In einem Wort: saugut!
Der Platz in unserem Magazin ist knapper, als man denkt, die Themenvergabe beruht auf entsprechend weit vorausgreifenden Planungen. Da kommt es nicht oft vor, dass uns Geräte dazwischengeraten, für die wir alles umkrempeln. Der Voxativ T211 Integrated ist eine dieser seltenen Ausnahmen.
In aller KĂĽrze
Ein unglaublich musikalischer Röhrenverstärker, der seiner Klasse voll und ganz gerecht wird, sich zugleich aber traut, wie eine Röhre zu klingen. Ein grandioses Konzept!
Im Januar hatten wir Besuch von Dirk Halfmann. Er leitet den Vertrieb von Voxativ und brachte die 9.87 vorbei, deren Test sie vermutlich schon in FIDELITY 61 oder hier auf www.fidelity-online.de (hier geht’s zum Test) entdeckt haben. Im Gepäck hatte er nicht nur die mehrteiligen Standlautsprecher inklusive Zubehör und erforderlicher Takelage, sondern auch einen kapitalen Röhrenverstärker, den er mit rotem Kopf und viel FingerspitzengefĂĽhl auf unserem Rack platzierte. Tatsächlich hatte er den T211 „vorsichtshalber“ eingepackt, wie er erklärte. Ein Röhrenverstärker passe einfach superb zum leistungsstarken Breitbänder der 9.87, andererseits gebe es nur wenige Modelle, die mit einem passenden Pre-Out ausgestattet sind – und der sei zwingend geboten, da die Standbox zwei aktive Woofer besitze, die separat angesteuert werden.
Vorhang auf fĂĽr den Voxativ T211
Einmal im Rack, entpuppte sich der 211 als unverrückbar. Saftige 45 Kilogramm bringt der Bolide auf die Waage – eine Gewichtsklasse, die einen skeptischen Blick ins Datenblatt des Mobiliars rechtfertigt, das bei uns zum Glück bis 60 Kilogramm je Stellfläche trägt. Wie viele andere Röhrenverstärker wuchtet man auch ihn nicht gern durch die Gegend, da Transformatoren und Übertrager das Gehäuse heftig hecklastig machen. Also lernten wir, für ein knappes halbes Jahr mit unserer neuen Immobilie zu leben. Und es dauerte nicht lange, bis sich der spritzige Vollverstärker als wichtiges Arbeitstier etabliert hatte, das bei nahezu jedem Test der kommenden Wochen und Monate zum Einsatz kam.
Doch ehe wir uns im Anekdotenreigen verlieren, sollten wir über Voxativ sprechen und über die Frage, warum es den T211 gibt. Wie Sie wissen, hat sich die Manufaktur aus dem Süden Berlins exklusiven Lautsprecherkonzepten verschrieben. Ines Adler und ihr Team treiben das Breitbandkonzept auf die Spitze. Sie entwickeln und produzieren die Chassis nach hauseigenen Rezepten in Handarbeit und verpacken sie in kompromisslos verarbeitete Hochglanzgehäuse, die perfekt neben den Konzertflügel eines Zwanzigerjahre-Varietés passen würden. Natürlich sind Röhrenverstärker mit ihrer Musikalität, Offenheit und ihrem reichhaltigen Tonspektrum perfekte Spielpartner für derartige Kreationen. Das einzig Dumme an der Sache (ich erwähnte es ja schon): Zur Ansteuerung einiger Voxativisten benötigt man einen Pre-Out, der an Kolben-Vollverstärkern merkwürdig selten ist. Und so entwickelte sich allmählich ein Gedanke, der im T211 Integrated seine Inkarnation fand.
“Die haben einfach einen verdammt schönen Klang”
Entwickelt wurde der außergewöhnliche Röhrenverstärker von Stefan Noll – eingefleischten Röhrenkennern sicher ein Begriff –, der seit einigen Jahren zum Team von Voxativ gehört. Angesprochen auf die verwendeten Endstufenröhren, erzählte er mir im Verlauf eines langen Telefonats, die 211er seien gewissermaßen die Initialzündung für das ganze Projekt gewesen. „Die haben einfach einen verdammt schönen Klang“, erklärt er lachend. Und sie passten perfekt zu den Breitbändern der Berliner, da beides, Treiber und Röhre, in den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts entstand. Freilich habe die 211 wie jeder Kolben ihre individuellen Vor- und Nachteile.
