Adria Petty über die Songs von Tom Petty: „Wir haben immer nur Wow gesagt.“
Fotografie: Martyn Atkins, Robert Sebree, Mark Seliger
Wildflowers, das Soloalbum von Tom Petty aus dem Jahr 1994, gilt vielen als Jahrhundertwerk. Seine Tochter hat es, ergänzt um bisher unbekannte Songs, wiederveröffentlicht. Im Interview mit FIDELITY spricht Adria Petty über den besonderen Sound der Aufnahmen, die Rolle von Produzent Rick Rubin – und warum alle Songs einen speziellen „Toyota-Test“ bestehen mussten.
FIDELITY: Mrs. Petty, das Album Wildflowers kam im Jahr 1994 heraus. Wie lange das her ist, machen andere Musik-Ereignisse aus dem Jahr deutlich: Oasis veröffentlichten ihr Debütalbum Definitely Maybe …
Adria Petty: Wow. Das war im gleichen Jahr?
Ja, und es kommt noch besser. Ein Exemplar der Sting-CD Ten Summoner’s Tale war im August 1994 der weltweit erste Artikel, der über das Internet verkauft wurde …
Petty: Oha!
… und Michael Jackson heiratete Lisa Marie Presley in der Dominikanischen Republik – Nachrichten wie aus einem anderen Zeitalter. Da klingt Wildflowers erstaunlich zeitlos.
Petty: (lacht) Michael Jacksons Hochzeit … Das war eine andere Zeit! Und ich stimme zu, Wildflowers klingt wirklich zeitlos. Deshalb wollte mein Vater es ja auch erneut veröffentlichen. Als Doppelalbum, so wie er es damals gerne getan hätte. Mit all den Songs, für die kein Platz gewesen war, weil die Plattenfirma auf einem einfachen Album bestanden hatte. Leider wurde aus dem Projekt vor seinem Tod nichts mehr.
Was macht die Aufnahmen zu Wildflowers so zeitlos? Es hat wohl auch mit Rick Rubin zu tun, der damals erstmals eine Platte vo Tom Petty produzierte.
Petty: Wildflowers war wie ein Neuanfang für meinen Vater. Sein zweites Soloalbum, bei dem er nun erstmals mit Rick Rubin zusammenarbeitete. Die Platten zuvor wurden ja von Jeff Lynne produziert, mit dem mein Vater schon bei den Traveling Wilburys zusammengespielt hatte. Mit Lynne als Produzent hatte er seinen Durchbruch als Popstar erlebt. 1989 mit dem Soloalbum Full Moon Fever und 1991 mit dem Heartbreakers-Album Into The Great Wide Open. Das waren eher Alben ihrer Zeit, mit typischen Synthesizer-Sounds und mit einer sehr minutiösen Produktion. Mit Wildflowers wollten mein Vater und Rick eine besonders authentische Aufnahme machen, auf der man alles hört. Die Finger, die in die Gitarrenseiten greifen.
Rick Rubin sagte jüngst, man habe kein perfektes Album machen, sondern den Sound einer Band an einem perfekten Abend einfangen wollen.
Petty: Ein schöner Satz. Deshalb ließ Rick meinen Vater auch beim Song „Wake Up Time“ selbst das Piano spielen – was mein Vater bis dahin nie gemacht hatte. So aber entstand eine große Intimität zwischen Gesang und Piano, die den Song so authentisch und, ja, zeitlos macht. Bei diesem Album ging es nicht um Perfektion, sondern um Gefühle.
Dennoch hat es zwei Jahre gebraucht, um das Album fertigzustellen. Perfektionisten waren die beiden schon …
Petty: Das stimmt auch wieder. Um diese Leichtigkeit zu erreichen, musste man wohl Perfektionist sein. Mal saß gleich der erste Take eines Songs, mal wurde monatelang am Overdubbing eines einzelnen Instruments gebastelt. Was zählte, war das Resultat. Das musste so klingen, als säße die Band vor dir und spielte nur für dich. Rick hat mir neulich gesagt: „Auf allen Tom-Petty-Platten davor konnte man die Gitarre als tragendes Instrument perfekt hören. Was man nicht hören konnte, das war der Musiker, der sie spielte.“
Kannten Sie Rick Rubin vorher?
Petty: Ich kannte damals seinen Namen, klar, ich muss damals ungefähr 18 gewesen sein. Ich wusste, das war der Typ, der die Beastie Boys produziert hatte. Er war der Mann hinter Def Jam Records mit Run DMC, mit Public Enemy … Und diese Welt mischte sich nun mit der meines Vaters. Das war ziemlich cool. (lacht)
Kurz vor Wildflowers hatte Rubin die erste Platte von vielen für Johnny Cash produziert, American Recordings.
Petty: Das hat meinen Vater sicher überzeugt, als es darum ging, sich mit Rick einzulassen. Er spürte, dass hinter all dem Hip-Hop-Zeugs eine andere Welt war. Die beiden hatten sich kurz vorher nach dem „30th Anniversary Concert“ von Bob Dylan in New York getroffen, und sie flogen zufällig im gleichen Flieger zurück an die Westküste. Da kamen sie ins Gespräch. Mein Vater war, so habe ich gehört, total überrascht, dass Rick Rubin einen Sack voll Neil-Young-CDs mit an Bord hatte, handgemachte Musik hörte! Das war der Beginn ihrer Freundschaft.
Im Booklet des neuen Wildflowers-Albums gibt es ein Foto, das Ihren Vater in seinem Zimmer zu Hause zeigt. Dort hat er fast alle Songs komponiert. Durften Sie und Ihre Schwester als Kinder eigentlich dabei sein?
