Bei Parov Stelar muss es grooven!
Marcus Füreder ist Schöpfer und kreativer Kopf der DJ-Band Parov Stelar. Im Interview mit FIDELITY erzählt der österreichische Produzent, wie er einst die Musikgattung Electroswing erfand, worauf beim Sampling von hundert Jahre alten Swing-Songs zu achten ist – und warum es so schwierig ist, Töne des Jazzgitarristen Django Reinhardt in moderne Tanzmusik einzubauen.
Fotografie: Jan Kohlrusch, Mark Unterberger
Ein kalter, verregneter Abend. Marcus Füreder wird in etwa drei Stunden auf der Bühne der Barclaycard-Arena stehen, einer großen Mehrzweckhalle neben dem Hamburger Volksparkstadion. Die wenigsten der 16 000 Konzertbesucher aber werden seinen Namen kennen. Sie kommen, um Parov Stelar zu erleben, das weltbekannte DJ- und Bandprojekt. Marcus Füreder, Künstler, Produzent und Kopf hinter Parov Stelar, öffnet jetzt die Tür seines Tour-Busses, in dem es wohlig warm ist. Gerade hat er sich noch massieren lassen, ein Ritual vor seinen Auftritten. Jetzt bittet er in einer bequemen Sitzecke zu Tisch. Das Gespräch beginnt.
FIDELITY: Herr Füreder, das aktuelle Album von Parov Stelar heißt Voodoo Sonic. Interessieren Sie sich jetzt statt für Swing-Musik für schwarze Magie?
Marcus Füreder: (lacht) Das wäre echt mal ein Stilwechsel. Nein, als ich bereits im Studio an dem neuen Album arbeitete, sah ich eine Dokumentation über Voodoo-Kultur. Total interessant. Es geht bei Voodoo ja gerade nicht nur um dunkle Magie. Die Voodoo-Kultur ist viel, viel mehr als das, was die meisten damit assoziieren: Nadeln in Puppen stechen und solche Dinge. Voodoo ist ein Konglomerat aus verschiedensten Religionen. Da kommen afrikanische, karibische, traditionelle christliche Einflüsse zusammen. Voodoo ist ein kulturell-religiöser Schmelztiegel. Das ist ähnlich wie bei meiner Musik. Ich nehme von da und dort etwas und bringe es in Verbindung mit Tanz und dem Ritual eines Livekonzertes. Insofern hat meine Arbeit etwas von Voodoo.
Dem Sound Ihres Albums merkt man das nicht unbedingt an. Die Platte hat keine dominanten karibischen Einflüsse.
Nein, darum ist es mir nicht gegangen. Das wäre zu flach. Wenn ich eine Jazz-Platte machen würde, dann nenne ich sie ja auch nicht einfach „Jazz-Klänge“. Genauso wenig möchte ich auch die Stücke des Albums musikalisch als Voodoo-Songs verstanden wissen. Mir geht es um den Spirit. Außerdem, unter uns, das Wort „Voodoo“ sieht ziemlich cool vorne drauf aus, mit diesen vier „o“. (lacht)
Der Titeltrack auf Voodoo Sonic klingt eher nach Disco. Und beim Stück „Number One MC“ sampeln Sie den Rapper Q-Tip. Mit dem Thema Electroswing sind Sie durch? Immerhin hat der Stil Sie groß gemacht.
Electroswing reizte mich da schon seit ungefähr zwei Jahren nicht mehr, künstlerisch gesehen. Es war eine ganz bewusste Entscheidung, mal andere Sachen auszuprobieren. Auf Burning Spider, dem vorherigen Album, habe ich mich Soul und Blues angenähert. Jetzt habe ich mich ein wenig an Rap versucht und, wenn Sie so meinen, Disco. Entscheidend ist: Es muss grooven. Du musst als Künstler hin und wieder die bekannten Pfade verlassen. Sonst fängt man an, sich selbst zu kopieren.
Das wäre dann paradox: der Sample-König, der sich selbst sampelt …
Ja, das führt nicht weiter. Ich wusste, ich komme aus der Schleife nur raus, wenn ich mich auf eine Reise ins Unbekannte begebe. Und wissen Sie was? Jetzt habe ich auch wieder Lust auf Electroswing. Es formen sich erste Ideen. Voodoo Sonic ist ja der erste Teil einer Trilogie von EPs. Auf dem zweiten Teil wird sicher wieder mehr Electroswing zu hören sein.
Sie haben in bald 20 Jahren ein stattliches Œuvre an Songs geschaffen, die zumeist auf alten Sound-Fragmenten basieren. Gibt es überhaupt noch Swing-Aufnahmen, die Sie nutzen können? Oder ist bald alles Gold gewaschen?
So schlimm ist es noch nicht. Es stimmt aber, die Suche nach einem geeigneten Sample wird nicht einfacher. Außerdem bin ich sehr picky, was den Klang von Samples angeht. Zum Beispiel arbeite ich bei meinen Songs am liebsten mit Molltonarten. Die ganzen Swing-Songs aus den zwanziger und dreißiger Jahren aber sind eher lustig, salopp gesagt. Sie sind meistens im Dur-Bereich angesiedelt. Es ist gar nicht einfach, passende Samples zu finden.
