The Chord Company, Amesbury, England – Das Ding hat Swing!
Die Kabel der Chord Company sind optisch dezent. Armdicke Schlangen sucht man vergeblich im Portfolio der Briten. Doch das ist pures Understatement: In Sachen Musikalität und Timing zählen die Strippen zur absoluten Weltklasse!
„Das ist so befriedigend“, raunt mein Mentor, während ich die klobige elektrische Crimpzange ansetze. Die Augen fest ans freigelegte Kabelende geheftet, versuche ich die richtige Stelle zu erwischen und muss dabei drei Dinge gleichzeitig balancieren. Befriedigend …? Ich komme nicht mehr dazu, mich über den Satz zu wundern, denn in diesem Augenblick beginnt der sperrige Apparat zu surren: „Rrrrrrrt“, ein sattes „Knock“, dann wieder das ratternde „Rrrrrrrt“, während die Zähne des Crimp-O-Maten in ihre Ausgangsposition zurückfahren. Alles dauert nur einen Moment, und doch spüre ich die Kraft der Maschine. Die Zange hat soeben das abisolierte Ende des versilberten Kupferkabels mit der ebenfalls versilberten Bananenhülse verbunden. Die Teile wurden mit so hohem Druck verdichtet, dass Litze und Stecker zu einer Einheit verbacken sind. Ich weiß jetzt, was Matt Cassidy mit seinem halb an sich selbst gerichteten Kommentar meinte: Es fühlt sich sogar außerordentlich befriedigend an.
„Crimpen ist zuverlässiger als Löten“, erklärt er mir, während ich mit verschiedenen Werkzeugen Strippe Nummer zwei bearbeite. „Dabei wird der Stecker praktisch zum Teil des Kabels.“ Bei ihren größeren Modellen kombinieren die Briten kurzerhand beide Techniken. Erst wird gecrimpt, dann verlöten sie die fixierten Stecker zusätzlich. Schaden kann das nicht, und die Lebenserwartung der Kabel steigt so beträchtlich.
Um mir begreiflich zu machen, wie viele qualifizierte Arbeitsschritte nötig sind, um ein vermeintlich simples Produkt wie ein HiFi-Kabel auf die Beine zu stellen, lassen mich die Gastgeber hier in der Manufaktur in Amesbury eigenhändig ein Kabel anfertigen. Einen Mangel an Mut kann man den Briten jedenfalls nicht vorwerfen. Die Lektion zeigt ihre Wirkung: Mein Respekt wächst mit jedem Handgriff. Allein das zwiebelartige Abpellen der Schirmungen dauert eine gefühlte Ewigkeit: Erst kommt die dicke äußere Gummierung an die Reihe, dann eine dünne, verflochtene und dadurch erstaunlich widerstandsfähige Silberfolie. Schließlich befreie ich die beiden filigranen, im Kabelinneren umeinandergewundenen Einzelleiter von einer weiteren Schicht Kunststoffisolation. Jeder Schritt muss exakt so bemessen werden, dass nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel der wertvollen Innenleiter freigelegt wird. Millimeterarbeit. Alles sollte zudem so sauber ausgeführt werden, dass es anschließend nach einem verkaufsfähigen Produkt aussieht. Die Briten nutzen deshalb für praktisch jeden Arbeitsschritt unterschiedliche Spezialwerkzeuge. Und da wir ja einen vollständigen Stereo-Satz herstellen möchten, muss ich alles acht Mal wiederholen. Aber es wird: Schritt für Schritt nimmt das Werksfragment in meinen Händen Gestalt an – nach und nach entsteht ein EpicX-Lautsprecherkabel .
Wir sitzen im Obergeschoss eines kleinen britischen Unternehmens. Das „klein“ sollte ich allerdings relativieren. Die Firma ist Marktführer in Großbritannien und auch an unseren Gestaden alles andere als unbekannt. Entstanden ist die Chord Company aus einem jener Zufälle, die nur das Leben schreiben kann.