Petty: Oh ja! Wir saßen oft daneben, wenn er spielte. War die Tür allerdings zu, war das tabu. War die Tür auf, dann war alles gut. Ich erinnere mich noch, dass er mir alle Songs von Wildflowers vorspielte. Alle 25 Songs, die sie aufgenommen hatten. Es dauerte Stunden. Ich saß auf dem Fußboden und hörte einfach zu. Dabei durfte ich in seinem Notizbuch blättern, in dem er die Songtexte skizziert hatte. Es war eine schöne Zeit. Mein Vater war glücklich. Und so stolz auf seine Musik. Das merkte natürlich auch die Familie.
War ihm das Feedback seiner Töchter wichtig?
Petty: Ich glaube, wir haben immer nur „Wow“ gesagt. Mein Vater wusste meist genau, was ihm gefiel, das war sein Maßstab. Er war ein Genie. Er hatte die Gabe, das Wesen eines Songs schon sehr, sehr früh herauszuarbeiten. Das hört man auch auf den Demo-Aufnahmen, die wir nach seinem Tod entdeckt haben. Im Kleiderschrank, das muss man sich mal vorstellen. Viele Aufnahmen waren schon sehr nah dran an dem, was später den finalen Song ausmachte.
Das Demo des Titelsongs „Wildflowers“ entstand auch in jenem Zimmer zu Hause. Gleich im ersten Versuch, wie Ihr Vater einmal erzählte: „Ich drückte auf ,Aufnahme‘, holte tief Luft und spielte das Ding von vorn bis hinten.“
Petty: So war er. Er hatte „Wildflowers“ bereits im Kopf, den ganzen Song. Er musste ihn nur noch spielen.
Es heißt, dass Ihr Vater seine Songs dann einem speziellen Test unterzog. Dafür stand ein kleiner Toyota-Mietwagen vor dem Studio …
Petty: Ach ja, der Toyota-Test! Meinem Vater war es sehr, sehr wichtig, Musik zu machen, die nicht nur auf teurem Equipment gut klang, sondern auch auf durchschnittlichen Anlagen. Oder eben in einem Mietwagen. Denn viele Tom-Petty-Fans fahren Durchschnittsautos und hören Musik daheim in der Küche mit irgendeinem Nullachtfünfzehn-Gerät. Für sie machte er seine Musik.
Die Texte von Tom Petty klingen oft sehr persönlich. „California“ zum Beispiel, oder auch „You Don’t Know How It Feels“. Lesen Sie zwischen den Zeilen, um Ihrem Vater nahe zu sein?
Petty: Ja, in jedem Song gibt es eine Zeile, manchmal auch zwei, in denen ich meinen Vater spüre. Wo ich vermute, was er damals empfunden haben könnte. Aber die Songs sind natürlich kein Tagebuch. Es war meinem Vater immer wichtig, dass jeder sich darin wiederfinden konnte.
In „Crawlin’ Back To You“ gibt es die schöne Zeile „Most things I worry about never happen anyway“. Hatten Sie vor seinem Tod 2017 Angst um Ihren Vater? Er hatte Erfahrungen mit Drogen, er nahm Medikamente …
Petty: Mein Vater hatte seit Jahren keine harten Drogen genommen, soweit wir wissen. Deshalb kam sein Tod ja wie aus dem Nichts. Nein, ich hatte keine Angst um ihn. Sorgen habe ich mir gemacht, weil er mit seiner kaputten Hüfte nicht hätte auf Tour gehen sollen. Er sollte eigentlich operiert werden, gab stattdessen aber Konzerte, bis wenige Tage vor seinem Tod. Er war aber gut drauf. Ich weiß, wie er unter Drogen war. In den späten Neunzigern, nach der Scheidung meiner Eltern. Da war er nicht er selbst. Nicht glücklich, nicht lustig, eigentlich nur dumpf.
Ist es schwierig darüber zu sprechen?
Petty: Ich bin froh, dass Sie die Frage gestellt haben. Viele Menschen glauben, er sei an einer Überdosis Drogen gestorben. Es waren aber die Schmerzmittel, die er wegen seiner Hüfte nahm. Er hätte diese Tour, seine wöchentliche Radioshow, all das mit 66 Jahren nie machen können, wenn er ein Junkie gewesen wäre. Er war leider einfach so dumm, muss man sagen, mit einer kaputten Hüfte auf eine Welttournee zu gehen. Ich habe jeden Sonntag mit ihm telefoniert, egal, wo auf der Welt er gerade war. Bis zuletzt. Er war kein Junkie.
Ihr Vater ließ sich für den Titel „Wildflowers“ von Blumen inspirieren, die er bei einer Fahrt von Santa Barbara nach Los Angeles sah. Werden Sie sentimental, wenn Sie auf dem Highway 1 an der Westcoast unterwegs sind?
Petty: Bisher nicht, aber den Floh haben Sie mir nun ja in den Kopf gesetzt … Im Ernst, ich vermisse meinen Vater jeden Tag. Von ihm ging ein Strahlen aus. Er hatte die Gabe, die Menschen mit seiner Musik zu berühren. Auch mich. Ich weiß gar nicht, wie ich das in Worte fassen soll … Wissen Sie, es kommt vor, dass fremde Menschen in Tränen ausbrechen, wenn sie mich mit meiner Tochter auf der Straße sehen. Sie erzählen mir dann, was ihnen mein Vater bedeutet hat. Er war ein besonderer Künstler, denke ich. Und er war mein Vater. Natürlich habe ich andere Erinnerungen als seine Fans. Aber wir alle haben ihn geliebt. Und wir vermissen ihn.