Die Richtung ist klar, aber das Ziel steht im Weg
Blitze könnten viel schneller die Erde erreichen, wenn sie nicht im Zickzack runterkommen würden.
Illustration: Ralf Wolff-Boenisch
So eine Musikwiedergabeanlage ist schon ein launisches Wesen. Nicht nur, dass sie tagesformabhängig rumzickt, auch ihre Langzeitkonstanz lässt nach landläufiger Meinung zu wünschen übrig. Vermutlich liegt die Ursache im verseuchten Strom – oder vielleicht im Klimawandel? Der Highender rätselt und sieht sich bemüßigt, die Technik ständig wieder auf den Pfad der Tugend zurückzugeleiten. Leider bleibt dabei so mancher entspannte Musikabend auf der Strecke.
Findet man nach getaner Arbeit endlich Zeit zum Musikhören, klingt es merkwürdigerweise oft etwas „zu“: zu hell, zu dunkel, zu spitz, zu dumpf, zu räumlich, zu flach – die Liste ließe sich beliebig erweitern. Da muss man doch etwas tun, da sind wir uns doch einig. In der Folge werden Lautsprecher gerückt, Teppiche ausgerollt, Pflanzen gekauft, Möbelstücke verbannt und Kabel getauscht. Gut, dass die heimische Grabbelkiste so viel hilfreiches Zubehör bereithält. Stunden später ist der Klang dann endlich so, wie man es sich schon vor Stunden gewünscht hätte. Unser highendiger Freund bricht erschöpft vor seiner Anlage zusammen. Zum Musikhören ist er jetzt leider zu müde, aber zumindest kurzzeitig mit seinem Hobby versöhnt. Bis zum nächsten Mal, wenn abermals alles „zu“ klingt und er die Teppiche wieder einrollt oder das Kabel zurücktauscht. Dieses ewige Hin und Her bringt ihn natürlich nicht weiter. Im Gegenteil, es vermiest ihm seine Freizeit.
Ein Highender ist per Definition nie zufrieden mit der Performance seines Equipments. Sein Streben gilt deshalb der Verbesserung der Technik, um sich so dem klanglichen Nirwana beziehungsweise dem, was er dafür hält, anzunähern. Hoffentlich wird er sein fiktives Ziel nie erreichen – denn sonst müsste er sich ja ein neues Hobby suchen. Bei seinen vielen Umbauarbeiten hat er das klangliche Optimum seiner Anlage vermutlich bereits mehrfach erreicht. Nur schade, dass es ihm in seinem Verbesserungswahn nicht aufgefallen ist.
Audiophile scheinen zu ignorieren, dass sie beim Musikhören ein paar Dinge nicht beeinflussen können, beispielsweise die eigene Stimmung oder die teils schlechte Qualität der Tonträger. Dieses Übel lässt sich zwar mithilfe einer der heutzutage sehr selten verbauten Klangregelungen mildern, gänzlich beseitigen lässt es sich jedoch meistens nicht. Die Anlage, die uns einerseits bei Topaufnahmen den klanglichen Mikrokosmos zu Gehör bringt, andererseits aber klanglich minderwertigen Aufnahmen das Mäntelchen des Schweigens überstreift, ist leider noch nicht erfunden. Entweder-oder ist die Devise. Alternativ kann man konsequent auf gut klingende Software ausweichen und seine Musikauswahl dementsprechend anpassen, aber wer will sich schon von seiner Anlage den Musikgeschmack diktieren lassen? Also sollte man vielleicht manchmal nicht ganz so genau hinhören, den meist gar nicht so arg vermurksten Klang akzeptieren und die Musik einfach genießen. Und auf diese Weise manchen Zick oder Zack auslassen!
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