The Gryphon Essence Preamplifier und Gryphon Essence Mono – Eine Zeitreise … und ein Geständnis
Es gibt Anlagen, die man auch nach Jahrzehnten nicht aus den Ohren bekommt. Begleiten Sie mich auf eine Zeitreise mit der Essence-Serie von Gryphon.
In aller Kürze
Gute Spielpartner vorausgesetzt, bieten die Essence-Verstärker Musik pur. Schweiß, Blut, Tränen – das ganze Programm. Darum hören wir Musik.
Ganze 22 Jahre schreibe ich jetzt schon über HiFi. Eine Menge Zeit, viel Musik und ein veritabler Berg an Geräten, die seit dem Jahr 2000 durch meine Räume gewandert sind. An die meisten davon kann ich mich kaum erinnern. Es gibt aber ein paar Lautsprecher, Verstärker, CD-Player, die sich in meinem Unterbewusstsein eingebrannt haben. Geräte, die mir in der gemeinsamen Zeit Erlebnisse bescherten, die weit über das hinausgingen, was ich normalerweise beim Musikhören abseits meiner geliebten Konzertsäle erfahren durfte. Ein Name, der dabei immer einen besonderen Platz in meinem Herzen behielt, ist Gryphon. Entsprechend angetan war ich, als sich die Gelegenheit bot, eines dieser Fabelwesen in Augenschein zu nehmen. Mit einer Tasche voller CDs machte ich mich auf den Weg in den redaktionseigenen Hörraum. Dort verdreifachte sich die Freude, denn der vermutete Vollverstärker entpuppte sich als eine Kombination aus Vorstufe und zwei Monoblöcken.
Dann ging alles sehr schnell. Wilson Audios Sasha wurden mittels grandioser Lautsprecherkabel von WestminsterLab angeleint, Tristan und Isolde (Berliner Philharmoniker unter Herbert von Karajan, EMI) wanderte in den CD-Spieler, und ich fiel aus der Zeit, war nicht mehr im Hörraum in Ismaning, sondern wähnte mich 1997 in einem kleinen, sehr besonderen HiFi-Studio in Berlin. Rund um den Winterfeldtplatz in Schöneberg gab es eine Reihe wundervoller Antiquariate, in denen man auch durchaus gut und günstig Schallplatten erwerben konnte. In einem dieser Geschäfte fand ich Richard Wagners Tristan und Isolde (mit Herbert von Karajan und den Berliner Philharmonikern, EMI) in einer englischen Pressung, dazu noch ohne nennenswerte Gebrauchsspuren. Für nur zehn D-Mark erwarb ich diesen Schatz und wollte sofort nach Hause fahren, um den Rest des Tages der Welt abhandenzukommen. Der Zufall wollte es, dass ich auf dem Weg an einem kleinen HiFi-Geschäft vorbeikam, das ich noch nicht kannte. Ich gönnte mir also den kleinen Umweg, und ahnte noch nicht, dass hinter der unscheinbaren Tür eines meiner größten audiophilen Erlebnisse wartete.
In dem kleinen Verkaufsraum stand eine für meine Begriffe völlig absurde Anlage. Ein Paar Audioplan Kontrapunkt wurde von der größtmöglichen Gryphon-Verstärkung angetrieben, damals die Antileon-Monos. Dazu die entsprechende Phono- und Hochpegelvorstufe, davor ein nach allen Regeln der Kunst getweakter Thrones Reference. Der Besitzer des Ladens, Moritz Schley, kümmerte sich nicht weiter um meine Verwunderung und fragte lediglich, ob er meine Platte einmal reinigen und auflegen solle. Gesagt, getan. Ich kann kaum mit Worten beschreiben, wie sehr mich dich folgende Vorführung umgeblasen hat. Sie ist für mich eines der Ideale, an denen ich mich orientiert habe, wann immer ich Modifikationen an meiner Anlage durchführte … Der kleine, dunkle Raum verschwand und die Holzbläser bauten ihre ersten Akkorde in glaubhafter Breite auf – allerdings viel zu breit für das schmale Zimmer. Dann die Streicher, die sich weit und luftig davorlegten. Zuletzt ertönten Kontrabässe, die mit ihrem ersten, unglaublich satten und räumlich genau definierten Pizzicato (acht Bässe in einer Reihe brauchen eine Menge Platz) mein bisheriges HiFi-Weltbild entsorgten und durch ein neues ersetzten.
