Album-Doppel: Duke Ellington Ellington – Elvis Costello
Arbeiten mit Jazzorchester
Otto Preminger (1905–1986), in der Bukowina geboren, war 1935 noch Theaterdirektor in Wien. Dann ging er nach Hollywood und verursachte als Filmregisseur einige kleine Skandale. Dass er eine Schwäche für den Jazz hatte, zeigten schon seine Filme Carmen Jones und The Man With The Golden Arm. Für Anatomy Of A Murder, ein Gerichtsdrama, wünschte er sich sogar einen echten Jazzkomponisten, der auf dem Set dabei sein sollte, um das richtige Feeling zu bekommen. Duke Ellington war interessiert, aber schwer abkömmlich. Doch Ellington hatte für solche Fälle seine „rechte Hand“, den Komponisten Billy Strayhorn. Wochen-, sogar monatelang lebte Strayhorn mit dem Filmteam in einem alten Landhotel in Michigan. Er saß gerne an der Bar, plauderte viel, kochte auch, spielte auf dem Hotelklavier – zuweilen vierhändig mit James Stewart, dem Hauptdarsteller.
Ellington kam Anfang Mai 1959 hinzu, von Strayhorn gut präpariert. Es war Ellingtons erste Filmmusik, doch er wusste natürlich, wie das geht: zwei, drei Leitthemen schreiben und sie vielfach variieren. „Flirtibird“ nannte er sein Thema für die weibliche Hauptfigur, gespielt von Lee Remick. „Polly“ stand für den Anwalt, den James Stewart verkörperte. Und dann gab es noch den „Pie-Eye Blues“ für einen Jazzpianisten, eine Nebenfigur, die Ellington im Film selbst spielte – das Thema wurde dann zur Titelmelodie „Anatomy Of A Murder“. (Die Sängerin Peggy Lee betextete sie später als „I’m Gonna Go Fishin’“.) Aus diesen drei Motiven hat Ellington fast die komplette Filmmusik entwickelt, in zahlreichen Abwandlungen. Von „Polly“ etwa gibt es auch Varianten mit Klavier und Geige („Low Key Lightly“) oder mit Bassklarinette und Celesta („Midnight Indigo“). Mit Combo-Besetzungen, Dixieland oder einem Stil à la Guy Lombardo wurde ebenfalls experimentiert. Das Skizzenhafte, Evokative daran kam Ellington entgegen – so ähnlich entstanden auch seine viel beachteten „Suiten“. Sein Mitarbeiter Billy Strayhorn, eigentlich der bessere Komponist, hielt sich übrigens auffällig zurück – er gönnte Ellington den Hollywood-Ruhm.
Am 29. Mai 1959 ging Ellingtons Band, die völlig unvorbereitet war, erstmals mit den neuen Stücken ins Studio. Der Zeitdruck war groß: Am 1. Juli sollte Anatomy Of A Murder bereits Premiere haben. Es wurden im Film dann natürlich nur Schnipsel der Musik verwendet – das originale Soundtrack-Album enthielt dann immerhin 13 ganze Stücke. Es zählte aber nie zu Ellingtons Meisterwerken, zumal es nicht jazzmäßig, sondern hollywoodmäßig abgemischt war. Erst in den 1990er Jahren machte der Trompeter Wynton Marsalis auf die hohe Qualität dieser Musik aufmerksam. Sie werde im Film zwar nicht optimal eingesetzt, meinte er, gebe ihm aber „the sound of sex“. Auf Marsalis’ Betreiben hin erschien 1999 eine CD-Version einschließlich zwölf Bonustracks – alles klanglich aufgemöbelt und mit reichhaltigen Kommentaren im Booklet. Nun lässt sich mitverfolgen, wie kreativ Ellington im Studio gearbeitet hat.
Die Albumverpackung des Soundtracks – angelehnt ans Filmplakat – ist ein Cover-Klassiker geworden. My Flame Burns Blue (2005) zitiert ihn mit Geschmack: Die Silhouette des Mordopfers hat sich aufgerichtet zu einer tanzenden Elvis-Costello-Karikatur. Anknüpfungspunkte bei Ellington finden sich auf Costellos Album reichlich. Erstens: die große Jazzband. „Das Metropole ist das weltweit einzige Vollzeit-Jazzorchester mit einer Streicherabteilung“, schreibt der Popsänger Costello stolz. Zweitens: Ellingtons Titelmelodie ähnelt den Bluesthemen, die Charles Mingus um 1960 schrieb – und mit einem solchen („Hora Decubitus“, 1963) beginnt Costello sein Album. (Den Text dazu verfasste er im September 2001 unterm Eindruck von 9/11.) Drittens: Costellos Titelstück ist eine Songversion der Billy-Strayhorn-Ballade „Blood Count“. Er sei wie besessen gewesen von der Ellington-Aufnahme dieses Stücks, schreibt Costello. (Der Altsaxofonist Marc Scholten eifert hier dem großen Johnny Hodges nach.) Viertens schließlich: Die Arrangements bei Costello haben immer wieder Bezüge zu Ausdrucksmitteln der Filmmusik.
Dass ein Popsänger mit einem Jazzorchester arbeitet, kommt nicht täglich vor. Bei Costello allerdings gab es schon immer eine Neigung zum Jazz. Natürlich hört man auch hier wieder seinen Song „Almost Blue“ von 1982, den etliche Jazzvokalisten gecovert haben, darunter Chet Baker, Jimmy Scott und Diana Krall (Costellos Ehefrau). Die Songauswahl lässt Costellos Karriere ein wenig Revue passieren – in ziemlich verändertem Bühnenlicht. Das Stück „Upon A Veil Of Midnight Blue“ zum Beispiel schrieb er ursprünglich für den Bluessänger Charles Brown, der es aber unter einem anderen Titel aufnahm. „Clubland“ entstand einst für Costellos Band The Attractions, „Episode Of Blonde“ für The Imposters, „Speak Darkly, My Angel“ für Anne Sofie von Otter und das Brodsky Quartet. Über die Qualität dieser Songs mag man streiten, über die Streicherpassagen auch. An den Arrangements arbeiteten u. a. Michael Mossman, Vince Mendoza, Bill Frisell und Sy Johnson – illustre Namen in der Jazzwelt. Das Album wurde 2004 live aufgenommen, beim North Sea Jazz Festival in den Niederlanden, der Heimat des Metropole Orchestra. Übrigens: Ein berückender Sänger war Costello noch nie. Bei den komplexeren Jazzthemen erinnert er frappierend an Vocalese-Künstler wie Mark Murphy oder Vince Jones.
Duke Ellington: Anatomy Of A Murder (Columbia CK 65569)
Elvis Costello: My Flame Burns Blue (Deutsche Grammophon 00289 477 5961)