Die Beschwörung der Rille
Unser Autor Hans von Draminski sah sich auf der High End 2022 in München nach analogen Schwergewichten, drehenden Neuheiten und sonstigen “Vinylitäten” um. Hier sind seine Eindrücke von der ersten Branchenmesse nach drei Jahren …
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Teil 1 (Analog)
Touraj Moghaddam grinst über das ganze Gesicht. Der britisch-persischen Entwicklerlegende, einst Mastermind hinter Roksan und im Jahr 2022 mit Vertere nicht minder innovativ und erfolgreich, ist die Freude anzusehen: endlich wieder HIGH END in München, endlich wieder Menschen, die genau wissen, wie gut eine analoge Quelle klingen kann. Aber auch Menschen, die für sich das Phänomen Plattenspieler vielleicht gerade erst entdecken, denen es primär um das gute Hören und dann erst um die Technik geht.
Dass das Auge mitisst, pardon, mithört, weiß aber auch Touraj Moghaddam. Deshalb pendelt das Design seiner Dreher wohlausgewogen zwischen futuristisch und traditionell. Der Mann, der die Szene vor Jahrzehnten mit dem Roksan Xerxes von hinten aufrollte, er ist sich im Klaren, was seine Fangemeinde will. Und die Fangirls und Fanboys wissen ihrerseits, wo sie Vertere im lichtdurchfluteten Atrium finden. Hier präsentiert Moghaddam stolz seine neuen „Silencer“ – hochkomplex in Schichtbauweise konstruierte Unterstellfüße, die auch auf etwas problematischeren Stellflächen ihr beruhigendes Werk tun.
Neues aus dem Rheinland
Ein paar Meter weiter können der deutsche Plattenspieler-Guru Jochen Räke und sein Team sogar neue beziehungsweise tiefgreifend überarbeitete Laufwerke vorstellen, beispielsweise den Transrotor Max, dessen skulpturales Äußeres in sattem Mattschwarz als „Max Nero“ noch besser zur Geltung kommt. Der Massimo Nero (Test in FIDELITY 62) macht es dem Max nach und kommt schwarz wie die Nacht daher. Den Transrotor Strato Nero gibt es seit neuestem auch in elegantem Schwarz-Weiß-Design. Das riesige Laufwerk mit seinen drei Antrieben wurde von Jochen Räke wie gewohnt bis ins Detail ausgefeilt. Weil es keine eleganten und zuverlässigen Hebelvorrichtungen für die große Acrylhaube gab – richtig gehört: man trägt wieder Haube! – entwickelten die Gladbacher einfach eine eigene Mechanik, die wohl auch dann noch störungs- und knirschfrei hebelt, wenn der Dreher selbst schon lange aufgehört hat zu existieren.
Farbenfrohe Kooperation
Nicht alle Hersteller finden freilich in den noblen Räumen der beiden Atrien Platz, deshalb ist eine der Erdgeschoss-Hallen fast ausschließlich dem Thema „Analog“ gewidmet. Hier findet man am Stand von Audio Trade (ATR) beispielsweise die ganze Phalanx von Project-Modellen. Vom bezahlbaren Einsteigerkomplettpaket-Dreher bis zum Premiumprodukt gibt es bei dem österreichisch-tschechischen Plattenspielerproduzenten mittlerweile alles. In einer großen Pressekonferenz verkündete Pro-Ject-Inhaber Heinz Lichtenegger sein „Projekt Balanced“, wie er es scherzhaft ausdrückte. Mit einer leisen Entschuldigung, dass er nicht längst auf diese Idee gekommen sei, verriet er, dass ab nun alle kompatiblen Drehermodelle mit MC-Abtastern mit symmetrischen XLR-Ausgängen ausgeliefert werden. Zur Erinnerung: MC-Abtaster arbeiten per Definition symmetrisch, ihre Signale werden bei den meisten Drehern allerdings asymmetrisch an den Entzerrer durchgereicht. „Kompatibel“ bedeutet in diesem Zusammenhang ganz einfach, dass a) der Platz für die zusätzlichen Ausgänge vorhanden sein muss und b) der Dreher auch für MC-Abtaster geeignet ist.