Ich bin zurück im Ismaning des Jahres 2021, und exakt die gleiche Welle wie vor 24 Jahren bricht über mich herein. Wie kann eine Anlage so echt, so unmittelbar, so wirklich klingen? Und das für einen Musiker, der das Original täglich vor Ohren hat? Mein Gehirn muss nicht umrechnen, nicht die Information aus der Konserve mit meinem täglich erlebten Klang mühsam übereinanderbringen. Denn diese Darbietung fasst mich unmittelbar an.
Als kleines Beispiel mag noch eine weitere CD gelten: Richard Strauss’ Salome in der Sony-Aufnahme mit Zubin Mehta und den Berliner Philharmonikern. Normalerweise picke ich aus dieser CD ein paar für jede Anlage gefährliche Stellen heraus, höre kurz nach, wie gut sich die aktuell auf dem Prüfstand befindlichen Geräte schlagen. Dieses Prozedere ist sehr effizient, denn innerhalb weniger Minuten gelange ich damit zu einer zuverlässigen Einschätzung. Allein, diesmal funktioniert es nicht. Ich starte die CD und höre erst wieder auf, als Salome endlich von den Soldaten des Herodes getötet wird. So lächerlich es klingt: Es war mir schlichtweg nicht möglich, zwischendurch zu unterbrechen. Wenn Johanaan Salome aus dem Kerker heraus verflucht, wenn Herodes Wahnsinn nach dem Tanz seiner Stieftochter immer schillernder und offensichtlicher wird – in keiner Sekunde spielen die Gryphons an den Wilsons auch nur eine Spur unbeteiligt. Sie färben nicht, behalten immer die Kontrolle, bieten in Breite und Tiefe einen Raum, der schlicht atemberaubend groß, vor allem aber maßstabsgerecht eingeteilt ist. Es ist, als hätten die Entwickler ihren beiden Monos die Kraft eines Panzers, zugleich aber die Schnelligkeit eines Formel-1-Boliden implementiert.
Wie schaffen sie das? Was macht das Hören mit einem Gryphon-System zu einem Erlebnis?
Sales Director Rune Skov findet solche Fragen gar nicht so spannend. Er selbst hat genau diese Verstärkerkombination in seinem Wohnzimmer stehen und genießt jede Minute damit. Warum das so ist, kümmert ihn herzlich wenig, die Musik zählt. Schließlich lässt er sich doch erweichen und weiht mich ins Firmengeheimnis ein, das eigentlich gar keines ist: Class A, nur eben gut gemacht und bis zum Ende durchgezogen. Bei Class A, so der Entwickler Fleming Rasmussen, gebe es keine Abkürzungen oder erleichterte Bedingungen. Class A bedeutet, dass ein Verstärker bei entsprechender Leistung groß und schwer ist, sehr viel Wärme produziert, noch mehr Strom verbraucht und aus extrem hitzestabilen, daher meist auch kostspieligen Bauteilen bestehen muss. Wer die smarte Lösung einer Class-D-Endstufe sexy findet, ist hier definitiv in der falschen Arena.
Dass Rasmussen es ernst meint, zeigt sich schon bei einem schnellen Blick ins Innere der Endstufen. Große, vergossene Trafos, ganze 880 000 Mikrofarad und zwanzig bipolare Sanken-Transistoren pro Kanal sprechen eine deutliche Sprache: Hier spielen die großen Jungs. Immerhin kann man im Zusammenspiel zwischen Vor- und Endstufe im sogenannten Green Bias Mode den reinen Class-A-Anteil an die eigenen Lautsprecher anpassen und somit die Verlustleistung zumindest ein wenig in Grenzen halten.
