Philharmonie Berlin
Es wurde Zeit für diesen Saal. Allerdings wollte ich mir einen der Höhepunkte eines Musikerjahres ein wenig aufheben, nicht gleich alle ganz besonderen Säle in den ersten Folgen dieser Reihe verpulvern. Nun aber muss es sein.
Meine Verbindung zu diesem Saal ist recht tief. Da geschätzte 60 Prozent der LPs meiner Eltern von den Berliner Philharmonikern – damals noch ausschließlich bei der Deutschen Grammophon – kamen, hörte ich diesen Saal schon sehr früh regelmäßig, ohne es allerdings zu wissen.
Schließlich studierte ich in Berlin und lauschte in den ersten zwei Jahren im Durchschnitt zwei Konzerten pro Woche, nahm den Klang dieser 1960 bis 1963 gebauten Halle regelrecht in mich auf, machte ihn zu meiner persönlichen Richtschnur, meiner klanglichen Kompassnadel, an der ich in Zukunft alle anderen Säle verorten würde.
Das Konzert in der Berliner Philharmonie ist eine Sache, der Saal wäre schon außergewöhnlich, wenn er einfach nur so klänge, wie er es tut. Faszinierend ist allerdings, dass bei dieser vor knapp siebzig Jahren entwickelten Halle auch hinter der Bühne wirklich alles stimmt.
Die Philharmonie ist gut zu erreichen, wenn die Arbeit allerdings den Kopf rauchen lässt, befindet sich der Tiergarten nur einen Steinwurf entfernt. Parkplätze sind ausreichend vorhanden, man kann problemlos Instrumente mit jeder Art Straßenfahrzeug bringen – vom kleinen PKW bis zum übergroßen LKW mit Hänger passt hier alles an die Anlieferung. Der Fahrstuhl, den man direkt vom Fahrzeug aus beladen kann, endet direkt hinter der Bühne – keine engen Kurven oder Treppen sind mehr im Weg. Hinter der Bühne sind auch die Garderoben, die im Übrigen sogar mit Fenstern ausgestattet sind. Wenige Schritte bringen einen von dort zum Podium. Dass selbst in neuen Sälen wie der Elbphilharmonie oder dem Konzerthaus Dortmund mehrere Treppen den Weg zur Bühne erschweren, zumal wenn man Instrumente im Wert eines mondänen Einfamilienhauses trägt, bleibt für alle Musiker unverständlich.
Die Kantine befindet sich direkt hinter der Bühne, hier treffen sich nach Konzerten auch Musiker und Publikum – in Berlin nimmt man das Leben glücklicherweise etwas leichter, und so können Produzent und Konsument in Kontakt treten, was für eine Identifikation und einen wertvollen Austausch unerlässlich ist. In Hamburg muss man – entschuldigen Sie bitte, dass ich schon wieder damit anfange – jeden Zuschauer, der hinter die Bühne kommen möchte, lange Zeit vorher anmelden, was bei einem der letzten Konzerte, das ich dort erlebte, einem schwerreichen und spendenwilligen Mäzen das Zusammentreffen mit dem Künstler unmöglich machte. Schön dumm.
Der Saal selbst ist und bleibt in meinen Augen unübertroffen. Die Bühne ist groß und vielfältig justierbar, die Beleuchtung kühl, hell und schattenfrei. Die Sicht ist wegen der Weite und praktischen Stufung gut, schlichtweg grandios ist allerdings die Akustik auf der Bühne. An seinem Platz erhält man jede nötige Information: Zuerst hört man sich selbst völlig unverfärbt. Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, kommt leider gar nicht mal so oft vor. Da eine sehr gut gemischte Portion Saalhall auf die Bühne zurück kommt, kann man seine eigene Lautstärke mühelos abschätzen. Außerdem hört man jede andere Stimmgruppe des Orchesters, um sich bestens verzahnen zu können.
Der Saal findet eine wunderbare Balance aus Präzision und Charme, kleine Ungenauigkeiten sind zwar hörbar, bekommen allerdings ein charmantes Hallmäntelchen um die kantigen Schultern, woraufhin man sich weit weniger an ihnen stößt. Dass man sich durch die rund um das Orchester sitzenden Zuschauer ein wenig wie in einer Arena fühlt, steigert nur noch den Kick, auf dieser Bühne zu sitzen. Zumal wenn man sich als Pauker in der letzten Reihe befindet und die Zuschauer auf den meist verkauften Chorplätzen gerade einmal einen Meter hinter einem sind und mitlesen.
Dieser Saal setzt seit den sechziger Jahren Maßstäbe und hat bis heute in seiner Gesamtheit keine ernsthafte Konkurrenz bekommen.
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Musiktipps – Aufnahmen mit konzertsaaltypischem Klang
Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 8
Berliner Philharmoniker, Semyon Bychkov
Philips
Maurice Ravel
L’Enfant et les Sortilèges
Berliner Philharmoniker, Simon Rattle
Warner
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 9
Berliner Philharmoniker, Herbert von Karajan
DGG