Als Hingucker dienten bei ATR allerdings zwei andere Gäste: Einmal der als limitierte Edition verkaufte „Metallica“-Spieler, dessen Zarge die Form einer Schwermetall-Rockgitarre hat. Ein Sondermodell, das die Band ursprünglich für ihren eigenen Merchandise-Internetshop bestellt hatte – und das angesichts vieler Hardrock-Fans auf dem Planeten schnell ausverkauft sein dürfte. Außerdem verkündete der Vertrieb mit Doppelsitz in Mülheim und Eltville seine neue Kooperation mit Perpetuum Ebner. Die größeren Laufwerke (4040, 7070) des legendären Herstellers können über ATR Audio Trade in einer neuen, völlig ungekannten Farbvielfalt geordert werden. Wolfgang Epting zeigte der versammelten Journalistenschar in einer eigenen Pressekonferenz gemeinsam mit ATR-Geschäftsführer Markolf Heimann gleich ein paar „Serviervorschläge“ in kräftigem Gelb und Orange. Freilich wirke sich der individuelle Farbwunsch auf die Lieferzeit aus, wie er betonte. Damit könnten wir angesichts der neuen Farbpracht aber leben.
14 Zoll!
Die Produkte von Dr. Christian Feickert sind alles andere als Massenware, vielmehr hochpräzise Abtastinstrumente, die nach wie vor überwiegend in Handarbeit entstehen. „Ich habe mir meinen Tag genau eingeteilt“, erklärt der sympathische Entwickler aus dem Schwarzwald, der sehr bewusst auf Klasse statt Masse setzt. Und deshalb zur HIGH END sein bekanntes Portfolio vorstellt – inklusive des mit 14-Zoll-Arm konfigurierten Blackbird, mit dem Feickert locker gegen deutlich teurere Konstruktionen antreten kann. Gleich nebenan haben die Verstärkerspezialisten der kleinen hessischen Schmiede Trigon auch feine Phonovorstufen im Regal stehen, die auf souveräne Neutralität getrimmt sind und mit überragender Anfassqualität punkten.
Am Stand der Erlanger Hightech-Firma Clearaudio präsentierte Geschäftsführer Robert Suchy mit einigem Stolz einen nagelneuen Phonoverstärker. Auch ein neuer Tonarm ergänzt das inzwischen äußerst umfangreiche Clearaudio-Programm. Das neue 24-Volt-Netzteil durfte die FIDELITY-Redaktion schon ausgiebig testen und ist über die nachhaltige Verbesserung von Gleichlauf, Durchzeichnung und schierer Schwärze des Tieftonbereichs nach wie vor begeistert. Vor der Halle parkt der historische VW-Bus, in dem ein erschütterungsfestes Laufwerk auf Basis des Clearaudio-Flaggschiffs „Statement“ die Outdoor-Fähigkeiten der Konstruktion unter Beweis stellt. „Wir werden mit dem Bus gerne für Hochzeiten gebucht“, verrät der zuständige Clearaudio-Mitarbeiter grinsend.
Korrekturmaßnahme
Spannende Neuheiten konnte die Legendäre Analogschmiede Thorens verkünden: Industriedesigner Helmut Thiele machte uns auf eine neue (alternative) Variante des TD 1601 aufmerksam, für dessen Tonarm TP 160 er ein neuartiges, hochpräzisens Schneidlager entwickelte. Kurz darauf wies uns Inhaber Gunther Kürten auf “seine” neue Modular-Vorstufe TPP 1600 hin: Die könne bis zu fünf Line- oder MM- sowie MC-Phono-Platinen mit je zwei Zugängen beherbergen (insgesamt also 10 Quellen) und erlaube es, Spurwinkelfehler und Kanalabweichungen des Abtasters zu korrigieren. Die Kompensation erfolge rein analog. Alles was man dazu benötigt, ist eine Schallplatte mit Messsignalen und das riesige Messinstrument an der Gehäusefront. Die Veröffentlichung liege allerdings noch in ferner Zukunft: Das endgültige Verkaufsmuster komme wohl erst nächstes Jahr zur High End.
Eine dicken Brummer konnten wir bei Norbert Lehmann bestaunen: Der Kölner erklärte uns, Kunden wünschten sich immer wieder tellerauflagen aus Korg, das Material sei bei den meisten Anbietern jedoch zu dünn. Sie kennen das sicher – schon die Feuchtigkeit der Umgebungsluft genügt, um die Auflage wellig zu machen. Das kann mit Lehmannaudios neuer Stage 1 nicht passieren. Die ist sechs Millimeter dick und zählt damit zu den Kalibern, für die man den Tonarm neu justieren muss.
