VPI Avenger mit Tonarm JMW 12 3D – Captain America
Die Mischung macht’s: Neben ausgefeilter Technik setzt VPI bei seinen Plattenspielern auf eine smarte Kombination unterschiedlicher Werkstoffe. Schon der kleinste Avenger ist ein Fest für eifrige Materialforscher.
In aller Kürze
Der VPI Avenger erscheint wie ein Superheld: groß, schwer, unerschütterlich. Mit seinen vielfältigen Einstellmöglichkeiten lässt er sich feinfühlig auf Musikalität trimmen, um den Musikern selbstlos die große Bühne zu überlassen.
The Avengers heißt Marvels Science-Fiction-Filmreihe, in der die Figur des Captain America einer der Superhelden ist. Mit seinem Schild aus dem Wundermaterial „Vibranium“ beschützt er die Welt vor Bösewichten und anderen Spielverderbern. Ob die Namensgebung und die Form des VPI Avenger dem Comic-Helden mit seinem markanten runden Schild geschuldet ist, bleibt Spekulation. Sicher hingegen ist: Das vom amerikanischen Familienunternehmens VPI Industries für ihren Plattenspieler mit dem Namen „Avenger“ verwendete Material ist ein ziemlich reales Sandwich aus drei miteinander verklebten Lagen Acryl/Aluminium/Acryl mit Dämpfungsmaterial zwischen den Lagen und darf garantiert nicht vibrieren.
Drei Edelstahlsäulen, an die jeweils Tonarmbasen angeflanscht werden können, ragen markant aus dem Chassis hervor und bilden auf der anderen Seite die Aufnahmen für die drei Aufstellfüße des Avenger. Diese aus Aluminium und Delrin bestehenden Füße sind relativ weich mit einer speziellen Dämpfungseinlage an das Chassis geschraubt. Damit lässt sich der Plattenspieler auf seiner Stellfläche planparallel ausrichten, was die Voraussetzung für optimale Performance ist. Der 10 Kilogramm schwere Aluminiumteller sitzt auf einer ziemlich großen chromgehärteten Stahlkugel, die sich in einer Phosphorbronzebuchse dreht, wobei sich diese wiederum am Ende des invertierten Lagers aus einer Edelstahlwelle befindet. Auf dem Teller liegt eine zweilagige Filzmatte mit VPI-Logo.
Der 24-polige AC-Synchronmotor sitzt in einer ca. 3 Kilogramm schweren separaten Motordose aus Stahl, ebenfalls in optisch passender zylindrischer Gestalt, die neben dem Avenger aufgestellt wird und mit Gummifüßen entkoppelt ist. Der Antriebsriemen befindet sich auf Höhe des Lagers, um Kippeffekte zu vermeiden. Die Toleranzen der antriebsrelevanten Bauteile befinden sich im Hundertstelmillimeterbereich oder sind sogar noch enger toleriert, wie im Fall der Motorriemenscheibe, was eine außergewöhnliche Laufruhe garantieren soll. Insgesamt wiegt der Avenger in dieser „kleinsten“ Ausbaustufe stattliche 30 Kilo und erleichtert die Geldbörse im Gegenzug um satte 18 990 Euro. Eine Aufrüstung auf die Versionen Plus und Reference beinhaltet unter anderem einen Reibradantrieb mit separater Motorsteuerung, eine Magnetdämpfung für den Plattenteller und aufwendiger entkoppelte Füße sowie ein Upgrade des Tonarmes. Das Konzept des Avenger wurde schon vor über 15 Jahren von Firmengründer Harry Weisfeld erdacht, aber aufgrund der hohen Auslastung mit anderen Projekten erst vor etwa fünf Jahren realisiert. Vor diesem Hintergrund ist der VPI Avenger als eine ausgereifte Konstruktion und langfristige Investition in die highendige Musikwiedergabe anzusehen.
