Revox PR99 – die analoge Verbindung zwischen Wohnzimmer und Studio
Wollten Sie schon immer wissen‚ wie gut Musik klingen kann‚ bevor sie in der Rille verschwindet? Dann werden Sie sich darüber freuen‚ dass in letzter Zeit wieder mehr „Masterbänder” angeboten werden. Und für einen kleinen Einblick in die faszinierende analoge Magnetband-Technik wecken wir eine Revox PR99 aus dem Dornröschenschlaf.
Ein „Masterband“ ist etwas Besonderes
Wenn schon nicht direkt das Original, so ist es doch zumindest die erste Kopie der „Mutter“ einer Vinylscheibe. Und für diesen besonderen Musikgenuss direkt ab Masterband lenke ich Ihre Aufmerksamkeit nun vom Vinyl zum Band. Am Beispiel einer Revox PR99 begeben wir uns quasi zwischen Andruckrolle und Tonwelle und werden herausfinden, warum magnetisierte Eisenfeilspäne so magisch sein können.
In den 1950ern und 1960ern war es völlig normal, zu Hause einen Plattenspieler zu haben. Eingebaut in ein Tonmöbel, eine sogenannte „Musiktruhe“, machte er ein ganzes Wohnzimmer zum Konzertsaal, oder er rockte in einfachem Plastikdesign das Jugendzimmer. Die Single eroberte damals den Markt, ließ sie sich doch bequem transportieren und mit einem 10er-Stapel auf dem Plattenwechsler ein Wunschkonzert zusammenstellen. Wer damals aber etwas Herausragendes haben wollte und es sich leisten konnte, besorgte sich ein Tonbandgerät. Auf das Band passten mehr als zehn Titel in Folge, und besonders gut nutzten einige Geräte das – nicht ganz billige – Bandmaterial aus, indem es von beiden Seiten bespielt wurde.
Neben Grundig, SABA, Telefunken, Uher und vielen anderen, die Tonbandgeräte anboten, gab es in der Schweiz die Firma Willi Studer in Regensdorf bei Zürich. Noch während des Zweiten Weltkriegs hatte Studer dort begonnen, Tonbandgeräte für den Heimgebrauch zu bauen. Nach der Gründung eines deutschen Zweigwerkes in Löffingen im Jahr 1964 wurden von hier aus wohnzimmertaugliche Bandgeräte und mit Beginn der 70er Jahre die heute noch berühmten Tonbandmaschinen vom Typ Revox A77 ausgeliefert. Ein solches Gerät kostete damals etwa 1300 DM und gehörte damit zum „High End“ der analogen Tonaufzeichnung. Ein solches Gerät war nicht für jeden erschwinglich, und manch einer drückte sich bei einem Blick auf das Objekt seiner Begierde an der Schaufensterscheibe des Fachhändlers die Nase platt.
In den späten 1980ern löste der in Deutschland aufkommende private Rundfunk noch einmal einen Run auf Tonbandmaschinen aus: Das extra dafür von Revox gebaute Modell PR99 diente als Produktions- und Editierwerkzeug für den „Bürgerfunk“. Die PR99 gab es in drei verschiedenen Ausführungen, etwa mit Mikrofoneingang oder mit programmierbarer Echtzeituhr zum Auffinden von Bandpassagen und natürlich zum Schneiden. Doch durch die fast gleichzeitig stattfindende, ziemlich rasante Entwicklung der digitalen Tonaufzeichnungs- und Speichermöglichkeiten waren diese hervorragenden Geräte schnell überholt. Sie verschwanden in Kellern oder Lagerräumen.