Dem vorzüglichen Klang stehe eine extrem geringe Ausgangsleistung gegenüber, die bei den Wirkungsgradmonstern von Voxativ allerdings kein Problem darstelle. Die Pi (um 90 dB) oder ihre Ablegerin, die 9.87 (bis 110 dB), holen aus dem Verstärker gehörig was heraus. Die Leistung des T211 Integrated auf einen Wert festzunageln sei derweil kaum möglich. Man gehe bei Röhren immer mit einem zugedrückten Auge an die Messung – zwei, drei Prozent Klirr seien hier eher Regel als Ausnahme.
Außerdem verhalte sich ein Verstärker – und das gilt bei Amps dieser geringen Leistungsklasse doppelt und dreifach – je nach Impedanzverlauf des Lautsprechers völlig anders. Voxativ respektive Noll geben ihren T211 mit 2 x 12 Watt bei zwei Prozent Klirr an. In der konservativeren Ein-Prozent-Messung werde die Leistung deutlich einstellig, kurze Impulse pusten die Röhren mit bis zu 24 Watt heraus, wie Noll anmerkt. Die exakte Leistung bleibt also ähnlich rätselhaft wie die Heisenbergsche Unschärferelation, die übrigens ebenfalls aus den Zwanzigern stammt.
Der T211 als fleiĂźiges Zugpferd
Ich sollte an dieser Stelle anmerken, dass ich bis zum Telefonat mit Stefan Noll nie über die Wattleistung des T211 nachgedacht habe. Die direkt geheizten Trioden von Psvane (das spricht sich übrigens „Pi-sväjn“) sind erstaunlich groß, und genauso musizieren sie auch: Im Verlauf der rund sechs Monate in unserem Hörraum sahen sie mehr als ein Dutzend „komplexe Lasten“ in Form von Standlautsprechern und Kompakten mit teilweise kniffligem Wirkungsgrad. Und in jedem Fall erwies sich der T211 als fleißiges Zugpferd, dass stets sauber, stressfrei und lebhaft voranpreschte. Es gilt zu beachten, dass sich die Leistungsangaben auf acht Ohm beziehen.
Im Test kam der Amp aber auch spielerisch mit jedem Vier-Ohm-Lautsprecher klar, was seine effektive Leistung knapp verdoppeln dürfte. Sollten Sie jetzt trotzdem das Gefühl haben, dass Sie bei 2 x 12 Watt raus sind, hier noch ein kleiner Hinweis: Mit dem T805 Integrated bieten die Berliner eine nahezu baugleiche Variante mit 2 x 30 Watt an – der kräftigere Bruder des 211 stützt sich allerdings auf die „züchtigere“ 805er-Triode, dürfte also etwas disziplinierter aufspielen – da ich ihn nie gehört habe, vermeide ich das Wort „nüchterner“. Wie gesagt: Alles hat seine Vor- und Nachteile …
Noll merkte im Gespräch an, dass es sich bei den verwendeten 211ern um „Selected Types“ mit vergoldeten Steckkontakten handelt. Die werden vom Hersteller paarweise abgestimmt und samt handgeschriebenem Messprotokoll ausgeliefert. Diese Röhre sei der reinste Luxus. Die Garantie laufe ab dem im Zertifikat vermerkten Auslieferungstermin, was eine gewisse Eile bei der Weiterverarbeitung erfordere. Um die hochkarätige Röhre angemessen in die Schaltung einzubinden, vertraue Noll auf teure Teflonsockel, die er „nach Diskussionen mit Berlin“ durchsetzen konnte.
Auftrag: Technische Finesse
Darauf angesprochen, ob ihn der Verstärker im Detail vor besondere technische Herausforderungen gestellt habe, zögert der Entwickler. Eigentlich sei die gesamte Konstruktion so außergewöhnlich, dass er da keinen bestimmten Aspekt herausheben könne. Auch hier sollten wir eine „Anmerkung der Redaktion“ einstreuen: Die Berliner gaben bei Noll freilich nicht nur „irgendeinen“ Vollverstärker in Auftrag. Bekanntermaßen handelt es sich bei Voxativs Kreationen um exklusive Manufakturware, die in Handarbeit entsteht. Die Röhre sollte nicht nur klanglich harmonieren, sondern sich auch haptisch und in ihrer technischen Finesse nahtlos an die Genussmittel der Berliner anschmiegen.