Bei beiden Verstärkerstufen fällt auf, dass man im Hause Gryphon freischwebenden Kabeln misstraut. So gut wie jedes Signal oder Strömchen wird hier dicken Leiterbahnen auf den typisch blauen Platinen anvertraut. Mehr Kontrolle über sämtliche Arbeitspunkte und weniger Betriebsvariablen sind die Vorteile. Dafür dauert das Designen der Platinen entsprechend länger, ist für Rasmussen doch auch die genaue Position der einzelnen Bauteile zueinander von entscheidender Bedeutung. Ist alles geschafft, hat man Geräte vor sich, die im Innern so logisch, geradlinig und schön sind, dass man sie eigentlich mit Glasdeckeln ausstatten sollte. Die strikte Kanaltrennung bei der Vorstufe, das saubere Layout in den Endstufen, bei denen man sieht, wie logisch die Verteilwege durch das Gerät gehen – das alles hat schon eine besondere Ästhetik. Natürlich gibt es nicht nur sauberen Maschinenbau, sondern auch Technik auf der Höhe der Zeit. Mittels diverser Halbleiter lassen sich in den Vorstufen unterschiedliche Konfigurationen realisieren, Eingänge benennen, das schon erwähnte Green Bias steuern. Und auch die vielen selektierten Präzisionswiderstände zur Regelung der Lautstärke hören aufs digitale Wort.
Zurück im Hörraum lasse ich mich wieder von den nominell eher bescheidenen 55 Watt der Gryphon-Monos verwöhnen. CD folgt auf CD, und ich freue mich, dass alle anderen Mitglieder der Redaktion in Telefonkonferenzen verwickelt sind und ich hier meine Ruhe habe, eine Musik nach der anderen höre und mich daran erinnere, warum ich überhaupt mit dem Hobby HiFi angefangen habe. Genau wegen solcher Momente. Und deshalb lege ich mich jetzt fest, so sehr ich das normalerweise zu vermeiden suche: Diese Kombination aus Vorstufe und Monoblöcken ist das Beste, was ich je zu hören das Vergnügen hatte. Kein Verstärker konnte mich bis jetzt so tief in die Musik führen, die Zeit vergessen lassen. Natürlich – und das weiß ich auch – ist das eine absolut subjektive Einschätzung. Keine pseudoobjektive Bestenliste kann jemals einem so individuellen Phänomen wie dem Musikgenuss gerecht werden. Bei mir aber, und ich merkte es bei dieser Begegnung wieder, ist es das dänische Fabelwesen. Aktuell in Form der Essence-Vorstufe samt Monoblöcken. Es hilft nichts, ich muss mit dem Lottospielen anfangen …
Info
Vorverstärker Gryphon Essence Preamplifier
Konzept: Vorverstärker mit Dual-Mono-Design
Eingänge analog 2 x XLR (symmetrisch), 3 x Cinch (unsymmetrisch)
Besonderheiten: 43-stufige, digital gesteuerte Lautstärkeregelung über Widerstände, Green-Bias-Link-Ausgang für Green-Bias-Kontrolle mit Gryphon-Power-Endstufen
Optionen: PCM/DSD-DAC-Modul mit USB, 2 x SPDIF, 1 AES und 1 optischem Input; PCM bis 384 kHZ, DSD bis DSD512; MM/MC-Phonomodul
Zubehör: Metallfernbedienung
Ausführung: Aluminium schwarz
Maße (B/H/T): 47/17/39 cm
Gewicht: 13,4 kg
Garantiezeit: 5 Jahre
Preis: um 16 200 €
Endverstärker Gryphon Essence Mono
Konzept: Mono-Endstufen mit Class-A-Schaltung
Stromversorgung: geregelte Spannungszufuhr, 880 000 μF, separate Stromkreise für analoge (Verstärkung) und digitale (Spannungsregelung-)Schaltungen
Leistung (8/4/2 Ω): 55/110/220 W
Bandbreite (-3 dB): 0,3 Hz bis 350 kHz
Ausführung: Aluminium schwarz
Maße (B/H/T): 47/24/46 cm
Gewicht: 45 kg pro Endstufe
Garantiezeit: 2 Jahre
Paarpreis: um 42 600 €
Kontakt
Gryphon Audio Designs ApS
Industrivej 10b
8680 Ry
Dänemark