Die Kabelmanufaktur ist im winzigen, gleichwohl weltberühmten Amesbury ansässig. Vom Firmensitz aus kann man bequem zu einem der geschichtsträchtigsten Orte spazieren: Stonehenge. Kaum zehn Kilometer südlich liegt das imposante Salisbury, dessen Historie ebenfalls 5000 Jahre zurückreicht und das vor allem für seine gotische Kathedrale berühmt ist. Außerdem ist Naim hier ansässig. Bei einem Vertriebstreffen hatten sich amerikanische Distributoren und Händler an einen Manager des britischen Elektronikherstellers gerichtet und ihn gefragt, ob er ihnen nicht angemessen hochwertige DIN-auf-Cinch-Adapter liefern könne. Das würde Naims (damals völlig) geschlossenes Konzept aufbrechen und den Verkauf erleichtern. Als er seiner Frau davon erzählte, bot sie sofort an, zwei, drei der geforderten Strippen anzufertigen. Prototypen … nur, um mal zu sehen. Und so setzte sich Sally Gibb, bewaffnet mit einem Lötkolben und Strippen aus dem Naim-Fundus, an ihren Küchentisch und legte los. Wenige Wochen später traf aus den USA eine erste Bestellung über 250 „Crystal Cables“ ein – und die Chord Company war geboren. 1984 war das.
Von den bescheidenen Anfängen am Küchentisch ist heute freilich nichts mehr zu erkennen. Der Firmensitz ist in einem offenen, modern eingerichteten Gewerbebau untergebracht. Spüren kann man den Geist von damals allerdings noch. Die Chord Company ist eines jener Unternehmen, deren familiären Charme man schon beim Betreten des Gebäudes wahrnimmt. Er äußert sich in den lockeren Umgangsformen in der kleinen Gemeinschaftsküche oder in den vielen winzigen Details, die den Arbeitsplätzen der etwa 15 Mitarbeiter eine persönliche Note verleihen. Die Briten sind geradezu liebevoll verspielt. Im Konferenzraum fallen mir normannische und griechische Helme auf. Und ein Transcriptor-Plattenspieler. Eines der beiden Modelle aus Kubricks Clockwork Orange, wie ich später erfahre. Außerdem sind die Hierarchien flach. Management, Entwicklung, Produktion, Marketing, Verkauf – alles findet in einem ruhigen Großbüro statt. Jeder ist deshalb auf kurzem Weg mit allen anderen vernetzt.
Der sympathische Verkaufsstratege Martin Cobb hatte mich am späten Vormittag in Gatwick eingesammelt. Gemeinsam fuhren wir nach Amesbury, wo er mir Geschäftsführer Alan Gibb und Verkaufsleiter Doug Maxwell vorstellte. Beim gemeinsamen Sandwich-Dezimieren erläutern sie mir nun die grundlegenden Gedanken zum Konzept der Marke. Wie jeder Kabelhersteller sei die Company mit dem Problem konfrontiert, dass es ihre Produkte eigentlich gar nicht geben sollte. Jedes Kabel filtere und füge der Signalkette Eigenklang bei, den es gering zu halten gelte, wie Gibb betont. Anstatt sich allerdings das Kreuz unabdingbarer Neutralität aufzubürden, gingen die Briten schon vor vielen Jahren dazu über, Phase und Timing ins Visier zu nehmen. Dies seien Parameter, die ein Kabelhersteller zu einhundert Prozent sicherstellen könne. Außerdem transportieren sie den Swing und somit die Seele der Musik.
Um beides zu gewährleisten, sei die richtige Kombination von Materialien und Geometrie entscheidend, die sich letztlich nur mit der Trial-and-Error-Methode herausfinden ließe, wobei die jahrzehntelange Erfahrung dabei helfe, Umwege und Sackgassen zu vermeiden. Auch bei der Schirmung ihrer Strippen haben die Briten einen erfrischend anderen Ansatz: Ihre Kabel sind hervorragend isoliert, die Schirmung wird allerdings nicht mit den Steckern verbunden – und folglich auch nicht mit den Komponenten. So wirke die Isolierung nur gegen hochfrequente Einstrahlungen, etwa gegen die von Handys oder WLAN-Netzwerken. Niederfrequente Signale hingegen, und dazu zählt das gesamte Audiospektrum, werden nicht beeinflusst.
