artkustik, Gedersdorf, Österreich – Die Werkzeug-Macher
Analoge Träume von artkustik – zu Besuch bei Othmar Spitaler und Wolfgang Haumberger
Niederösterreich nahe Krems. Die Hauptstadt Wien, sie ist keine 40 Kilometer entfernt. Gehöfte, zum Teil Jahrhunderte alt. Kleine Weingüter in einer charmant ländlichen Gegend, in der vereinzelte Industriestandorte eher Farbtupfer setzen, als die Idylle zu stören. Selbst Menschen mit ausgeprägter Fantasie kämen wohl kaum darauf, dass in dieser beschaulichen Umgebung Plattenspieler erdacht und gebaut werden, die zur Weltspitze zählen. Und die aufgrund ihrer supersoliden Konstruktion auch kommende Generationen mit ihrem fantastischen Klang begeistern werden.
Othmar Spitaler wuchs in Wien auf. Die Hektik der Metropole hat er schon vor rund drei Jahrzehnten hinter sich gelassen. In seinem Haus in Gedersdorf bei Krems, wo inzwischen drei Generationen friedlich unter einem Dach wohnen, hat Spitaler Anfang der 2000er Jahre seinen „Seismograph“ entwickelt. Eine 150-Kilo-Wohlklang-Skulptur, zu der man nur höchst ungern „Plattenspieler“ sagen möchte.
Eigentlich war Othmar Spitaler, der „im 69. Lebensjahr steht“, schon im Ruhestand. Doch das Thema „Höchstwertige Musikwiedergabe“, das ihn seit seiner frühen Jugend umtreibt, lässt den Jazz- und Klassikliebhaber auch in einem Alter nicht los, in dem andere alle Fünfe gerade sein lassen und auf ihr Lebenswerk zurückblicken. Othmar Spitaler ist mittendrin. Und er sprüht vor Energie und neuen Ideen.
Spitalers Firma „artkustik“ hat in der High-End-Szene schon länger einen Namen. In der Vergangenheit beschäftigte Spitaler sich mit allem Möglichen von Verstärkerelektronik bis zur Raumklangverbesserung. Und kam, wie er locker plaudernd im Licht einer milden Maisonne erzählt, immer wieder darauf zurück, dass Verbesserungen an der Quelle am prägendsten den Klang einer Stereoanlage beeinflussen. Nicht von ungefähr stehen im Souterrain der kleinen Gedersdorfer Villa nicht nur diverse Exemplare des Seismograph, flankiert von einem ganzen Spalier Phonostufen, Vor- und Endverstärkern und selbst erdachten Lautsprechern, sondern auch ein paar Studio-Bandmaschinen. Das Masterband ist für Othmar Spitaler, der auch ein begabter Tonmeister ist und selbst gerne Aufnahmen mit Klassikensembles und Jazzcombos macht, immer noch das Maß der Dinge: „Bis daraus eine Schallplatte geworden ist, hat eine Reihe von Bearbeitungsschritten schon den Klang beeinträchtigt“, weiß Spitaler und ergänzt: „Die Qualität der LP bleibt die größte Fehlerquelle.“ Deswegen engagiert er sich in einer Zeit, in der wohlfeile Digitaltechnik für eine manchmal eher mittelmäßige Klangqualität sorgt, für eine deutliche Verbesserung des Quellmaterials.
„Würde der Schneideprozess für die Plattenmatrize endlich genormt, wären Plattengewichte und -dicken alle gleich und würden die Produktionsfirmen beim Plattenschnitt mit einer einheitlichen RIAA-Kennlinie arbeiten, dann könnte die Schallplatte noch einmal einen deutlichen Qualitätssprung nach oben machen“, ist Spitaler überzeugt. Seinen artkustik Seismograph, den es seit kurzem auch als Flaggschiff „Seismograph II Legend“ gibt, bezeichnet er konsequent als „Messgerät“, bei dem er „nicht wüsste, was ich noch verbessern kann“. Weil hier die mechanischen Toleranzen auf das absolute Minimum reduziert wurden und sich zum Teil im Mikrometerbereich bewegen. Als einen von vielen Beweisen für die überlegene Fertigungspräzision zeigt Spitaler sichtlich stolz das Lager seines Seismograph, in dem die Achse des (ebenfalls präzisionsgedrehten und sorgsam ausgewuchteten) 20-Kilo-Plattentellers beinahe spielfrei sitzt und sich deshalb auch nur mit sanfter Gewalt herausziehen lässt. Als Schmiermittel dient vollsynthetisches Motorenöl aus dem Rennsportbereich, das seine Dünnflüssigkeit und damit seine Schmierfähigkeit über Jahre behält – die Seismograph-Laufwerke sind sehr wartungsarm und sollen auch bei Platten-Vielhörern nur selten eine „Inspektion“ brauchen.