Wenn Sie glücklicher Besitzer einer solchen oder ähnlichen Maschine sind oder es vielleicht werden wollen, können Sie diese durchaus wieder benutzen – zur Wiederbelebung sind nur einige Handgriffe nötig. Dabei ist es ähnlich wie mit einem betagten Plattenspieler: Viele Teile müssen sich drehen, und das auch noch möglichst leicht und geräuscharm. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die Bandführung gelegt werden, denn hiervon ist direkt neben dem Klang auch das Stereobild abhängig. Meist sind ältere Maschinen durch Bandabrieb an entscheidenden Stellen so stark verschmutzt, dass das Band nicht mehr richtig mit den Köpfen in Berührung kommt. Mit reinem Alkohol und Wattestäbchen rücke man dem Schmutz zuleibe.
Ein wichtiges Hilfsmittel zum Erreichen einer einwandfreien Funktion soll hier nicht unerwähnt bleiben: die Entmagnetisierdrossel. Sie sorgt dafür, dass sämtliche Teile, die mit dem Magnetband in Berührung kommen, frei von jedem Magnetismus sind. Das Band muss, die Köpfe und die Mechanik drumherum jedoch dürfen nicht magnetisch sein.
Diese Tipps und Handgriffe sind übrigens auch bei anderen Bandmaschinenmodellen anwendbar, denn deren Grundfunktion ist ja immer die Gleiche.
Es ist wie bei den meisten Geräten der Audiotechnik: Ein Magnet bewegt sich in oder vor einer Spule. Dieses als Induktion bezeichnete physikalische Phänomen erzeugt dann in der Spule eine elektrische Wechselspannung, die der Bewegung des Magneten entspricht. So geschieht es im MM-System des Plattenspielers. Und genauso funktioniert auch das Tonbandgerät: Der „Moving Magnet“ ist das Band, die Spulen befinden sich im Tonkopf.
Eine (semi)professionelle Bandmaschine besitzt meist drei Köpfe: Von links nach rechts, entsprechend der Bandlaufrichtung, sind dies Löschkopf, Aufnahmekopf und Wiedergabekopf. In ihrem Aufbau sind diese Köpfe im Prinzip alle gleich: Es handelt sich um sogenannte Ringkernköpfe, deren dem Band zugewandte Seiten durch einen schmalen Spalt unterbrochen sind. Die Spalteinlage ist ein unmagnetisches Material wie zum Beispiel Kupfer oder Glimmer. Die Zone um den Spalt ist bogenförmig feingeschliffen. An dieser Spiegelfläche gleitet das Band mit seiner Magnetschicht vorbei. Der Aufnahmekopf überträgt die von einem speziellen Verstärker gelieferten Audiosignale als Magnetisierung aufs Band, wobei die magnetischen Kraftlinien aus dem Spalt in das Band eindringen. Die Magnetisierung wechselt ihre Polarität zwischen Nord- und Südpol im Takt der Schallschwingungen vor dem Mikrofon; der Schall ist quasi in magnetischer Form auf dem Band gespeichert.
Der Wiedergabekopf erzeugt aus den an ihm vorbeigleitenden wechselnden Magnetfeldern des Bandes eine Spannung. Sie ist in etwa genauso schwach wie diejenige aus einem Tonabnehmer, wenn er die Rille der Schallplatte abtastet: einige tausendstel Volt. Auch sie muss also um einiges verstärkt werden.
Wer von der Schallplattentechnik her bereits gewohnt ist, dass es um tausendstel Millimeter (Mikrometer, µm) geht, kann das gleich in die Magnet-bandtechnik übertragen: Auch hier spielt sich alles im µm-Bereich ab. Eine kleine Rechnung mag das verdeutlichen: Wenn ein Band zum Beispiel mit einer Geschwindigkeit von 19 cm/sec am Kopf vorbeiläuft, so wird es bei einem hohen Ton von 19 kHz in einer Sekunde neunzehntausendmal ummagnetisiert. Auf 19 Zentimetern haben wir also 19 000 Nord- und 19 000 Südpole (zu einer kompletten Schwingung gehört immer ein Nord- und ein Südpol) nebeneinander. Daraus folgt, dass ein Pol eine Breite von 5 µm hat. (190 mm : 19000Hz : 2 = 0,005 mm). Um diesen magnetischen Wechsel „lesen“ zu können, muss der Kopf also eine Spaltbreite von genau diesen Ausmaßen haben. Daher ist der Spalt mit dem bloßen Auge auch nicht so ohne weiteres zu sehen. Der Aufnahmekopf hat, physikalisch bedingt, eine etwas größere Spaltbreite.
