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Vintage Pioneer Restauration

FIDELITY Vintage: Pioneer Restauration

Röhren-Archäologie auf dem Dachboden

Wir restaurieren einen Klassiker aus dem Jahre 1967, einen Röhren-Vollverstärker von Pioneer.

Auch aus Geräten‚ in denen es sich im Laufe der Zeit Spinnen gemütlich gemacht haben‚ sind nach liebevoller Reinigung und Restaurierung noch gute Klänge herauszuholen. Zum Beispiel aus diesem Pioneer-Verstärker der 1960er Jahre.

 

Nach zwei Rundflügen durch die Röhre (FIDELITY Nr. 11 und Nr. 12) setzen wir nun zur Landung an. Mit einer liebe­voll restaurierten Vintage-Maschine und ihren alten Instrumenten ist das Fliegen auf Sicht leider eine schwierige Sache und auch immer ein klein wenig von Zufällen abhängig. Im konkreten Fall haben die Energievor­räte gerade noch bis ins Dach einer alten Scheune gereicht, obwohl der sichere Flughafen nicht mehr weit gewesen sein kann. Auf dem Dachboden der Tatsachen angekommen, hat die kleine Perle aus der HiFi-Frühzeit bis heute vor sich hin geschlummert, während sie langsam unter einer dicken Staub­schicht verschwand …
Diese Perle ist ein Vollverstärker SM 83 von Pio­neer. Nach Entfernen des oberen Gehäuses bietet sich ein typisches Bild für Röhren-Pretiosen, die schon vor vielen Jahren einer transistorisierten Neuanschaffung weichen mussten: Zwischen Röhren und Transfor­matoren spannt sich ein zartes Spinnennetz, und auf den Blechen der Ausgangsübertrager hat so manch feuchter Sommer seine Spuren als Rost hinterlassen. HiFi-Archäologen gehen in solchem Fall mit besonde­rer Vorsicht zu Werke, mit einem weichen Pinsel, einer Pinzette, einem Uhrmacher-Schraubendreher und gutem Licht. Und sehr viel Fingerspitzengefühl.

Einschalten oder nicht?

Zum weiteren Vorgehen ist ein klein wenig Mut und noch sehr viel mehr Vorsicht gefragt. Denn das Einschalten ist möglich, wenn das Gerät a) trocken, b) auf die richtige Netzspannung eingestellt und c) mit geöffnetem Gehäuse dasteht und d) der aus­führende „HiFi-Pilot“ über eine gehörige Portion Er­fahrung bei solchem Vorgehen verfügt. Er sollte, nein, muss insbesondere alles während der ersten (Be­triebs-)Sekunden scharf beobachten können! Sämt­liche Regler und Schalter gehören zuvor auf Links­anschlag. Dann den Netzstecker einstecken, Gerät einschalten und mit allen Sinnen wachsam sein. Nach ca. 30 Sekunden sollten die Röhren glühen, was oben, dicht unter der dunkel-silbernen Glaskappe erkennbar ist. Während dieser „Aufweck-Phase“ sind sowohl Geruchs- als auch Hörsinn (bei HiFi-Fans eigentlich eine Selbstverständlichkeit) gefordert. Es sollte nichts unangenehm riechen, geschweige denn qualmen, und auch aus der Elektronik sollte kein hör­bares Knistern, Brutzeln oder Zischeln zu vernehmen sein. Und Lautsprecher sind zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht angeschlossen!

Vorsicht: Blindgänger

Es bleibt weiterhin spannend. Unter verschärf­ter Beobachtung stehen besonders die Elkos, diese großen silbernen Becher, die sich von allen anderen Bauteilen auf der Chassis-Oberseite deutlich unter­scheiden. Hier ist es empfehlenswert, deren Gehäu­setemperatur ständig zu kontrollieren: Immer wieder prüfe man vorsichtig mit dem Fingerrücken, ob sich der eine oder andere Becher während des Betriebs erwärmt. Sollte das der Fall sein, muss das Gerät sofort vom Netz getrennt werden! Denn der „warme Elektrolyt-Kamerad“ ist definitiv defekt und würde bei weiterem Betrieb im wahrsten Sinne des Wortes explodieren. Er muss gewechselt werden.
In etlichen Foren, die sich mit derlei elektronisch-archäologischen Errungenschaften befassen, wird recht schnell der Ruf nach neuen Kondensatoren laut. Überhaupt ist das „Recappen“ bei älteren Geräten zu einer Art Mode geworden, sowohl in der HiFi- als auch in der Studiotechnik. Oft werden wahllos alle Kondensatoren erneuert. Zugegeben, Kondensatoren altern. Aber sie lassen sich auch wieder „formieren“, wie der Fachmann sagt. Es ist wie mit alten Akkumulatoren: nicht sofort wegwerfen (Verzeihung: „fachgerecht entsorgen“), sondern wiederbeleben! Das Rezept, das so manche chemische Reaktion wieder in die richtige Bahn lenkt, heißt Laden und Entladen. Werden diese Kondensatoren auch nach längerem Betrieb nicht warm, darf man davon ausgehen, dass sie noch „gut“ sind und im Laufe der nächsten Stunden besser werden. Hier kann dann wirklich von „Einspielen“ gesprochen werden.

