jutta Hipp with Zoot Sims
Label: Blue Note
Jahr: 1957
Hier ist ein weiteres Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Sims und Hipp.
Bei “Too Close for Comfort” stammt die fast körperlose Trompetenlinie im Refrain von Jerry Lloyd. Sims zeigt sich von seiner entspannten, aber virtuosen Seite, und Hipp’s Solo ab 3:25 ist der entspannten Kreativität des Saxophonisten angepasst.
Unser herzlicher Dank geht an das Copper Magazine.