Curtis Harding: “So einfach ist das. So einfach”.
Seine Jugend verbrachte er mit Gospel und Gottesfurcht. Später war er Backgroundsänger bei berühmten Hiphop-Bands. Heute singt Curtis Harding den Soul. Im Interview mit FIDELITY verrät er, was er als Sohn einer Wanderpredigerin lernte, dass Musik Luft zum Atmen braucht – und warum Bongo-Trommeln und Geigen gut harmonieren.
Fotografie: Matt Correia, Philip Wesselhöft
Es ist 20.40 Uhr deutscher Zeit, zwanzig vor vier nachmittags in Atlanta, Georgia. Ich warte auf Curtis Harding. Der amerikanische Soulsänger hat sein neues Album veröffentlicht, If Words Were Flowers. Ein Meisterwerk. Der Termin für das Interview wurde sehr kurzfristig vereinbart. Ich habe den Laptop für den Videocall daher in der Küche eines Freundes aufgebaut, mit dem ich zum Champions-League-Gucken verabredet bin. Vor zehn Minuten hätte das Gespräch beginnen sollen, aber das Chat-Fenster bleibt dunkel. Im Bildschirm spiegeln sich der Kühlschrank, ein Toaster, ein Stapel CDs und ein Poster von AC/DC an der Wand dahinter. ,Rock’n’Roll‘, denke ich noch, da grummelt es aus dem Lautsprecher. Auf dem Monitor erscheint ein schwarzer Schnurrbart samt freundlichem Lächeln. Mit tiefem Bass – seine Singstimme ist deutlich heller – und warmem Südstaaten-Swing begrüßt mich Curtis Harding. “Hey man, how’re ya doin’?” Er entschuldigt sich für die Verspätung, jetzt kann’s losgehen. “I’m aw-right now, man. I’m oh-kee-do-kee and good to go!”
FIDELITY: Mr. Harding, bevor wir über Ihr neues Werk sprechen, ein Wort zum Cover: Man sieht Sie mit den Schuhen in der Hand an einem Strand. Sie leben aber in Atlanta, weit ab vom Meer. Auch das Video zur ersten Single Hopeful zeigt „Black Lives Matter“-Proteste in den Straßen von Atlanta. Wieso diese Strandszene?
Curtis Harding: Erstmal: Wir haben schöne Strände in Georgia, Mann. Setz dich in Atlanta ins Auto, in vier Stunden bist du am Atlantik. Allerdings sind die Fotos in Malibu entstanden. Mein Bruder lebt mit seiner Familie in L.A., ich habe viele Freunde da. Warum dieses Foto? Es gefällt mir. Ein guter Freund hat’s gemacht. Ich muss nicht Atlanta zeigen – auch wenn dort ein großer Teil meines Lebens spielt, das stimmt. Immerhin bin ja ich auf dem Foto. Zwar in Malibu, aber was soll’s … (lacht)
Für die Aufnahmen aber sind Sie in Georgia geblieben. Sie waren zum Beispiel in den Standard Electric Studios in Scottdale, einem Vorort von Atlanta.
Nur für die Drums. Ich habe ja bei einigen Stücken alle Instrumente selbst eingespielt, beim Titeltrack zum Beispiel. Meine Schlagzeugmikrofone sind allerdings echt scheiße, das muss man so deutlich sagen. Also bin ich zu Standard Electric gefahren, um diese Parts neu einzuspielen.
Ich wollte eigentlich nach den Vibes in dem Studio fragen, das sich in einer ehemaligen Kirche befindet. Sie sind als Kind einer Gospelpredigerin aufgewachsen …
Guter Gedanke. Ich war auch kürzlich wieder in den Studios, dieses Mal tatsächlich für Gesangsaufnahmen, für ein anderes Projekt. Die Vibes sind wirklich besonders. Ein toller Ort.
Wo haben Sie das Album denn aufgenommen? Im Booklet ist noch ein Studio namens „Velvet Touch Sounds“ aufgeführt. Darüber ist aber nichts im Internet zu finden.