Länge läuft
Länge läuft, sagen die Segler, und dieser Gedanke kommt mir beim 12-Zoll-Tonarm JMW 12 3D gleich in den Sinn. Demnach laufen längere bzw. schlankere Formen schneller und spurtreuer, sind jedoch andererseits nicht so wendig. Wer schon einmal auf einem Segelschiff (mit)gesegelt ist, weiß ganz genau, dass die Voraussetzung für das Vorankommen ein optimaler Segeltrimm ist, also ein möglichst günstiges Verhältnis von Widerstand und Vortrieb. Um die gegensätzlichen Eigenschaften in Balance zu bekommen, hilft Minimierung der Kontaktfläche und Leichtbau, wie beim renovierten JMW-Tonarm mit neuester 3D-Drucktechnologie praktiziert. Es handelt sich um einen sogenannten Uni-Pivot, also einpunktgelagerten Tonarm, der auf minimale Reibung und optimale Balance ausgelegt wurde. Damit das besonders leicht gelingt, wurde das ursprüngliche Metallrohr durch einen Epoxidharz-Verbundwerkstoff ausgetauscht. Er wird in einem 3D-Druckverfahren hergestellt, mit dem sich nahtlose konische Konturverläufe mit gleichmäßigen Materialeigenschaften herstellen lassen, was zu einem gleichmäßigen Schwingungsverhalten und damit Störarmut verhelfen soll.
Headshell, Tonarmrohr und Glocke sind in diesem Verfahren, quasi „aus einem Guss“ gedruckt, mit den integrierten Metall-Inlays wie Lagerspiegel und seitlichen Metallauslegern für die Azimut-Balance. Aus der Glocke wird das Tonarmkabel, hier in der Standardausführung aus Reinkupferdraht, herausgeführt und mittels Lemo-Stecker mit der Cinch-Anschlussbox auf der Tonarmbasis verbunden. Optional ist der Tonarm auch in einer Version mit Nordost-Verkabelung und zusätzlichem CFK-Mantel erhältlich. Am hinteren Ende des Tonarmrohres wird ein asymmetrisches Tonarmgewicht aus Metall aufgesteckt und mit einer Schraube fixiert. Der Schwerpunkt wird somit Richtung Nadelspitze nach unten verschoben, was abermals zur guten Balance beiträgt. Der Tonarm lässt sich leicht wechseln bzw. einfach aufsetzen auf die in der Höhe verstellbare Wolframcarbid-Lagerspitze und sehr feinfühlig in Waage bringen oder, um im Bild zu bleiben, optimal trimmen für den analogen „Wellengang“. Das mag zunächst ungewohnt wacklig erscheinen, man merkt aber sehr schnell die enorme Stabilität und Leichtigkeit beim Umgang mit dem Tonarm, ist er einmal in Balance gebracht. Dazu trägt auch die stattliche Basis aus einer hochfesten Aluminiumlegierung bei, die dreilagig aufgebaut ist, sodass der Arm über ein feinfühliges Drehrad in der Höhe variiert werden kann – und das während des laufenden Spielbetriebes. Zur Stabilisierung ist zwischen Tonarm-Arretierung und -Lift nochmals ein Stift eingesetzt, der den Ausleger fixiert, wenn die optimale Höhe bezüglich vertikalem Abtastwinkel (VTA) gefunden ist. Der Aufwand lohnt sich gerade bei 12-Zoll-Tonarmen, weil sich mit zunehmender Länge auch Fehlstellungen an der Basis umso gravierender an der Nadelspitze auswirken.
Bei der Justierung des 12-Zöllers stand ich aber trotzdem zunächst erst einmal etwas auf dem Schlauch, weil selbst nur im Besitz von Einstellschablonen kürzerer Tonarme. Die beiliegende Einstelllehre mit dem Namen „JMW Alignment“ erschien mir zunächst zu simpel für meine Ansprüche und die Einstellmöglichkeiten des Tonarmes. Mangels einer kurzfristigen Alternative habe ich die Lehre dann doch ausprobiert – und siehe da, mit Kenntnis des erforderlichen Pivot-Spindel-Abstandes von 300 Millimeter lässt sich der Tonabnehmer über das eingravierte Linienmuster inklusive Nadelauflagepunkt hinreichend genau einstellen. Auflagekraft, VTA und Azimut können danach durch die vielfältigen Einstellmöglichkeiten optimal feinjustiert werden. Antiskating wird klassisch mittels Faden und cleverem Umlenk-Rotor realisiert, wenn man denn möchte. Weil nahezu alle Parameter frei zueinander einstellbar sind, kann man sich hier als Ungeübter allerdings leicht verirren. Zuallererst sollte die Tonarmbasis am Plattenspieler so angebracht werden, dass der Tonarm schon mal eine passende horizontale Lage zum Plattenteller hat, wo man ja mit der Nadel hin möchte. Das Tonarmgewicht ist relativ leicht zu verstellen und nicht immer ganz symmetrisch in Position zu bekommen. Es hat sich aber gezeigt, dass die Balance später einfacher durch die seitlichen Ausleger optimiert werden kann – hier führen mehrere Wege zum Ziel.