Erste Kontaktaufnahme

Sofern das Gerät bis jetzt durchgehalten hat und stabil ohne nennenswerte Auffälligkeiten arbeitet, kann man vorsichtig die Lautsprecher anschließen. Damit wird zum ersten Mal hörbar, was sich im Innern des wiederbelebten Gerätes abspielt: Krachen, Brummen, Rauschen. Eine Berührung der Röhren (Vorsicht – heiß!) wird meist mit Krachen quittiert, denn diese sind im Laufe der Jahre auch in ihren Fassungen etwas oxidiert. Meistens kehrt schon Ruhe ein, indem man die Röhren in ihren Fassungen vorsichtig bewegt. Aber auch Eingangswahlschalter und der Lautstärkesteller können Störungen verursachen. Vermutlich hat der Zahn der Zeit an den Kontakten genagt. Häufiges Bewegen macht diese Aggregate wieder gängig. Ist ein konstantes Brummen aus den Lautsprechern zu hören, darf davon ausgegangen werden, dass der eine oder andere Lade-Kondensator des Netzteils an Kapazität verloren hat. Hier muss man für Ersatz sorgen – längerer Betrieb und neues Formieren hilft in solchen Fällen leider nicht. Probeweise kann jeder „Verdächtige“ mit einem intakten Elko (Vorsicht – hohe Spannung und Polarität beachten!) überbrückt werden. Sollte aus den Lautsprechern rein gar nichts zu hören sein, werden eine oder mehrere Betriebsspannungen schlichtweg „fehlen“. Diese lassen sich leicht an den Elektroden der Endröhren kontrollieren. Nach Abnahme des Bodenblechs erleben wir die Handverdrahtung in ihrer ganzen Pracht. Der Vorteil: Sämtliche Kontakte für Messungen sind übersichtlich zugänglich. Der Nachteil: Minimale Audio-Spannungen und höchst gefährliche Betriebs­spannungen liegen kreuz und quer durcheinander. Man sieht es den blanken Drähten nur nicht an …

Dornröschen wird geweckt

Wenn der Verstärker selbst ruhig ist, es aus den Lautsprechern leise rauscht, die Röhren warm wer­den und die Elkos kalt bleiben, dann ist der Moment gekommen, einen Tuner oder CD-Spieler anzuschlie­ßen. Unser Verstärker-Dornröschen wird also endlich aus dem Schlaf geweckt und hat nun die Chance, Signale zu verstärken. Man sollte sich dabei nicht durch unterschiedliche Klänge aus den beiden Kanä­len irritieren lassen. Zu 95 % sind auch das Kontakt­schwierigkeiten einzelner Schalter. Davon gibt es tatsächlich einige – Loudness, Tape-Monitor, Filter Low, Filter High, Speaker, Headphone, Presence, Rumble, Balance etc. pp. –, und jeder dieser Schalter kann seinen ganz eigenen (Wackel-)Kontakt haben.
Allein schon die Anzahl der diversen Schalter deutet es an: In früheren Zeiten war hifideles Hören durchaus dem Geschmack des Anwenders unterle­gen. Selbst getrennte Höhen- und Bassregler für die beiden Kanäle, wie an unserem Verstärker vorhan­den, galten als normal. Man beachte dabei, dass in den frühen Tagen der Stereo-Technik in den seltens­ten Fällen beide Lautsprecher mit dem Hörer das berühmte gleichseitige Dreieck bildeten. Oft genug stand ein Lautsprecher hinter einem Vorhang auf dem Boden, der andere im Regal. Da musste schon mal kräftig in den Frequenzgang und die Balance eingegriffen werden.

Erstes Feintuning: Die Untersuchung der Röhren

Sollten sich jetzt – trotz gut funktionierender Schalter – noch immer leichte Unterschiede im Klang der beiden Kanäle bemerkbar machen, könnte es an den Röhren selbst liegen. Wir sollten so mutig sein, gleiche Typen mit entsprechenden Steckplätzen zu vertauschen; ein bisschen „Tube Rolling“ kann nicht schaden. Denn erstens beseitigt das Bewegen der Röhren in ihren Fassungen Wackelkontakte, zweitens lässt sich auf diese Art und Weise vielleicht eine schwächelnde Röhre aufspüren. Dabei aber immer wieder an die Hitze denken! Bei den Röhren unseres Amps handelt es sich mit Sicherheit um die Erstbestückung. Allein der Aufdruck deutet auf hochwertige, streng selektierte Exemplare hin. Irgendwie hat sich diese Sitte über die letzten 50 Jahre hinweg gut gehalten, denn solche Aufdrucke finden sich heute immer noch. Beim Reinigen der Röhren – auch das gehört zur Pflege dazu – kann durchaus die eine oder andere Beschriftung verwischt werden. Empfehlenswert ist, die abgezogenen Röhren so zu platzieren, wie sie im Verstärker saßen. Eine Verwechslung der verschiedenen Typen kann mitunter das ganze Gerät oder auch nur die Röhre zerstören. Wer einen Kennerblick ins Innere der Röhre werfen will, um den Röhrentyp zu identifizieren, sollte also bereits sehr viel Erfahrung mitbringen.

Ein Widerstand mit zu viel Widerstand

Da in unserem konkreten Fall der Verstärker auf einem der beiden Kanäle sehr stark verzerrt, werden sämtliche an den Röhren anliegenden Spannungen verglichen. Das ist natürlich nur möglich, wenn bei einem Stereo-Verstärker ein Kanal noch gut funktioniert. Man kann die Spannungen dann Lötstelle für Lötstelle miteinander vergleichen und findet Fehler auf diese Weise recht schnell. Bei unserem Pioneer wird ein unterbrochener Widerstand als schuldig identifiziert. Von außen ist so ein Fehler nicht sicht- bar; es muss also gemessen werden. Nachdem dieses Bauteil ersetzt und das Gerät wieder zusammengebaut worden ist, erfreut es mit dem Klang der 60er Jahre. Ach ja – die Erstbestückungsröhren müssen hier nicht ersetzt werden; sie funktionieren auch nach 50 Jahren noch prima.

 

www.pioneer.de

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.