Mozarteum Salzburg, Großer Saal
Nein, das Mozarteum Salzburg ist nicht der berühmteste Saal der Mozartstadt und es ist auch nicht der Ort, von dem die Highlights der Salzburger Festspiele übertragen werden.
Die großen Events finden samt und sonders im Festspielhaus statt. Der Große Saal des Mozarteums ist eher das Wohnzimmer, die gute Stube der Musikstadt. Anfang des 20. Jahrhunderts konzipiert und gerade einmal 800 Zuschauer fassend, ist dieser im Münchner Jugendstil gebaute Saal eher die erste Adresse für beste Kammermusik und solistische Auftritte. Einer der schönsten Säle ist es sowieso.
Für Musiker ist es ein zwiespältiger Ort – Parkplätze gibt es gar nicht, auch bei der Anlieferung großer Instrumente darf man nur kurz in den Hof fahren und muss dann aus feuerpolizeilichen Gründen schleunigst wieder verschwinden. Ist man schließlich glücklich angekommen, gibt es für komplette Kammer- oder kleinere Sinfonieorchester gerade einmal zwei kleine Garderobenräume.
Die Bühne aber entschädigt für alles. Man fühlt sich wie im Wohnzimmer, die Zuschauer sind dicht dran und man hat jederzeit Kontrolle über den Klang. Es gilt lediglich zu beachten, dass dieser Saal mit seiner stark resonierenden Holzbühne gerne mal aus zwei Kontrabässen vier macht und Pauken auf wundersame Weise vergrößert. Behält man dies im Hinterkopf, hat man hier leichtes Spiel. Man kann jeden Ton mühelos formen, auch im Forte hilft der Saal so sehr, dass man nie mit Kraft arbeiten muss, hallt aber auch nicht so lang, dass einem die Kontrolle der Tonenden entgleitet. Das Gefühl kommt dem in einem idealisierten und vergrößerten Überzimmer gleich.
Das Besondere aber ist die Atmosphäre, diese heimelige Stimmung, als würde man eher Hausmusik machen denn auf einer großen Bühne stehen. Und für das Publikum ist das ganz ähnlich, man fühlt sich involviert, berührt, so nah, als könne man die Töne greifen. Ich selbst habe das nie erlebt, Cai Brockmann beschrieb es mir allerdings immer genau so.
Und das ist jetzt der Punkt, ab dem ich nicht mehr über diesen Saal schreiben möchte, sondern über Musik. Und über Cai. Wir trafen uns hier in jedem Januar während der Salzburger Mozartwochen, er vor und ich auf der Bühne, genossen großartige Musik aus Perspektiven, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Jeder regelmäßige Leser weiß, dass er E-Bass spielte, vorzugsweise in Coverbands für Klänge der härteren Gangart, ein akademischer Überbau wie beispielsweise Notenlesen war uninteressant. Mein Werdegang über ein Musikstudium lässt mich von anderer Seite an die Musik herangehen, und doch kamen wir verblüffend oft zu einem gemeinsamen Ergebnis. Eines von Cais bewundernswertesten Talenten war seine völlig ernsthafte und vorurteilsfreie Neugierde. Ein grundlegendes Interesse an allem, was Musik ist, eine Begeisterung für neue Erfahrungen, die Fähigkeit, Stimmungen zu spüren und darin baden zu können.
Mit vielen Musikhörern, gerade aus unseren audiophilen Reihen, fällt es schwer, über Musik zu reden, denn es wird viel mehr gewusst als gehört. Zu jedem Ton aus den Lautsprechern wird sofort die passende Referenzaufnahme (was für ein Blödsinn, sowas gibt es nicht) angeführt, oder eine legendäre Aufführung, bei der natürlich alles viel besser war. Cai kannte die meisten dieser berühmten Einspielungen nicht, oder er merkte sie sich nicht. Warum auch. Dafür konnte er etwas viel Wichtigeres: zuhören. Und nochmal hören. Und dann immer noch nicht urteilen, denn er war sich auch dann sicher, noch nicht alles gehört zu haben.
Gäbe es Säle voll solcher Zuhörer, wäre Musiker ohne Frage der schönste Beruf der Welt. Immerhin gibt es einige solcher Menschen, was uns Musikern immer wieder besonderes Glück beschwert. Aber nicht für mich, sondern um Ihrer selbst willen bitte ich Sie: Urteilen Sie weniger und hören Sie mehr, lassen Sie sich fallen. Bei Cai habe ich immer wieder erlebt, wie man auf diesem Wege auch weitab der eigenen Präferenzen größtes musikalisches Glück erleben kann.