Aller guten Dinge sind – weniger als sechs
Brauchen wir wirklich noch einen weiteren neuen Lautsprecher?
Es gilt wohl als erwiesen: Stehen mehr als sechs Produkte der gleichen Art zur Auswahl, ist der potenzielle Kunde mitunter so überfordert, dass er sich gar nicht mehr entscheiden kann (oder will). Das konnten zwei US-Forscher im Rahmen eines Feldexperimentes nachweisen, dass sie mit verschiedenen Sorten von Konfitüre durchgeführt hatten. Basierend auf diesen Forschungsergebnissen will ich es mal in Bezug auf die High-End-Lautsprecherbranche etwas vereinfacht ausdrücken: Bei mehr als sechs verschiedenen Lautsprechern steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Musikliebhaber gar keine mehr kaufen wird, mit der Anzahl der angebotenen Typen stark an. Oder noch einfacher: Stehen mehr als sechs Lautsprecher zur Auswahl, kaufen viele Interessenten lieber gar keinen neuen mehr. Oder stattdessen eine Espressomaschine.
Traumtanz & Bauchwahl
Warum ich Ihnen das erzähle? Nun, weil mich der Chefredakteur vor einiger Zeit anrief und mir einen neuen Lautsprecher für einen Bericht anbot. Und weil ich wie die Testkunden oben reagierte: Ich wollte einfach nicht. Denn mal ehrlich: Wenn es im aktuellen High-End-Markt von etwas viel zu viel gibt, dann sind das wohl Lautsprecher. Nicht nur, dass offenbar jeden Morgen einer aufwacht, dem im Traum (was träumen die eigentlich?) wieder einmal der beste Lautsprecher der Welt eingefallen ist. Nein, zudem ist heute praktisch jedes Konzept in zahllosen verschiedenen Ausführungen und „revolutionären Weiterentwicklungen“ im Angebot: Breitbänder, Hornkonzepte, Elektrostaten und natürlich eine scheinbar endlose Auswahl an Zwei-, Drei-, Vier- oder Nochmehr-Wege-Konzepten. Davon interessiert mich persönlich derzeit vor allem „der Weg zurück“ – zurück zu den Konzepten, die in den 1920er oder 1930er Jahren ganze (Kino-)Säle beschallten. Hier ist meines Erachtens noch einiges Neue zu finden …
Was aber bietet mir CB an? Ein klassisches Dreiwege-Konzept für rund 20 000 Euro pro Paar. Schlagartig macht sich Langeweile bei mir breit, extreme Langeweile. Das ändert sich aber schnell, als ich erfahre, dass der Lautsprecher einen Wirkungsgrad von 92 dB aufweisen soll, eine Nennimpedanz von (röhrenfreundlichen) acht Ohm so gut wie nie unterschreitet und von der österreichischen Manufaktur Ayon entwickelt wurde. Von Ayon hatte ich in den letzten Jahren ausnahmslos nur gute Verstärker und CD-Player – alle in Röhrentechnik – gehört. Da der Firma Ayon zudem ein gewisser Gerhard Hirt vorsteht und dieser Mensch nicht nur sehr sympathisch, sondern auch ein echter Musikfan ist, wurde meine Abwehrhaltung schließlich schwächer. Mit dem Argument, dass ich weltweit tatsächlich der Erste sein würde, der diese Lautsprecher ausführlich zu hören bekommen sollte, fiel meine Entscheidung schließlich doch zu Gunsten der neuen Ayon, die den Namen „Black Hawk“ trägt. Eine Entscheidung aus dem Bauch heraus – und nicht meine schlechteste, wie sich schon bald herausstellen sollte.
Ein Solist kann tief durchatmen
Aus den fast mannshohen Versandkartons schälen sich zwei 128 Zentimeter hohe, 42 Zentimeter breite, 32 Zentimeter tiefe und jeweils 50 Kilo schwere Lautsprecher. Die Form der Black Hawk allerdings ist auf den ersten Blick ungewöhnlich. Sofort ins Auge fällt, neben dem AMT-Hochtöner (Air-Motion-Transformer), eine ovale Grundform, die ein optimales „Abtropfen“ der Schallwellen vom Gehäuse ermöglichen soll, sowie die leichte Anwinkelung des Gehäuses nach hinten. Die Ayon Black Hawk ist, das muss man ihr sofort zugestehen, ein wirklich bildhübscher Lautsprecher!