Um mir die Theorie zu verdeutlichen, bitten mich Gibb und Maxwell in ihren Hörraum, in dem (wenig überraschend) eine warmgespielte Naim-Kette wartet. Standesgemäß – ich besuche ja einen Kabelhersteller – verkehrt herum, also mit der uns zugewandten Rückseite im Rack positioniert. Um Zeit zu sparen, lassen wir die kleineren Modellreihen aus und beginnen in der Mitte des Portfolios. Das ist die EpicX-Familie, die ich wenig später selbst montieren werde. Schon diese Strippe zieht mich in ihren Bann. Die Wiedergabe – wir hören einen bunten Mix von Singer-Songwriter-Kompositionen über Electronic bis zu Rock – ist transparent und mitreißend. Eine Nummer höher rangiert das EpicXL. Die Kabel sind prinzipiell identisch mit den Erstgenannten, die einzelnen Signalleiter sind hier jedoch in separaten Kabelsträngen untergebracht, die kunstvoll ineinander verflochten sind. Bereits dieser konstruktionsbedingte Unterschied bringt ein fühlbares Mehr an Dreidimensionalität und Lässigkeit in die Musik.
Danach arbeiten wir uns über das Signature XL zum stoffummantelten Sarum T, das zu den besten Kabeln zählt, die ich bis dato gehört habe. Die Wiedergabe tönt hier noch weicher und geschmeidiger, besitzt eine solche Plastizität und Präsenz, dass ich die Kabel in einem unbeobachteten Moment am liebsten in die Jackentasche gesteckt hätte. Als fulminanten Höhepunkt schließen die Briten ihr Topmodell „ChordMusic“ an. Einen passenderen Namen hätte man dem Kabel nicht geben können. Es steigert und erhebt die Tugenden des erhabenen Sarum T in eine eigene Klasse und zieht mich derart tief in die Musik hinein, dass ich körperlich spüre, wie Plektren über die Gitarrensaiten gleiten und Drumsticks auf Felle treffen.
Leider ist unser Zeitplan so straff, dass wir die Hörsession kurz halten müssen, und so gehen Gibb und Maxwell schon nach wenigen Titeln mit der Topreihe zur Überraschung des Tages über. Die von uns gehörte Musik kam nämlich ausnahmslos von einem Netzwerkspieler. Und wie ich zu meinem Staunen erfahre, war dieser nicht etwa mit einem lokalen NAS verbunden, sondern mit einem Internetdienst – Hochbit-Material von Qobuz. Um noch einen draufzulegen, bringen die beiden einen kleinen schwarzen Kasten in Position, der mit LAN-Strippen der „Music“-Familie ins Setup eingebunden wird. Das Gerät hört auf den eigenwilligen Namen „ee-8switch 002“ und vollbringt wahre Wunder: Als wir den Betrieb wieder aufnehmen, musiziert die Kette nochmal gelöster, plastischer und geordneter. Gewöhnliche Netzwerk-Router unterliegen strikten Standby-Vorgaben – kaum wurde das letzte Datenpaket übertragen, schaltet sich normalerweise der LAN-Anschluss des Routers ab, um Strom zu sparen. Ehe er wieder reagieren kann, muss er reaktiviert werden, was einen kurzen Augenblick dauert. Nicht wirklich lange, aber doch lang genug, um Stress zu verursachen, den man letztlich hört. Nicht so beim ee-8switch: Er bleibt auf Empfang und verfügt außerdem über ein für Switches ungewöhnlich robustes Netzteil.
Anschließend komme ich in den Genuss eins Prototypen, der seine Premiere wenige Tage später auf der Bristol-Show feiern darf. Das „Burndy“-Kabel ist eine Alternative zu den proprietären Stromleitern von Naims Upgrade-Netzteilen. Es ist die erste Drittanbieter-Alternative überhaupt und dürfte schon deswegen die Besitzer großer Naim-Kombis neugierig machen. Mein erster Klangeindruck war jedenfalls mehr als überzeugend. Die Wiedergabe des fremdgespeisten Streamers NDX 2 erhielt einen seidigen Glanz und kam mit einer feinen Extraportion des Chord-typischen Swings daher. Außerdem schließt der neue Stromleiter in schönster Weise den Kreis zu den Anfangstagen der sympathischen Strippenzieher …
Zuletzt möchte ich noch etwaigen Befürchtungen vorbeugen: Das von mir hergestellte EpicX-Lautsprecherkabel wird natürlich nicht in den Handel kommen, sondern wurde als Ausschuss deklariert und verrichtet nun seine treuen Dienste in unserem Hörraum. Es sieht dank tatkräftiger Unterstützung von Matt Cassidy wirklich aus wie ein Kabel und klingt, nein, musiziert ganz wundervoll.