Das will ich hoffen. Während der Pandemie habe ich große Teile der Platte nämlich zu Hause aufgenommen. Wobei „zu Hause“ genau genommen verschiedene Orte sind, ich bin mal hier, mal da. Velvet Touch, das bin ich, das ist mein Sound. Samtig. Die Rohaufnahmen habe ich dann Stan (Cohen; Hardings langjähriger Produzent, Anm. d. Red.) in die Hände gedrückt. Er ist ein Wunderheiler, wenn es darum geht, schlechte Aufnahmen in etwas Brillantes zu verwandeln.
Hatten die Aufnahmeorte Einfluss auf den Sound?
Ganz sicher. Wenn ich in Atlanta etwas einspiele, werde ich von unsichtbaren Vibes beeinflusst. Wenn ich in Malibu bin, ebenso. Und Sam arbeitet dann in einem Studio in Upstate New York an den Songs, mitten im Wald, während draußen die Rehe grasen und die Fledermäuse herumfliegen. Da ist viel Raum, viel Luft zum Atmen. Das hört man auf dem Album. Die Instrumente haben Raum zur Entfaltung.
Ihre Karriere startete in Atlanta. Sie waren zunächst Backgroundsänger für unter anderem CeeLo Green, der mit Gnarls Barkley zu Weltruhm kam. Atlanta hat offenbar Soul – obwohl man bei Soul eher an Memphis oder Motown denkt.
Atlanta hat Soul. Und Soul ist nicht nur Musik. Soul ist Erfahrung. Schwarze Lebenserfahrung. Das meinte Jimi Hendrix mit „Are You Experienced?“. Ich habe gestern auf einer Fashion Show einen Typ auf dem Laufsteg beobachtet. Der hatte Soul. Einfach durch die Art, wie er sich bewegte, wie er da war.
Sie bezeichnen Ihren musikalischen Stil als Slop’n’Soul. „Slop“ nennt man ja auch Essensreste …
Slop steht für alles Dreckige, Unfertige, Wilde. Für funkige Gitarren, für schnell laufende Basslinien. Der P-Funk von Parliament-Funkadelic, das ist Slop, eine bunte, irre Mischung. Die haben ihren Sound gefunden. Das ist auch mein Ziel. Den Curtis-Sound zu finden. Mit jedem Song komme ich dem ein bisschen näher.
Die erste Single des neuen Albums, Hopeful, startet mit Gospelstimmen und Geigen. Dann rappen Sie. Das Gitarrensolo klingt wie ein schräges Keyboard. Alles zusammen formt einen warmen Sound im Stil der siebziger Jahre.
Gute Zusammenfassung (lacht). Das ist die Mixtur von Sounds, die ich mag, so simpel ist das. Da steckt Funk drin, Gospel, Hip-Hop, Afrobeat, und, ja, Soul.
„The One“ dann fängt mit Bongos und einer warmen Bassline an, „I Won’t Let You Down“ und „It’s A Wonder“ sind ebenfalls sehr bassgetrieben. Sie haben mal gesagt, Sie seien ein großer Fan von Bassist James Jamerson, dem Motown-Funkbrother. Warum spielen Sie eigentlich Gitarre und nicht Bass?
Ganz ehrlich: Andere können besser Bass spielen als ich. Deswegen siehst du mich auch nicht mit einem Bass auf der Bühne. Aber wenn ich Songs schreibe, dann mache ich das oft auf dem Bass. „The One“ oder auch „Can’t Hide It“ habe ich auf dem Bass komponiert. Eine gute Basslinie ist die treibende Kraft bei den meisten meiner Songs. Ich komme vom Rhythmus. Als Kind war ich Schlagzeuger. Ohne Groove, Mann, kein Move.
Viele Ihrer Songs fangen mit Bongo Drums an – und mit Geigen. Die Violine ist aber kein typisches Rhythmusinstrument.
Ich liebe Geigen. Wunderschönes Instrument. Finden Sie nicht?
