FIDELITY 54 ab 12.02.2021 am Kiosk
Liebe Leser von FIDELITY,
als Testredakteur leidet man unter dem (bisweilen recht unterhaltsamen) Zwang, hinter jeder Produktneuheit einen Trend oder – sofern die Lupe greifbar ist – doch zumindest einen Mikro-Trend entdecken zu wollen. Ich kann Ihnen gar nicht mehr aufzählen, wie oft ich bereits das nahende Ende der CD und ihrer Ableger prophezeit habe – und damit ein ums andere Mal baden ging.
Die HIGH END in München ohne erwähnenswerte Disc-Player … die CD ist tot! Ein neuer Streaming- Service betritt den Markt … die CD ist tot! Im Jahr darauf eine IFA ohne silbrig schimmernde Top-Boliden … die CD ist tot! Diesmal aber garantiert! Dummerweise neigt man beim Testen dazu, zwei erstaunlich untechnische Variablen zu übersehen. Zum einen stehen allein in den Regalen deutscher Wohn- und Hörzimmer noch Milliarden Silberscheiben. Das ist eine Zahl mit neun Nullen. Schon für den hiesigen Markt dürfte es sich also noch über Jahre und Jahrzehnte lohnen, Disc-Player aller Klassen anzubieten. Von den globalen Bedürfnissen wollen wir gar nicht erst sprechen.
Außerdem (zweitens) lieben wir das haptische Erlebnis physischer Tonträger. Ein Netzwerkspieler kann das Gefühl einfach nicht ersetzen, das man verspürt, wenn man die kleine transparente Schatulle aus dem Medienregal zieht, öffnet und den Silberling in der Hand hält. Daran wird auch die farbenfrohe Aufmachung von Roon und Co. nichts ändern. Und auch der Umgang mit physischen Medien ist grundlegend anders: Während wir beim Streamen permanent verleitet sind, von Track zu Track zu springen, kaum ein Lied zu Ende zu hören, widmet man der CD gern mehr als eine Stunde.
Was wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, hat uns aber trotz dieser Argumente verblüfft. Nach längerer Pause landeten mit wenigen Tagen Abstand gleich vier SACD-Player in der Redaktion. Jeder einzelne davon ein echtes Flaggschiff. Normalerweise könnte man nun mutmaßen, dass einer der bekannten Zulieferer ein bahnbrechendes neues Bauteil fertigt (Wandler, Laufwerk etc.), das nun Einzug in bestehende Modelle hält. Doch das trifft hier garantiert nicht zu. Eher im Gegenteil: Die vier Boliden von Esoteric, Luxman, Mark Levinson und PS Audio sind derart exklusiv, dass die Hersteller sich nie trauen würden, auf Technologien von der Stange zu setzten. Sie machen es wie Esoteric mit dem Atlas-Laufwerk und führen ihrerseits lieber neuartige Komponenten und Baugruppen im Markt ein. Und das lässt unterm Strich nur einen Schluss zu: Obwohl man optische Medien gern am hinteren Ende ihrer Lebenszyklen wähnt, sind CD und SACD noch lange nicht ausgereizt und werden uns wohl noch eine ganze Weile begleiten.
Und nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen mit FIDELITY 54.
Ihr
Carsten Barnbeck