Wellengang
Der Tonarm JMW 12 3D fühlt sich ungewohnt leicht an, wenn ich ihn in Startposition für das aufgelegte Album bringe. Der mir zur Verfügung stehende 3D-Tonarm hat keinen Fingerbügel, sodass ich die Headshell und das Tonarmrohr direkt berühre und fühle. Die Oberfläche ist strukturiert und fühlt sich gar nicht metallisch kühl an; das ist neu für mich, aber gut gemacht und solide. Ich habe meinen Tonabnehmer Genuin Sting in der Headshell eingebaut, eine Kombination eines Denon DL-103 mit einer Van-den-Hul-Nadel, tonal ein sehr guter Kompromiss aus packender Spielfreude und guter Auflösung. Sobald die Nadel in die Rille eintaucht, stabilisiert sich der Einpunkter zügig von selbst, die Balance stimmt. Vielleicht der gewählten Konfiguration geschuldet kommt mir zuerst Stings neues Studioalbum The Bridge (sein fünfzehntes) in den Sinn. Nach meinem Geschmack musikalisch eines seiner besten Alben, und auch klanglich ist es exzellent. Was in der guten alten Vinylschallplatte musikalisch und klanglich steckt, ist für mich manchmal unfassbar, der VPI liefert dem Musiker Sting dazu die passende Bühne. Die Stimme von Sting ist zwar hörbar gealtert, aber nach meinem Dafürhalten auch gereift, ist facettenreicher und musiziert sehr harmonisch zusammen mit den exzellenten Instrumentalisten, als da sind Dominic Miller, Branford Marsalis oder Manu Katché.
Der Tieftonbereich ist druckvoll, trocken und kommt sofort auf den Punkt. Es scheint mir, als habe jemand die Bühne ein Stück weit um den Frequenzkeller erweitert. Beim Umschalten auf meinen Subchassis-Plattenspieler wird dieser erweiterte Frequenzbereich des Avenger sofort deutlich hörbar. Der musikalische Gesamteindruck lässt sich dabei auch nicht durch einen noch exklusiveren Tonabnehmer aus meinem Sortiment wie z. B. das Lyra Kleos oder einen besonders guten Phonovorverstärker wie z. B. von Canor oder Cyrus zugunsten meines Vergleichsplattenspielers verschieben. Im Gegenteil, in diesem speziellen Fall reicht dem Avenger meine relativ günstigere Trichord Dino mit Zusatznetzteil vollkommen aus, um ein sehr spielfreudiges und dabei natürliches Klangbild in meinen Hörraum zu zaubern. Beruhigend ist für mich die Tatsache, dass es keine unterschiedlichen Klangwelten sind, die hier im Vergleich musizieren. Es kommt auch nicht darauf an, die teuersten Komponenten zusammenzustellen, man muss seine Anlage genauso aufeinander abstimmen, wie man das von unterschiedlichen Musikern bzw. Instrumenten gewohnt ist. Umgekehrt stellt sich natürlich die Frage: Lohnt sich diese relativ große Investition in ein Laufwerk wie den VPI Avenger? Die Antwort ist ein klares Ja, weil das Klangbild dadurch einfach natürlicher wird und dies an anderer Stelle nur mit erheblichem Aufwand kompensiert werden kann, wenn überhaupt. Vor diesem Hintergrund könnte man den VPI Avenger schon als so etwas wie einen analogen Superhelden bezeichnen, vielleicht aus einer anderen Zeit, aber bestimmt aktueller als je zuvor.
Info
Plattenspieler VPI Avenger
Konzept: Masselaufwerk mit Sandwichchassis (Acryl/Aluminium/Acryl) und hochpräzisem Motor; bis zu drei Tonarme möglich
Motor: AC-Synchronmotor mit 300 U/min., Genauigkeit ± 0.005″
Plattenteller: Aluminium (Durchmesser 12″, Gewicht 10 kg)
Maße (B/H/T): 69/25/58 cm (Stellfläche 58 x 50 cm)
Gewicht: 34 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: ab 18 990 € (inkl. Tonarm JWM 12 3D)
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