Was macht denn eine hundert Jahre alte Notenfolge zu einem passenden Sound-Fragment für ein Musikstück von Parov Stelar?
Vor allem interessieren mich Bläser-Linien. Wichtig ist dabei die Geschwindigkeit. Meistens laufen die alten Aufnahmen mit ungefähr 80 bpm (beats per minute) oder mit 160 bei Doubletime. Das ist im Kontext von Housemusic aber nur schwer zu verwerten. Meine schnelleren Songs zum Beispiel haben überwiegend ein Tempo von 120 bpm. Außerdem suche ich Samples, die zwar diesen alten Swing-Charakter haben, die aber trotzdem nicht zu alt sind. Sonst gibt’s Probleme mit der Qualität. Bei Aufnahmen aus den zwanziger und dreißiger Jahren gibt es unglaubliche Qualitätsunterschiede.
Beschreiben Sie mal Ihre Arbeit im Studio. Da läuft eine alte Swing-Aufnahme, und dann …?
Das ist zum Teil richtiges Mikro-Sampling. Ich isoliere einzelne Töne und baue sie zu etwas Neuem zusammen, das wieder eine Melodielinie ergibt. Eine neue Melodie. Zu Beginn fange ich vielleicht mit einem Drum-Loop an, und dann suche ich in meinem Sound-Archiv nach dem perfekten Sample und setze das an die Stelle, wo ich den nächsten Ton brauche. Dann wird hin- und hergeschoben, bis es passt. Da kommen 200 bis 300 Tonspuren zusammen, aus denen ein neuer Song entsteht.
Wie lange dauert das?
Das ist ganz verschieden. Bei einem guten Lauf greift alles ineinander und das Ding ist nach einer halben Stunde zusammengebaut. Dann wieder bastelst du drei Tage an einem Song, und am vierten wirfst du alles weg. Es geht dabei viel ums Tuning. Einzelne Töne müssen geglättet werden. Die Musiker damals waren oft out of tune – da muss ich dann oft einen Viertelton rauf oder einen Halbtonschritt runter, und trotzdem passt es nicht hundertprozentig. Das kann charmant sein – oder aber schräg.
Die großen Swing- und Jazzlegenden trafen die Töne nicht?
Nein, das hatte eher mit dem Stimmen der Instrumente zu tun, denke ich. Django Reinhardt zum Beispiel ist vermutlich ins Studio gekommen, stimmte nach Gehör sein Instrument, die anderen Bandmitglieder stimmten nach der von ihm vorgegebenen Stimmung, und dann ging’s los. Wenn Djangos Gitarre nicht hundertprozentig perfekt gestimmt war, ist halt alles dezent neben der Spur.
Wie sind Sie dazu gekommen, diese alten Sounds ins Hier und Jetzt zu holen? Sie lebten damals in Linz in Österreich. Nicht gerade eine Swing-Metropole …
Sicher nicht. Ich komme ursprünglich aus der elektronischen Musik. Dann kam das Sampeln dazu. Außerdem habe ich Vinyl gesammelt. Auf einem Flohmarkt ist mir dann eine Billie-Holiday-Platte über den Weg gelaufen. Die habe ich aufgelegt, im Hintergrund, als ich gerade irgendeinen elektronischen Song produzierte. Da verschmolz in meinem Kopf etwas. Ich habe dann aus Spaß einen einfachen Beat druntergelegt. So ein klinisch sauberer Beat in Verbindung mit einer knisternden Jazzaufnahme – das war spannend. Das hat sich dann verselbstständigt.
Sie spielen selbst kein Instrument, zumindest nicht öffentlich auf Ihren Konzerten. Wie komponieren Sie denn?
Wenn ich eine Melodie im Kopf habe, dann kann ich die schon grob auf dem Piano spielen, so ist es ja nicht. Oder ich singe zum Beispiel eine Trompetenlinie in mein Mikro am Telefon und nehme es so auf.
Schreiben Sie denn keine Noten auf?
Nein, ich kann keine Noten lesen.
Ihr Trompeter bekommt dann zunächst eine gesungene Melodie vorgespielt?
Das gehört dazu, ja. Ganz lustige Anekdote: Einmal habe ich am Ende sogar meinen gesungenen Trompetenpart in den Song mit eingebaut. „Sugar“ heißt der Song, der ist schon recht alt, da habe ich um zwei Uhr in der Früh gearbeitet und wusste ganz genau, wie die Trompete klingen muss. Ich hatte aber weder eine Trompete noch einen Trompeter in der Nähe, da habe ich den Part dann selbst eingespielt mit meinem Mund. Ein paar Filter drüber, fertig. Klingt wie eine echte Trompete.
Was viele nicht wissen: Sie entwerfen Möbel. Für den Esstisch „Voltaire“ haben Sie einen renommierten Designpreis erhalten. Die Jury überzeugte Ihre Verbindung von Holz und Licht. Sie sampeln also auch in 3D?
