Billie Eilish – Happier Than Ever: Hauchzart, hausgemacht – und hart
Darauf musste ich lange warten: den neuen Bond im Kino zu gucken. Der Start des letzten James-Bond-Abenteuers mit Daniel Craig war ja immer wieder verschoben worden. Ich werde hier nichts spoilern, nur so viel: No Time to Die (Keine Zeit zu sterben) löste in mir, dem langjährigen Bond-Freund, eher gemischte Gefühle aus. Etwas jedoch überraschte beziehungsweise beeindruckte mich nachhaltig: der Titelsong von Billie Eilish. Und nicht nur mich. Das ganze Kino schien den Atem anzuhalten, als die mit zarter, fast brüchiger Stimme intonierten ersten Songzeilen „I should’ve known / I’d leave alone…“ durchs Dunkel des Saals wehten. Ausgerechnet Billie Eilish, das war mein erster Gedanke. Ausgerechnet Billie Eilish, nicht James Bond, sorgt für meinen emotionalsten Kino-Moment nach Corona. Mit den Popbeats und den meist gehauchten Gesangspassagen von Billie Eilish konnte ich bis dahin überhaupt nichts anfangen.
No Time to Die aber brachte mich dazu, mich ernsthaft und erstmals mit der Künstlerin Billie Eilish zu beschäftigen – und mir letztlich das neue Album Happier Than Ever zu kaufen. Ich gestehe, ich bin ähnlich fasziniert wie im Kinosaal. Eilishs zweites Album ist in positivem Sinne Musik in ihrer Rohform. Ein reduziertes, fast spartanisch wirkendes Werk. Das betrifft zum einen das Equipment: Aufgenommen wurde die Platte in keinem teuren Premium-Tonstudio, sondern im kleinen Homestudio von Billie Eilishs Bruder Finneas O’Connell. Album Nummer eins, When We All Fall Asleep, Where Do We Go?, wurde sogar noch im Schlafzimmer des Elternhauses produziert – und machte Eilish gerade auch wegen der wohlpointierten Sparsamkeit der Sounds und Songs zum gefeierten Weltstar. Fast 100 Millionen Platten hat sie verkauft. Für ihr Debüt erhielt sie allein sieben Grammys, unter anderem für das beste Album des Jahres 2020. Mit heute 19 Jahren gehört sie zu den erfolgreichsten Künstlerinnen der Gegenwart.
Der „Rohform“-Gedanke betrifft aber auch die Struktur der Songs selbst: Die sind geprägt von bestechender Einfachheit. Der Eröffnungssong „Getting Older“ etwa wird getragen von einem einsamen rhythmusgebenden Synthie. Dazu kommt der typische Billie-Gesangsduktus – man hat bei ihr ja immer den Eindruck, dass sie einem aus kürzester Entfernung ins Ohr haucht. Jeder Atemzug ist spürbar und eingebettet in ein zurückgenommenes Arrangement aus Bässen und sphärischen Synthies. Das war schon das Erfolgsrezept bei Hits wie „Bad Guy“. Und nach diesem Rezept funktioniert auch Happier Than Ever, besonders bei den Songs „Therefore I Am“, „Oxytocin“ oder „Lost Cause“. Billie Eilish selbst aber nervt es, so verriet sie in einem Interview, auf diese Art von Songs reduziert zu werden. Deshalb gibt es auf diesem Album auch Stücke, die komplett aus der gewohnten Sound-Architektur ausbrechen. Zwei Beispiele: „Male Fantasy“ wird einzig von einer Folkgitarre getragen. „Goldwing“ wiederum startet mit Kirchengesang und schwebt dann irgendwo zwischen dem Erbe von Lana del Rey und Kate Bush umher.
Einen Song möchte ich besonders hervorheben. Das Titelstück „Happier Than Ever“ startet als Chanson-ähnliche, von einer Akustikgitarre begleitete Ballade. Es wirkt wie die Hintergrundsmusik einer französischen Kitsch-Liebeskomödie. Doch schnell wird klar: Das ist kein Liebeslied. Es ist Billie Eilishs Abrechnung mit ihrem Ex-Freund. Folgerichtig kommt es zum Bruch im Song: Eine schrammende E-Gitarre bestimmt von nun an den Rhythmus, und Billie Eilish singt dazu voller Inbrunst. Was als Chanson startete, klingt jetzt wie eine Rockhymne, gemischt aus den Klängen der US-Band Linkin Park und der Rock-Hymne „Zombie“ von The Cranberries. Diesen Stilmix glaubhaft in nur einen Song zu verpacken – allein das beeindruckt mich. Kein Wunder also, dass jemand, der das kann, auch einen der eindringlichsten Bond-Songs aller Zeiten singt.
Billie Eilish
Happier Than Ever
Label: Darkroom/Interscope Records (Universal Music)
Format: CD, LP, DL 24/44
Billie Eillish, “Happier than Ever” auf jpc.