Der Löschkopf, der in Laufrichtung des Bandes vor den beiden anderen Köpfen liegt, entmagnetisiert das Band durch ein sehr starkes Hochfrequenz-Magnetfeld und sorgt dabei dafür, dass jeglicher Magnetismus – also auch eine bestehende Aufnahme auf dem Band – unwiederbringlich gelöscht wird. Sein Spalt ist recht breit und gut sichtbar. Er wird natürlich nur betrieben, wenn etwas auf das Band aufgenommen werden soll; Maschinen, die nur zur Wiedergabe dienen, haben keinen Lösch- und keinen Aufnahmekopf.
Theoretisch funktioniert das Ganze jetzt schon recht ordentlich. Wenn da nicht die Physik noch Bewegung fordern würde: Um mit der Elektrizität Magnetismus zu erzeugen und aus diesem wieder Elektrizität zu gewinnen, muss sich eines von beiden bewegen, entweder der Strom oder der Magnet. Und je schneller diese Bewegung ist, desto besser ist das Ergebnis. Was für die Audiotechnik heißt: Hohe Töne erzeugen eine größere Elektrizität, in unserem Fall eine höhere Spannung. Die Wiedergabe der hohen Töne wäre also zu laut, die Tiefen wären benachteiligt. Um einen linearen Frequenzgang zu erhalten, muss der im Tonbandgerät integrierte Verstärker die tiefen Töne anheben und die hohen etwas absenken. Das erfordert praktischerweise eine ähnliche Entzerrung, wie sie auch als RIAA-Kurve bei der Schallplatte bekannt ist. Dafür besitzt jedes Tonbandgerät eigens berechnete Aufnahme- und Wiedergabeverstärker mit entsprechenden Frequenzgängen.
Und damit konkret zur Revox PR99. Diese semiprofessionelle Maschine ist mit allem ausgestattet, was man (nicht nur) zur Wiedergabe hochwertiger Masterbänder braucht, im Grunde genommen ist sie fast schon ein kleines Tonstudio. Wenn ein Audiosystem mit entsprechenden Anschlüssen für eine Tonaufzeichnung und deren Wiedergabe (Tape out – Tape in) vorhanden ist, lassen sich wie in früheren Zeiten aus der Schallplattensammlung ganze „Sendungen“ zusammenstellen. Bei der Aussteuerung der Aufnahme helfen die – im Fachjargon „Zappelmänner“ genannten – VU-Meter mit einer zusätzlichen kleinen Leuchtdiode, deren trägheitslose Anzeige empfindlich auf übersteuernde Impulse reagiert.
Es ist offenkundig, dass der Trend zum Musikgenuss mit den rotierenden Spulen stetig zunimmt; selbst Bandmaterial wird mittlerweile in Frankreich wieder produziert. Die meisten Maschinen, auch die PR99, werden übrigens senkrecht in die HiFi-Anlage integriert, was mit entsprechenden Spulen und Adaptern durchaus sehr gut aussieht – und klingt!
Moment, da gibt es noch zwei weitere Buchsen an Ihrem Gerät. Sie tragen die Bezeichnung „MIC“. Da könnten Sie jetzt ein Mikrofon anschließen … Ach, Sie haben keins? Stecken Sie doch mal ihren Kopfhörer in die Buchsen, schalten Sie das Gerät auf Aufnahme und sprechen Sie in den Kopfhörer – wie war das doch mit der Physik: Spule – Magnet – Bewegung?