Wer Gerhard Hirt kennt, weiß aber, dass dieser Mann sein primäres Augenmerk nicht auf das Design legt, sondern stets auf den Klang. Das Gehäuse mit der ovalen Grundfläche besteht aus resonanzoptimiertem „dualem Instrumenten-Schichtholz“ – dual deshalb, weil pro Schichtlage immer zwei unterschiedliche Holzschichten verwendet werden. Insgesamt besteht das Gehäuse aus zehn solcher Lagen und besitzt eine Wandstärke von insgesamt 28 Millimetern. Das Gehäuse wurde zudem so berechnet, dass auf die sonst übliche Bedämpfung im Inneren verzichtet werden konnte; nur über der Frequenzeiche und auf der Deckelunterseite ist jeweils eine dünnschichtige Lage Dämpfungsmaterial angebracht.
Ayons Entwickler bezeichnen dieses Prinzip als „Airflow Damping“. Hinter dieser etwas sonderbar anmutenden Bezeichnung steckt aus technischer Sicht eine besonders trickreiche Form des Strömungsaustritts, die den besten Einklang, das beste Zusammenspiel zwischen Luftsäulen und Resonanzen realisieren soll. Laut Ayons Messungen wird mit Airflow Damping im hauseigenen Spezialgehäuse ein bis zu 1,5 dB höherer Wirkungsgrad erzielt als mit einem herkömmlichen, „zu Tode gedämpften“ Reflexgehäuse aus mitteldichter oder hochdichter Holzfaserplatte (MDF bzw. HDF).
Ayon verzichtet übrigens nicht zuletzt aus Impedanzgründen darauf, mehrere Basschassis parallel zu schalten; der in der Black Hawk eingesetzte Solist erreicht mit 85 Liter Gehäusevolumen bereits den gewünschten Frequenzbereich. Mittel-und Hochtonchassis wurden so ausgewählt, dass zwischen ihnen keine Pegelanpassung erforderlich wurde. Daher konnte die Frequenzweiche minimiert werden; beispielsweise ist im Signalweg des Air-Motion-Transformers nur ein einziger Kondensator zu finden.
Eine Frage der Power?
Ayons „schwarze Falken“ sind zufällig zur gleichen Zeit wie die Momentum-Monos von Dan D’Agostino in meinem Hörraum zu Gast. Als weitere Amps stehen mir drei Röhrenmodelle zur Verfügung: meine stark modifizierte Jadis DA5, die 300B-Monos von Welter sowie eine Audio Note P2 SE. Alle Röhrenamps werden von der bewährten Shindo Aurieges angesteuert, während die D’-Agostino-Monos natürlich von der passenden Momentum-Vorstufe des Amerikaners versorgt werden. Als Lautsprecherkabel dient die Gran- Finale-Jubilee-Top-Match-Serie von HMS, die an allen Kombinationen – Welter 300B Monos ausgenommen – mit weitem Abstand am besten klingt.
Nur an den Kleinleistungsröhren waren es wieder einmal die Kabel von Auditorium 23 und das Kondo-Reinsilberkabel SPz, die mich noch mehr als das eigentlich immer als „sichere Bank“ einsetzbare HMS-Kabel einnehmen. Da der Lautsprecher bi-wiring-fähig ist, kommt das HMS-Kabel in entsprechender Auslegung zum Einsatz, während die 300B-Verstärker sowohl mit dem A23 als auch mit dem Kondo nur „einfach“ angesteuert werden.
Eintauchen in die Musik
Nun endlich zum Wesentlichen, zur Musik.
Das dänische Label Stunt Records feierte 2013 sein 30-jähriges Bestehen. Eines meiner persönlichen Stunt-Highlights ist die 2009 erschienene CD Etta von Etta Cameron and Nikolaj Hess with Friends. Etta Cameron, von den Bahamas stammend, lebte seit 1972 in Dänemark, wo sie auch kurz vor ihrem Tod 2010 mit ihrem langjährigen Pianisten Nikolaj Hess diese liebevolle Sammlung von Balladen aufnahm. Unglaublich ihre Version des Klassikers „What A Wonderful World“. Hier sind Lautsprecher viel stärker gefordert, als es zunächst erscheint. Denn die sehr intime Stimmung des Liedes – Cameron setzt erst sehr spät mit ihrem Gesang ein – ergreift den Zuhörer nur, wenn diese auch mit allen Schattierungen und den feinsten klanglichen Abstufungen wiedergegeben wird. Die Musik lebt aus dem Kontrast zwischen der die Stimmung vorgebenden und antreibenden Stimme und den begleitenden Musikern.