Oh doch. Ich hätte nur nicht vermutet, dass ein ehemaliger Schlagzeuger mit Faible für Bass- und Bongo-Intros auf Violinen steht …
Wissen Sie, ich halte gar nichts davon, sich soundmäßig bei jedem Album neu erfinden zu wollen. Nach all den Jahren als Musiker spiele ich den Sound, der aus mir erwächst. Mit Bongos, starkem Bass und, ja, mit Violinen. Das ist einfach mein Sound. Instrumente sollen sich ergänzen, nicht im Wettstreit stehen. Ich habe nicht die Mittel, mit einem Orchester auf Tour zu gehen. So aber schaffe ich zumindest im Studio einen gewissen orchestralen Sound.
Ihre Mutter ist Gospelsängerin. Sie verbrachten Ihre Kindheit on the road, auf dem Weg von einer Kirche zur nächsten. Was haben Sie dabei gelernt?
Mit Aufrichtigkeit im Herzen zu singen. Manchmal haben wir nur für eine Handvoll Menschen gespielt. Meine Mutter und ich und das rhythmische Klatschen der Besucher, das Stampfen mit den Füßen. Da singst du, was du bist. Wer du bist. Du musst nicht der beste Sänger der Welt sein, um die Herzen der Menschen zu berühren, Mann. So einfach ist das. So einfach.
Ihre Mutter Dorothy hat ja einen eigenen Youtube-Kanal …
Wow, das wusste ich ja gar nicht!
Tatsächlich, ja. Sie singt dort Gospellieder. Allerdings vor sehr kleinem Publikum. „To God Be The Glory“ zum Beispiel hat nur 81 Aufrufe.
Ich bin froh, dass Sie mir das erzählen, wirklich, Mann. Das werde ich mir gleich anschauen. Meine Mutter bei Youtube … Ich habe gerade vor ein paar Tagen mit ihr gesprochen. Ich habe ein paar Songs für sie geschrieben. Sie braucht einen neuen Ansatz. Etwas Eigenes, eine eigene Platte. Sie hat eine wunderschöne Stimme. Allerdings ist sie auch eine Persönlichkeit. Ich bin ihr „Baby Boy“, ihr Sohn, und im Studio muss sie dann auf mich hören. Das wird, ich sag mal, spannend.
Sie waren früher Backgroundsänger im Hip-Hop. Was hat Sie dieses ganz andere Leben on the road gelehrt?
Performance. Wie du deine Musik rüberbringst. Wie du mit dem Publikum kommunizierst. Riesige Konzertsäle, Sportarenen, das ist was anderes, als in einer kleinen Kirche auf dem Land zu singen.
Sie waren 2005 im Studio dabei, als CeeLo Green und Danger Mouse als Gnarls Barkley den Welthit „Crazy“ aufnahmen.
Ich wusste sofort: Das ist ein Hit. Alle im Studio wussten: ein Monsterhit. Ich habe mir damals das Papier mit den Lyrics mitgenommen, das Original von CeeLo. Hängt eingerahmt bei mir zu Hause an der Wand.
Brian Burton – Danger Mouse – produzierte dann Ihr Album Face Your Fear. Er ist einer der begehrtesten Produzenten der Welt, hat mit Jay-Z, Norah Jones und den Red Hot Chili Peppers gearbeitet.
Ich war ihm seit jener Session damals zehn Jahre nicht begegnet. Dann trafen wir uns plötzlich in New York auf der Straße, zufällig. Haben Nummern ausgetauscht, und plötzlich ging’s los im Studio. Right place, right time. Fate, man.
Über Face Your Fear schrieb ein Kollege: Die Musik könnte der Soundtrack sein für eine Hochzeit – oder auch eine Beerdigung.
Schöner Satz.
Wie schaffen Sie es, dass man zugleich weinen und lachen möchte bei Ihrer Musik?
Das macht Musik aus. Musik ist etwas Magisches, Mystisches. Man weint, man lächelt, man lacht. Warum, weiß ich nicht, Mann. Ich sing nur meine Songs.
Curtis Harding, If Word Were Flowers bei jpc gibt’s hier.