Komplexer Schachtelhalm
Um den Titel des wuchtigsten Drehers der Show dürften sich OMA (Oswalds Mill Audio) und Kronos streiten. Interessanterweise drehte sich unser Gespräch in Beisein des gewaltigen Discovery um den erstaunlich filigranen neuen Tonarm der Kanadier: Der ist aus mehreren ineinander verschachtelten Materialschichten aufgebaut – vornehmlich Carbon -, die sich nicht nur eng aneinander schmiegen, sondern auch unterschiedliche Längen haben. Der Grund für die komplexe Konstruktion des 12-Zöllers liegt auf der Hand: Vibrationen und Resonanzen vermeiden beziehungsweise einzelne große Störungen in mehrere kleine Aufbrechen.
Die einstigen Plattenspieler-Könige von Linn zeigten verschiedene (farbenfrohe) Variationen ihres LP12, setzten in der Vorführung allerdings stark auf Digitalequipment. Gehört wurde auf dem Messestand hauptsächlich gestreamter Stoff. Die Analogfahne halten indes vor allem kleinere unbekannte Unternehmen hoch. Im italienischen Todi sitzt New Horizon Audio. Hier wird Plattenspielerbau nach alter Schule gepflegt, im durchnummerierten Portfolio finden sich extrem preiswerte Brettspieler für unter 400 Euro ebenso wie ein liebevoll gemachtes Subchassis-Laufwerk namens „GDS II“ für knapp 5400 Euro, das sich nach Kundenwünschen aufrüsten lässt, insbesondere in Sachen Arm und System. Die Italiener haben es dabei geschafft, das Firmendesign mit der leicht geschwungenen Zarge konsequent durchzuhalten.
Step-up
Step-up-Transformatoren für MC-Systeme waren einmal sehr gefragt, um die vergleichsweise schwachen Signale gängiger (Low-Output-)MCs für die auf MM ausgelegten Phonostufen preiswerter Vollverstärker tauglich zu machen. Das Prinzip lebt – bei Fonolab gab es solche Vor-Vorverstärker in sehr solider Machart zu bestaunen, aber leider nicht zu hören.
Die Analog-Manufaktur Germany, kurz AMG, hat ihren bekannten „Giro“-Plattenspieler zur Mk-II-Version weiterentwickelt und an Plattenteller (5,6 Kilo, POM), Lager (mit hydrodynamischer Schmierung), Riemenantrieb (mit ultraleisem Gleichstrommotor aus der Schweiz), Tonarmbasis (vergrößert) und auch an der Elektronik geschraubt. Davon verspricht man sich weitere Resonanzminimierung – nach wie vor das große Thema im High-End – und einen besseren Gleichlauf. Außerdem soll die Kundschaft bei der Tonarmwahl flexibler sein, serienmäßig gibt es das bewährte Neunzoll-Modell des AMG-Teams.
Um die Plattenspieler-Herrlichkeit auch genießen zu können, braucht es stabile Standflächen. Beim koreanischen Tonmöbel-Produzenten Hifistay haben wir eine Linie entdeckt, die selbstbewusst „The Rack“ genannt wird und einen extrem stabilen Eindruck macht. Da schwingt, rappelt und klappert rein gar nichts, und die Tragfähigkeit reicht sogar für die nachgerade riesigen Monoendstufen von Dan D’Agostino aus. Dass The Rack sich auf verschiedene Gerätegrößen justieren lässt, ist das Sahnehäubchen auf der Korea-Torte.
Nach vier Messetagen hilft angesichts der Vielzahl des Gehörten und Gesehenen nur eine Sichtung der Bilder, um wenigstens annähernd den Überblick zu behalten. Bahnbrechende Analogneuheiten waren beim Wiederstart der HIGH END zwar rar, aber der Feinschliff, zu dem viele Hersteller die pandemische Zwangspause genutzt haben, ist durchaus hörbar. Den HiFi-Testern steht wohl ein heißer Herbst bevor.
Infos zur Messe: www.highendsociety.de