Othmar Spitaler ist in Sachen Feinmechanik und HiFi definitiv familiär vorbelastet: Seine beiden älteren Brüder Walter (Jahrgang 1935) und Ernst (geboren 1936) absolvierten beide die Feinmechaniker- und Elektroniker-Ausbildung, der eine bei Czeija, Nissl & Co., der andere bei der Goerz GmbH, die heute als „LEM Norma Instruments GmbH“ firmiert und immer noch in Wien sitzt. „Ich interessierte mich für Stereotechnik, seit ich elf oder zwölf war“, erinnert sich Spitaler, der die technische Ausbildung bei den Brüdern „mitlernte“ und von ihnen auch musikalisch ein Stück weit geprägt wurde. Er habe „inhaliert“, was die Musik und ihre möglichst perfekte Wiedergabe ausmacht, sagt Spitaler rückschauend. Seine eigene Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann möchte er in diesem Zusammenhang nicht missen. Plattenspieler und Verstärker kaufte man sich „im Radiogeschäft“, High End war bestenfalls eine ferne Vision am Horizont. Othmar Spitaler bewarb sich an einem Samstag bei Radio Faulhaber im 5. Wiener Bezirk (Schönbrunner Straße) – und durfte als HiFi-Verkäufer schon am folgenden Montag in jene Welt eintauchen, die im Grunde bis heute die seine geblieben ist. „Ich lernte nur, was mich interessierte“, meint er mit leisem Augenzwinkern. Dazu gehörte, sich nicht nur mit dem Verkaufen, sondern auch mit der Konstruktion von Geräten zur Musikwiedergabe auseinanderzusetzen. Nach seiner Zeit bei Radio Faulhaber kam er zum Großhändler Etl im 18. Bezirk, der englische Marken wie SME und Quad, aber auch Ortofon im Portfolio hatte. Hier schulte Othmar Spitaler andere Händler.
Zu seinem Autodidaktentum in Sachen HiFi steht Othmar Spitaler. Und dazu, dass „analog“ für ihn die Spitze des Machbaren verkörpert. Dass hochauflösende „nichtphysische“ Digitalmedien der Klangqualität von (Studio-)Tonband und Schallplatte inzwischen auf Haaresbreite nahegerückt sind, stellt er gar nicht in Abrede. Aber: „Bei gestreamter Musik fehlt mir das Haptische, das In-die-Hand-Nehmen einer Plattenhülle. Und damit bin ich nicht allein.“
Nachdem sein einstiger Chef ihn mit sanftem Nachdruck in die Selbstständigkeit gedrängt hatte, weil er das Potenzial seines begabten Mitarbeiters nicht einengen wollte, handelte Othmar Spitaler im 15. Wiener Bezirk mit den Kult-Plattenlaufwerken der schottischen Firma Linn. Die fraglos sehr gut klingende Apotheose des Subchassis-Bauprinzips, das in Othmar Spitalers Augen allerdings an Grenzen stößt. Denn die Wiedergabe der mikroskopisch kleinen Informationen in den Schallplattenrillen gelinge umso besser, je vibrationsärmer die Abspielmechanik sei. Und da würde ein auf Federn schwingendes Laufwerk gegenüber einer stabilen Massekonstruktion immer zweiter Sieger bleiben. Ein Präzisions-Messinstrument dürfe sich keine Schwächen leisten, die aus mechanischen Unwägbarkeiten herrühren, betont Spitaler.
Hier kommt der zweite Hauptdarsteller der spannenden Story vom Seismograph von artkustik ins Spiel: Wolfgang Haumberger betreibt unter dem Motto „Technik und Menschen“ einen mittelständischen Feinmechanikbetrieb mit einem weit gespannten Portfolio. Die im Jahr 2000 gegründete Haumberger Fertigungtechnik GmbH in Judenau, 20 Autominuten von Othmar Spitalers Gedersdorfer Domizil entfernt, stellt fertigungstechnisch anspruchsvolle Einzelteile und Kleinserien her und ist im Automotive-Geschäft ebenso erfolgreich unterwegs wie im Generatorbau und in der Entwicklung und Realisation von Sondermaschinen und Automatisierung. „‚Geht nicht‘ gibt es bei uns nicht“, sagt Firmenchef Wolfgang Haumberger selbstbewusst. Auch Wasserhochstrahlsysteme und Transporteinrichtungen wie hochspezialisierte Förderbänder bekommt man bei Haumberger. „Wir setzen auf eine möglichst hohe Fertigungstiefe“, führt der Firmenchef aus, der mit Othmar Spitaler das Faible für Klassik und Jazz teilt – und selbstverständlich selbst einen Seismograph-Spieler daheim stehen hat, dessen Komponenten fast ausschließlich in der Judenauer Firma entstehen. Auf Zulieferer mag man sich verlassen, wenn es darum geht, „Außergewöhnliches zu schaffen und an außergewöhnliche Kunden zu verkaufen“, wie Haumberger und Spitaler fast unisono sagen.