Klanglich und interpretatorisch hervorzuheben sind insbesondere der fließende Einsatz der Percussion- Instrumente, gespielt von Marilyn Mazur, und das hypnotisch anmutende Klavier von Hess. Nach sieben Minuten zum Träumen kann es mit der Black Hawk nur eine Reaktion geben: Noch einmal, bitte! Die brandneue Ayon bietet ein in den wichtigen Frequenzbereichen völlig bruchloses und mit absolut glaubwürdiger, „echter“ Wärme versehenes Klangbild.
Eine wesentliche Rolle spielt hier sicherlich auch der bekannt gute Air-Motion-Hochtöner, der sich kein bisschen in den Vordergrund drängelt, sondern schlicht perfekt eingebunden ist. Tatsächlich habe ich den AMT, diesen Ausnahmewandler, noch nie so gut wie hier gehört.
Im ewigen Gershwin-Hit „Summertime“ zeigt die Black Hawk, dass der Dialog zwischen der Gospelstimme Camerons und dem an Gesang erinnernden Sound des Saxofons von Jens Søndergaard das tragende Element des Stücks ist. Im Song „You’ve Changed“ schließlich modellieren die Ayons die innere Spannung und den Fluss des Stückes – wesentlich bestimmt vom Bass und dem melodisch Akzente setzenden Piano – exemplarisch gut heraus. Der detailreiche, differenzierte und umfassende Bass wirkt gefühlvoll und warm zugleich, versucht aber nicht, die kontrastierende Härte des Pianos zu verschleiern oder gar zu überspielen. Die Black Hawk ist mühelos in der Lage, hier eine akustische Klangwärme entstehen zu lassen, wie ich sie auch von meiner Anlage kenne und schätze. Gerade bei einer solchen kleinen Besetzung mit akustisch geprägter Instrumentierung meinen es manche Lautsprecher leider häufig zu gut. Nicht selten sezieren sie die Musik übermäßig und lassen jedes Instrument in zu starkem Maße „separat“ erklingen – zwar mit ihrem jeweiligen vollen Klangspektrum, aber eben nicht im erforderlichen Zusammenspiel aller Instrumente für das übergeordnete musikalische Ziel. Wie „richtig“, insbesondere wie beeindruckend schnell die Ayons spielen – und das auch bei sehr leisen Abhörpegeln –, zeigen mir Vergleiche mit meiner großen Odeon No. 38 und einem Vollbereichselektrostaten.
Ohne Worte nochmal so schön
Auf in die Romantik: Im Mittelpunkt der neuen CD von Cellist Jan Vogler – eingespielt mit der Ausnahmepianistin Hélène Grimaud – steht Robert Schumanns Liederzyklus Dichterliebe, jedoch ohne die bekannten Texte von Heinrich Heine. Eine Interpretation, auf die sich der Hörer offen einlassen muss. Die Black Hawk unterstützen ihn dabei auf ganzer Linie und sind jederzeit in der Lage, die erkennbare Unabhängigkeit dieser magischen Musik vom eigentlichen Text in einer tief melancholischen, an Ausdruck kaum zu überbietenden Intensität wiederzugeben.
Insbesondere mit den Welter 300B Monos wird von der ersten Sekunde an klar, warum uns Schumann so häufig mit seinen Werken in einen inneren Konflikt führt: Besonders intensive lyrisch-musikalische Empfindungen rufen beim Hörer, auch wenn sie als positiv erlebt werden, nicht selten eine innere Unruhe hervor – wohlgemerkt keine Unruhe, die durch die Wiedergabegeräte erzeugt wird, sondern die allein auf dem Empfinden der poetischen Inhalte und dramatischen Aussagen Schumanns beruht. Von der Kompetenz der Ayon, dieses erregende Spannungsfeld zwischen musikalischer Magie und subtiler, aber tief verwurzelter Anspannung derart feinsinnig offenzulegen, bin ich tief beeindruckt.
Liegt Österreich in Skandinavien?