Diese Vorgabe veranlasste Noll, eine völlig neue Konstruktionsweise zu entwickeln. Zentrale Rolle spielt hier die Bodenplatte des Verstärkers, auf der alle Komponenten montiert werden. Erst wenn der neue Verstärker eingebrannt wurde, alle Testdurchläufe absolviert sind und jedes Bauteil mehrfach überprüft ist, wird ganz am Ende das wuchtige Gehäuse über den „Rohling“ gestülpt. Diese Bauweise biete gleich mehrere Vorteile: Zum einen konnte Stefan Noll den Verstärker so ohne sichtbare Schrauben gestalten.
Konstruktions-Kniffe
Außerdem muss er sich keine Sorgen machen, die kostbaren eloxierten Gehäuse zu beschädigen – ein glücklicher Zufall, da der Verstärker entwickelt wurde, als die Rohstofffrage noch nicht ihre aktuelle Brisanz hatte. Er könne zudem problemlos von allen Seiten an den Schaltungen arbeiten, was beim T211 doppelt wichtig sei: Um den Klang auf das angestrebte Niveau zu bringen, habe er „reingepackt, was geht“, wie der Entwickler erläutert. Im Grunde genommen sei der 211er aufgebaut wie zwei diskrete Mono-Röhrenverstärker. Es gebe bis hin zur zweiten Siebdrossel viele doppelte Bauteile. Da das Chassis durch diesen Kniff proppenvoll geriet, musste er am Ende mehrere Meter Masseverdrahtung zwischen den Schaltungen verlegen, um Brummen weitestgehend auszuklammern – was ihm hervorragend gelungen ist, wie wir wissen.
“Hören” als wichtigster Entwicklungsschritt
Bei den Bauteilen verzichtete Noll derweil auf mystische Wundermittel. Vom ursprünglichen Rohentwurf des T211 bis zum heutigen Auslieferungszustand hörte er sich durch zahllose Zwischenstufen, probierte jede Alternative aus, die ihm in die Finger geriet. Hier und dort sitzen Teile in den Schaltungen, die man bei einem Verstärker dieser Klasse nicht erwartet. Das gelte etwa für die kleinen Kölbchen der Eingangs- und Treiberstufe, bei denen für Noll Serienkonstanz und Verlässlichkeit im Vordergrund standen. Es handele sich um 6SL7- (Eingang) und 6SN7-Röhren aus russischer Militärproduktion, von denen er glücklicherweise noch so viele habe, dass er sich vorerst nicht nach Alternativen umsehen müsse.
Und mit diesen Aspekten steckten wir auch schon mitten in der Frage, wie ein Preis von über 20.000 Euro für eine Röhrenschaltung zu rechtfertigen sei, die im Prinzip schon mehr als 70 Jahre auf dem Buckel hat. Noll verweist hier auf die mehrjährige Entwicklung. Außerdem habe die ursprüngliche Planung vorgesehen, dass er etwa dreieinhalb Tage an jedem Exemplar arbeite. Mit den unterschiedlichen Einbrennvorgängen, all der Abstimmung, Messung und den vielen nachträglichen Korrekturen an jedem Modell benötige ein T211 aber mehr als eine Woche, ehe er die Werkstatt verlasse.
Der Teufel steckt im Detail
Außerdem musste er viele unkonventionelle Detaillösungen entwickeln. So werden die Transformatoren und Übertrager für Voxativ maßgefertigt. Und dann ist da noch der Attenuator, der als Pegelabschwächer eingesetzt wird: Nach vielen Versuchen entschied sich Noll gegen ein Poti von der Stange und entwarf eine komplexe Widerstandsmatrix, die seiner Meinung nach am musikalischsten tönt und gleichzeitig haptische Vorzüge mitbringt. Die Widerstände seien so gewählt (kleinere Abstände im unteren Regelbereich), dass man den riesigen Regler an der Gehäusefront voll ausschöpfen kann. Um auf Zimmerlautstärke zu kommen, mussten wir ihn meist deutlich über die 12-Uhr-Stellung hinausbewegen.