Könnte man so sagen, ja. Da kommen auch zwei Welten zusammen. Als Künstler habe ich aber keinen Masterplan, nach dem ich Ideen umsetze. Vieles passiert erst im Prozess. Hier dachte ich plötzlich, diese Tischplatte muss schweben. Das gelang dann mit der Integration von indirektem Licht.
Ihre Karriere als Möbeldesigner ist recht überschaubar. Davor entwarfen Sie erst ein weiteres Möbelstück, eine Couch.
Ja, vor 20 Jahren war das. Im Musikgeschäft bin ich etwas aktiver. (lacht) Damals hatte ich Angewandtes Design studiert. Da habe ich dann diese Couch entworfen, die ich aus einem Metallrahmen habe schweißen lassen. Davon gibt es aber nur ein Exemplar. Das steht heute bei einer Freundin. Von dem Tisch gibt es immerhin eine limitierte Auflage.
Wenn der Tisch „Voltaire“ ein Musikstück wäre: Wie würde das klingen?
Gute Frage. Und wissen Sie was? Das Musikstück gibt es. Ich habe seinerzeit tatsächlich eine Platte produziert, die nur aus Geräuschen besteht, die von den Produktionsmaschinen stammen und während der Fertigung des Tisches aufgenommen wurden. Der Song heißt „Woodblues“. Den gibt es auf Vinyl, allerdings nur in einer sehr limitierten Auflage, die an die Käufer des Tisches ging.
Sampeln Sie auch für die Songs von Parov Stelar Geräusche?
Auf jeden Fall. Da sind alle möglichen Geräusche verbaut. Ich habe zum Beispiel mal eine große Plexiglas-Platte geschüttelt und das aufgenommen. Und im Song „Between the Machine“ vom Album Seven And Storm, da hört man meinen Drucker, während er irgendwas ausgedruckt hat. Klingt ziemlich cool.
Umgekehrt gefragt: Was für ein Möbel wäre denn „Catgroove“, eines Ihrer bekanntesten Electroswing-Stücke?
Marcus Füreder lehnt sich zurück und überlegt. Ganz offenbar ist dies eine Frage, die unerwartet kommt. Dann leuchten seine Augen. Er antwortet:
Interessante Frage. Da kann es nur eine Antwort geben: ein Bett in einem Bordell.
Das Internet ist voll von Videos, in denen Fans zu „Catgroove“ mit Begeisterung Swing tanzen. Ein Kanadier hat mit seiner Tanzversion, aufgenommen in einer Garage, schon mehr als 50 Millionen Aufrufe erzielt. Tanzen Sie selbst eigentlich auch Swing?
Nein, das kann ich nicht, das ist gar nicht mein Ding. Ich bin auch nicht so tief in dieser Welt der zwanziger und dreißiger Jahre drin, wie vielleicht viele meiner Fans. Ich zieh auch die Klamotten nicht an. Ich find’s aber cool, mir das anzusehen.
Auf der Bühne stehen Sie als DJ im Hintergrund, meist in Kunstnebel eingehüllt, während Ihre Band davor spielt.
Vor allem am Anfang wollte ich definitiv, dass mein Werk bekannt wird, aber nicht ich als Person. Ich bin da eher scheu und war froh über meinen Platz in der zweiten Reihe. Um Kameras habe ich einen Bogen gemacht. Ab einer gewissen Größe wurde es dann schwierig, die eigene Person in den Hintergrund zu stellen. Jeder kennt deine Musik, die wenigsten aber wissen zum Beispiel, dass ich Österreicher bin. Der Erfolg kam ja auch zunächst in anderen Ländern. Das kann geheimnisvoll sein, kann aber auch die Karriere erschweren. Auf der Bühne ist meine Position heute aber auch eine logische Konsequenz. Die Sängerin ist die, die die Leute anspricht, die muss da vorne stehen. Soll ich mit meinem Mischpult jetzt in die erste Reihe rücken, und der Gitarrist spielt sein Solo dahinter? Nein. Ich fühle mich sehr wohl da hinten.
Wenige – zumindest unter diesem Namen. Als Parov Stelar allerdings füllt der 45-jährige Weltstar aus Linz in Österreich rund um den Globus die größten Hallen – zumeist begleitet von einer Live-Band. Anfang der 2000er Jahre schuf der damalige Kunststudent ein neues Musik-Genre: Electroswing. Er kombinierte hundert Jahre alte Swing- und Jazz-Aufnahmen mit moderner House- und Popmusik und stieg so zu einem der gefragtesten DJs weltweit auf. Sein Song „Catgroove“ aus dem Jahr 2009 wurde zu einem Welthit, auch weil private Tanzvideos von Fans bei Youtube zum Teil mehr als 50 Millionen Aufrufe erlangten. Ende 2019 veröffentlichte Parov Stelar mit Voodoo Sonic – The Trilogy 1/3 (etage noir recordings) den ersten Teil einer neuen EP-Trilogie. Marcus Füreder lebt mit seiner Familie auf Mallorca. Neben seiner Arbeit im Studio entwirft er Möbel und widmet sich der Malerei.
Parov Stelar auf Tonträger finden Sie hier.