Zum Abschluss gönne ich mir Jazz von unglaublicher Schlichtheit und fast schon klassisch anmutender Schönheit: Gisle Torvik und sein Album Tranquil Fjord (ozella music). Musikliebhaber wie Musiker zählen Torvik zu den besten Gitarristen Skandinaviens – zu Recht. Dabei ist sein Sound keineswegs neu und erinnert stark an Jim Hall, was sicher nicht allein an seiner von Roger Sadowsky gebauten Archtop-Gitarre liegen dürfte. Auch die übrige Besetzung des Trios mit Audun Ellingsen am Bass und Hermund Nygård am Schlagzeug ist zunächst nicht besonders exotisch. Wenn die Wiedergabekette nicht auf den Punkt spielt, könnte ein erstes Hineinhören zu einem vorschnellen und falschen Urteil führen: fahrstuhltauglicher Smoothjazz der einfachsten Art. Ist die Wiedergabekette jedoch in sich stimmig und bestens ausbalanciert, öffnen sich mit diesem Album klangliche Horizonte von ungewöhnlicher Transparenz und unmittelbar erfahrbarer Entspanntheit, ja, fast schon idyllischer Gelassenheit.
Die Black Hawk nimmt uns, geführt von den erzählerisch-filigranen Melodien des Trios, mit auf eine wunderbare musikalische Reise, weit weg vom bekannten „Norwegersound“ und dennoch so einprägsam! Mit den Ayons erklingen die Musiker in einem klar gestaffelten Raum, ihre Melodiebögen und auch ihre kunstvoll gespielten und arrangierten Geschichten präsentieren sich in einer enorm sensiblen, feinstofflichen und geradezu umschmeichelnden Form, die – ja, wirklich! – unmittelbar Bilder im Kopf des Zuhörers entstehen lassen. Wunderbare Bilder, die an frühere Werke von Edvard Munch, des norwegischen Wegbereiters des Expressionismus,
erinnern. Oder Bilder, die entstehen, wenn man zum ersten Mal mit den Büchern und der Musik des norwegischen Musikers und Autors Ketil Bjørnstad in Berührung kommt, etwa mit seinem Roman Vindings Spiel oder seiner Jahrhundertaufnahme Water Stories von 1993. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich aufgrund dieser klanglich-inhaltlichen Symbiose die Wiege der Ayons doch sehr viel weiter nördlich als in Österreich ansiedeln wollen.
Der audiophile Souverän
Nur äußerst selten habe ich bisher erlebt, dass ein und derselbe Lautsprecher mit zwei völlig unterschiedlichen Verstärkerkonzepten in gleichem Maße auf einem derart hohen Niveau spielt. Ob nun Dan D’Agostinos Ausnahmeboliden der US-amerikanischen Hochleistungsklasse per HMS Gran Finale Jubilee PerfectMatch im Bi-Wiring-Anschluss, oder aber die überschaubaren acht Watt der Welter 300B Monos „einfach“ mit den A23-Leitern verkabelt: Die Ayon erzeugt mit beiden Konzepten die gleichen intensiven Klanggewebe, und zwar – das ist ganz besonders hervorzuheben – unabhängig von der Lautstärke der Wiedergabe. Auch in dieser Disziplin spielen die wirkungsgradstarken Virtuosen aus Österreich beinahe schon in einer eigenen Liga; sie vermögen die ganze Aufmerksamkeit ihrer Hörer sofort und souverän auf das musikalische Geschehen zu lenken.
Kurzum: Die neue Ayon Black Hawk ist höchst universell einsetzbar und völlig problemlos zu betreiben. Sie klingt bei sehr leisen Pegeln genauso temperamentvoll wie bei höheren Lautstärken, hier wie da geht sie mit natürlicher Energie und musikalischer Lebendigkeit zu Werke. Vielleicht das Wichtigste ist aber: Egal, ob knapp acht oder mehrere hundert Watt, ob Transistor oder Röhre, ob Verstärker für mehr als 90 000 Euro oder weit unter 3000 Euro – die Performance von Ayons Black Hawk zeichnet sich durch echte Leidenschaft und schier grenzenlos erscheinende Klangfarben aus – und sie musiziert immer auf Weltklasseniveau.
Ich sollte wieder öfter auf meinen Bauch hören.
Zu den Messungen Ayon Audio Black Hawk: