Forever young – 50 Jahre Album-Klassiker – Procol Harum – Broken Barricades
Der Held des fünften Studioalbums von Procol Harum ist der Gitarrist Robin Trower. Nachdem das Gründungsmitglied Matthew Fisher (Orgel) die Band verlassen hatte, beanspruchte Trower für sich mehr Platz als Solist und Komponist. Sein raues, verzerrtes Gitarrenspiel, geschult an Blues-Ikonen wie B.B. King und Albert King, prägt den Sound der meisten Stücke. Trower schrieb auch drei der acht Titel, singt zwei davon selbst und spielt mehrere ausgedehnte Improvisationen. Schon der Opener „Simple Sister“ beginnt mit unbegleiteter E-Gitarre: „Ich schrieb das Stück für Trower, damit er ein gutes Riff spielen konnte“, sagt Bandleader Gary Brooker. Noch beeindruckender ist das Gitarrenriff in Trowers eigenem Stück „Memorial Drive“. In „Playmate Of The Mouth“ schweigt die Gitarre eigentlich überhaupt nie.
Das ungewöhnlichste Stück des Albums aber ist Trowers „Song For A Dreamer“, eine Hommage an den Gitarrenhexer Jimi Hendrix. Noch im September 1970 waren Procol Harum und Hendrix’ Trio bei derselben Veranstaltung aufgetreten. „Trower war völlig verzaubert von Hendrix’ Spiel, so wie wir alle“, erinnert sich Brooker. Dass Hendrix vom Publikum damals ausgebuht wurde und dass er zwei Wochen später unerwartet verstarb, hatte Trower sehr erschüttert. Sein „Song For A Dreamer“ ist eine psychedelische, somnambule, fast orientalisch wirkende Fantasie im Geist von Hendrix. Über weite Strecken solieren zwei Gitarren (dank Playback) gleichzeitig. Trower singt den Text selbst: “I will meet you on the other side of the moon.” Der Arbeitstitel des Stücks lautete „King Jimi“ …
Dank Trowers wichtiger Rolle bietet das Album einige der rockigsten Stücke, die die (eher klassikaffine) Band je aufgenommen hat. Ungewöhnlich ist auch der große Umfang improvisierter, instrumentaler Strecken, die in mehreren Stücken das eigentliche Zentrum bilden und am Ende dann zu einem originellen Ausklang führen. Auch der Schlagzeuger B.J. Wilson bekommt zwei Features („Broken Barricades“, „Power Failure“). Die musikalische Emanzipation des Gitarristen verlief übrigens nicht ohne Spannungen – das Album wurde lediglich 35 Minuten lang. Bald danach verließ Trower die Band und startete eine Solokarriere. Als Procol Harum 20 Jahre später wieder zusammenkamen, war er erneut mit dabei.
Aufnahme: Februar/März 1971
Veröffentlichung: 11. Juni 1971
Label: Chrysalis
Produktion: Chris Thomas
Titel:
- Simple Sister 5:48
- Broken Barricades 3:09
- Memorial Drive 3:43
- Luskus Delphi 3:44
- Power Failure 4:29
- Song For A Dreamer 5:36
- Playmate Of The Mouth 5:03
- Poor Mohammed 3:05
Musiker:
Gary Brooker, Gesang und Piano
Robin Trower, Gitarre und Gesang
Chris Copping, Bass, Orgel und Fender-Rhodes-Bass
B.J. Wilson, Schlagzeug
Namentlich nicht bekannte Studiomusiker (Streicher, Bläser)
- Der ziemlich aggressive Opener „Simple Sister“ gilt als eines der besten Procol-Harum-Stücke überhaupt. Im Zentrum steht ein dreieinhalbminütiger Instrumentalteil mit zwei Gitarrensoli, einem tremolierenden Klavier-Intermezzo und ein paar Geigenfiguren. Das fast sechsminütige Stück wurde auch ausgekoppelt, verteilt auf die beiden Seiten einer Single.
- Die Aufnahmen entstanden im neuen Studio von AIR (Associated Independent Recording), der Firma des langjährigen Beatles-Produzenten George Martin. Die Multitrack-Möglichkeiten dort sowie Martins gute Beziehungen zur Londoner Klassikszene kamen der Produktion sehr zugute.
- Schon seit der Debüt-Single A Whiter Shade Of Pale (1967) stammten alle Songtexte der Band von Keith Reid. Er schrieb die Lyrics vor der Musik – sie wurden dann von der Band „vertont“. Die Texte sind oft vieldeutig und dunkel. Über das Titelstück „Broken Barricades“ sagt Gary Brooker: „Ich bin nicht ganz sicher, wovon der Text handelt. Ich assoziiere damit ein Umwelt-Thema. Aber er kann bedeuten, was immer du willst.“
- Der Rockjournalist Ritchie Yorke verstand den Albumtitel so: „Procol Harum haben die Barrikaden niedergerissen, die den Rock umgaben.“
- Chris Copping war bei den Aufnahmen Organist und Bassist zugleich. Um diese Doppelrolle besser zu meistern, spielte er einige Bassparts auf einem Bass-Keyboard – das hatte er bei Ray Manzarek von den Doors abgeschaut.
- Für das Glissando-Riff im straighten Rockstück „Playmate Of The Mouth“ holte man ein paar Posaunisten aus einem Pub. Sie bringen das Stück zu einem jazzigen Schluss, der sanft ausgeblendet wird.
- Der Song „Power Failure“ handelt vom Musikeralltag „auf Tour“. B.J. Wilson hat hier ein fast 90-sekündiges Schlagzeug-Feature, an dessen Ende aufbrandender Applaus aus der Konserve eingeblendet wird – ein Stück Live-Konzert-Feeling.
- Der Songtext von „Luskus Delph“ war Gary Brooker peinlich: „Man will ihn nicht so genau analysieren.“ Nach Brookers Meinung handeln die Lyrics vom weiblichen Geschlechtsorgan. Mit dem Einsatz von Streichern und Bläsern habe er versucht, vom Text abzulenken.