Am Anfang stehen 63 Kilogramm
Zuletzt kommt Noll auf die schiere Masse des Gehäuses zu sprechen. 63 Kilo Aluminium müsse er im Block einkaufen, aus dem dann das nahtlose Gehäuse herausgefräst werde. Die Masse erfüllt eine klangliche Mission: Mit steigendem Gewicht sinkt die Resonanz des Materials in unhörbar tiefe Frequenzen. Außerdem sei das Gehäuse eine verlässliche Größe bei der Trittschalldämmung. Die Schaltungen und Röhren eines 45-Kilo-Verstärkers lassen sich bestenfalls von einer Elefantenherde anregen.
Damit verlassen wir allmählich den Tech-Talk und begeben uns in den Hörraum. Zunächst ein Aspekt, der vor allem Stromknauser freuen dürfte: Aus dem Kaltstart ist der T211 erstaunlich schnell betriebsfähig. Schon nach wenigen Minuten stand jene betörende Abbildungstiefe im Hörraum, die uns im Lauf des Tests immer wieder zu verzaubern wusste. Klar, vor allem die oberen Lagen der Höhenabbildung klingen in den ersten Minuten noch etwas bissig, doch gibt sich das nach spätestens einer Viertelstunde. Kurzum: Diese Röhre kann man getrost abschalten.
Der T211 klingt “typisch röhrig”
Am besten ließe sich der T211 mit Attributen wie „typisch röhrig“ charakterisieren. Der Verstärker besitzt ein zugespitztes Konzept und macht das Beste daraus: Seine Wiedergabe ist reich an Nuancen, und er traut sich, den Höhen eine „flirrige“ Note zu verleihen, ohne zu viel hinzuzufügen – im Ergebnis steht ein seidiger Glanz und eine Offenheit, die vor allem im Zusammenspiel mit der riesigen, extrem tiefen Abbildung überzeugen kann. Es ist die reinste Wonne, wie die Hallfahnen auf der Stimme von London Grammars Hannah Reid (Californian Soil) in die Unendlichkeit entschwinden.
Dem Verstärker gelingt es auch, sanfteste Schwebungen und Modulationen im Sustain von Peter Greens Slidegitarre in den Hörraum zu zeichnen („Albatross“). Außerdem gehört der spritzige Röhrenverstärker zu jenen Gesellen, die unweigerlich den Fuß und Kopf des Zuhörers in Bewegung versetzen. Wenn man über Stunden Titel wie Fleetwood Macs „The Chain“ lauscht, kann das bis zum Muskelkater gehen – meiner Meinung nach ist das die wichtigste Eigenschaft von Verstärkern dieser Art: Man verliert sich in der Musik und vergisst alles andere!
Wenn Sie die Achillesferse des T211 kennenlernen möchten, dann schnappen Sie sich einen kniffligen Kompaktlautsprecher und geben Sie bei einem Titel wie Louisahhh!!!s „Change“ Vollgas. Schnell werden Sie wissen, weshalb man in Techno-Clubs keine Röhrenverstärker einsetzt. Trotzdem muss ich dem T211 Integrated auch in dieser Situation Respekt zollen: Er gibt sich auch bei solchen (nicht ganz fairen) Extremen alle Mühe, komprimiert merklich mit jedem Schlag der Bassdrum, verliert dabei aber nichts von seiner herausragenden klanglichen Finesse. Außerdem sollte man die hauseigenen Kombinationen nicht vergessen: Derselbe Titel war über die 9.87 mit ihrem aktiven Subwoofer das reinste Spektakel!
Technische Daten
Konzept: Röhren-Vollverstärker mit 211er-Psvane-Endstufentrioden
Frequenzgang: 20 Hz bis 20 kHz
Signal-Rausch-Abstand: 97 dB
Klirrfaktor: 2 %
Röhrenbestückung: 2 x 211 (Psvane „Selected Type“, mit Goldkontakten), 2 x 6SN7 (Treiberstufe), 2 x 6SL7 (Eingangsstufe)
Eingänge: 3 x Line (Cinch)
Eingangsempfindlichkeit: 180 mV
Ausgänge: Pre-Out, Lautsprecherklemmen (8/16 Ω)
Ausgangsleistung: 2 x 12 W
Leistungsaufnahme: 220 W
AusfĂĽhrung: Schwarz eloxiert
Gewicht: 45 kg
MaĂźe (B/H/T): 43/25/47 cm
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: um 22.900 €
Kontakt
Voxativ GmbH
SchmiedestraĂźe 2
15745 Wildau
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