Nachdem zu diesen Kunden unter anderem Abnehmer aus der Weltraum-Branche zählen, geht es bei der Haumberger Fertigungtechnik GmbH um Fertigungstoleranzen im Mikrometerbereich. Auch Bauteilbeschichtungen haben zum Teil nur wenige My (µ). Um einen Vergleich zu haben: Mit „Feinstaub“ werden Staubteilchen bezeichnet, die höchstens zehn Mikrometer (µm) groß sind. Ein menschliches Haar hat einen Durchmesser zwischen 70 und 100 µm. Entsprechend hoch ist der Aufwand, den Haumberger treibt, um Othmar Spitalers Analogvisionen in die Wirklichkeit umzusetzen. Deshalb sieht Othmar Spitaler in Wolfgang Haumberger den Menschen, der eines Tages die Fahne des hochwertigen Plattenspielerbaus hochhalten, der den Seismograph fertigen und weiterentwickeln soll.
Spannend und aufschlussreich sind die Experimente, die Spitaler und Haumberger mit verschiedenen Ausgangsmaterialien unternommen haben: Eine Tonarmbasis aus Aluminium etwa wirkt bei aller Leichtigkeit schon sehr stabil. Das gleiche Bauteil aus Edelstahl bringt nicht nur deutlich mehr Gewicht auf die Waage, sondern quittiert den „Klöppeltest“ per Schraubendrehergriff auch mit einem dumpfen „Klonk“, wo das Aluminium-Pendant ein silbriges Glöckchenklingeln von sich gibt.
Im Hörtest mit wohlschmeckendem Weißwein aus dem benachbarten Weingut Berger oder böhmischem Pils im Glas und der Country-Legende Willie Nelson (in einer sehr ungewöhnlichen Kooperation mit Jazztrompeter Wynton Marsalis) auf dem Plattenteller erweisen sich die Unterschiede zwischen Alu und Stahl als subtil, aber deutlich nachvollziehbar. Alle artkustik Laufwerke Othmar Spitalers zeichnen sich durch immense Ruhe der Abbildung, nicht vorhandene Gleichlaufschwankungen und überlegene Räumlichkeit aus. Von den andernorts gerne eingesetzten Magnetlagern hält der Wiener Tüftler übrigens gar nichts: „Die Reibungsarmut bekommt man auch mit einem konventionellen Lager hin und erkauft sie sich zudem nicht mit schädlichen Einstreuungen des Magnetfelds in den MC-Tonabnehmer“, schildert Spitaler seine in jahrelanger Praxis mit den verschiedensten Plattenspielerkonstruktionen gesammelten Erfahrungen.
Nicht sparen sollte man aus seiner Sicht am Tonarm und am Tonabnehmersystem. Auf Wunsch stattet Spitaler seine Plattenspieler mit den Spitzenmodellen der englischen Schmiede SME aus – eingekauft und auf Lager gelegt, ehe die Briten beschlossen, ihre Tonarme nicht mehr einzeln, sondern nur noch an den eigenen Laufwerken montiert auszuliefern. Irgendwann wird sich auch Othmar Spitalers Lagerbestand erschöpfen. Weshalb er darüber nachdenkt, in enger Zusammenarbeit mit Wolfgang Haumberger einen eigenen Tonarm anzubieten, der „mindestens so gut wie die Modelle von SME, eher besser“ sein soll. Die Tonabnehmer stammen von Audio-Technica oder Ortofon, wobei superiorer Klang mit einem Seismograph schon unterhalb der Top-Riege zu haben ist.
Zum krönenden Abschluss eines ebenso langen wie anregenden Hörabends im Hause Spitaler kommt dann die gepflegte Studer-Rundfunkbandmaschine zum Einsatz. Mit einer Erstkopie des Masterbandes einer Jazzaufnahme, fast so selten wie die Blaue Maurizius. „Das ist so ziemlich das Einzige, das noch besser als unsere Plattenspieler klingt“, sagt Othmar Spitaler, lehnt sich auf der Couch zurück, schließt die Augen und genießt stumm die Musik. Ein Mann, der weiß, was er tut. Und wie ausgezeichnet seine selbst erdachten „Messwerkzeuge“ klingen.
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Othmar Spitaler
Rechte Bahnzeile 46
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Österreich
Telefon +43 27358182