Lärm ist wie Gestank im Ohr
Vor langer Zeit habe ich einmal gelesen, dass man mit den Augen, wären sie so empfindlich wie die menschlichen Ohren, eine Zeitung auf dem Mond lesen könnte.
Ich kann nicht beurteilen, ob das stimmt oder ob es sich damals nur um eine Räuberpistole aus der Feder eines HiFi-Redakteurs handelte, aber sicher ist, dass der Hörsinn sehr leistungsfähig und sensibel ist. Von allen Sinnen ist er der differenzierteste. Das Ohr ist sensibler, genauer und auch leistungsfähiger als unser Auge. Es kann zwischen zehn Oktaven unterscheiden und reagiert auf Schallwellen, also Luftdruckveränderungen, im Frequenzbereich zwischen 16 bis 20 000 Hertz. Der Gehörsinn macht es uns möglich, bis zu 400 000 Töne zu unterscheiden und sogar die Richtung, aus der sie kommen. Seine Leistungsfähigkeit erst ermöglicht uns unser Hobby.
Doch wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Der entscheidende Nachteil unseres guten Gehörs ist die Tatsache, dass es sich nicht gänzlich abschalten lässt, obwohl das manchmal dringend notwendig wäre. Haben Sie es schon einmal versucht? Die gängigen Hilfsmittel, beispielsweise Ohrstöpsel, dämpfen laut Herstellerangaben mittlere und hohe Frequenzen um bis zu 35 Dezibel, im Bassbereich allerdings deutlich weniger. Totenstille ist etwas ganz anderes. Die Techno-Gartenparty des Nachbarn lässt sich damit jedenfalls nicht ausblenden, so viel ist klar. Was für eine Wohltat wäre es, die Ohren so leicht verschließen und öffnen zu können wie die Augen.
Da sich einige Lärmquellen wie Verkehr, Flugzeuge oder Bahn nur indirekt beeinflussen lassen, sollten wir bei denjenigen, die wir in der Hand haben, umso umsichtiger verfahren. Nicht jeder steht auf Beethovens Fünfte in Originallautstärke, auch wenn sich das so mancher Leser dieses Magazins nicht vorstellen kann. Die Geschmäcker sind verschieden, und das muss man respektieren. Übrigens gibt es entgegen landläufiger Meinung auch kein Recht auf Lärm im privaten Bereich. Die Geburtstagsparty, bei der man einmal im Jahr so richtig aufdrehen darf, gehört ins Reich der Fabeln. Daran ändert auch eine Ankündigung nichts. Das werden Sie spätestens merken, wenn die Polizei vor der Tür steht und Ihre Feier beendet, aber dann ist es zu spät und das Verhältnis zur Nachbarschaft ist dauerhaft gestört.
Für die Rücksichtnahme gegenüber dem Nachbarn wird man irgendwann in der Zukunft allerdings entlohnt werden. Halten Sie die Fenster geschlossen, wenn Sie Ihren Lautsprechern mal wieder so richtig die Kante geben, beachten Sie die Uhrzeit und machen Sie leiser, wenn Sie darum gebeten werden. Oder steigen Sie für einen Abend auf den Kopfhörer um. Vielleicht können Sie den Nachbarn auch gleich zum gemeinsamen Hörabend gewinnen und finden so einen Freund fürs Leben. Letztendich handelt es sich bei Musik um disziplinierten Lärm, und Lärm macht krank. Das kann man nicht ignorieren – aber eine gute Musikanlage macht auch leise Spaß.