Norddeutsche HiFi-Tage 2015 – Die Normalität des Fünfstelligen
Schämt sich denn niemand mehr für absolute Irrsinnspreise? Oder sind fünfstellige Beträge mittlerweile so normal geworden, dass wir vor lauter Nullnummern erst bei sechs Ziffern Alarm schlagen? Ein Abhärtungstest in Hamburg.
Wir schreiben das Jahr 2015 und müssen Erstaunliches feststellen. Nein, es erstaunt uns nicht, dass die Norddeutschen HiFi-Tage bereits zum zehnten Mal stattfinden. Auch nicht, dass das HiFi-Studio Bramfeld sein 40. Jubiläum feiert. Denn Messe und Veranstalter sind sehr gut organisiert, die Räume im Holiday Inn Hotel so voll wie zu besten Kempinksi-Zeiten der „guten alten“ HighEnd.
Erstaunlich ist auch nicht, DASS es so viele teure HiFi-Gerätschaften zu sehen gibt. Vielmehr erstaunt uns, wie lässig den Anbietern eine schlanke Summe von fünfundvierzigtausend Euro über die Lippen kommt. Für ein halbwegs normales Gerät, das Musik wiedergeben soll. Kein Zittern, kein Bedauern, keine Regung, dass der Preis durch den gebotenen Gegenwert nicht unbedingt belastbar dasteht. Die wenigsten teuren Dinge sind ihr Preisschild wert, die meisten Fünfstelligkeiten beeindrucken uns überhaupt nicht. Soweit normaler Messebetrieb.
Was uns hingegen tief beeindruckt, ist der starke Auftritt alter und uralter Technologien. Nahezu alle positiven Überraschungen der Show stammen aus der Schatzkiste klassischer Analogtechnik. Man nehme Plattenspieler, Tonbandmaschinen, Röhrenverstärker, uralte Lautsprecherprinzipien – und es werde Licht. Oder wie?
Das beeindruckendste Produkt der Show macht tatsächlich durch ein dezentes Lichtsignal auf sich aufmerksam: ausgerechnet ein Tonabnehmer! Das System DS-W1 von DS Audio trägt an seiner Front eine kleine LED und nennt sich selbst „optical cartridge“ oder griffiger „Nightrider“. Während es sonst immer um den schärfsten Nadelschliff oder noch weniger Spulenwindungen geht, realisiert DS Audio ein geradezu revolutionäres Konzept mit Lichtquelle und Schattenwurf statt Spulen und Magnete. Eine LED erzeugt via Rillenauslenkung des Shibata-bestückten Nadelträgers eine entsprechende Beschattung auf lichtempfindlichen Fotozellen, was vom mitgelieferten Vorverstärker entzerrt und auf Hochpegelniveau gehoben wird. Ein japanischer Großkonzern hatte das Prinzip in den Sechzigern erfunden, aber nie zur Serienreife bringen können, weil die damals üblichen Lichtquellen mit ihrer Wärmeentwicklung spätestens zur Hälfte einer Plattenseite den Tonabnehmer zum Kochen brachten. Coole LED-Technik macht den optischen Tonabnehmer nun, rund fünfzig Jahre später, den ambitioniertesten Vinylisten zugänglich. Und wir können nur bestätigen, dass die herausragende Qualität des „Moving-Light“-Tonabnehmers selbst über Schallwandler erkennbar ist, die nicht unbedingt auf unserer Wellenlänge liegen. Kostenpunkt des „Moving-Light“-Tonabnehmers laut Gerald Jacob (High Fidelity Studio): noch knapp vierstellig. Puh, Glück gehabt.
In welchen Räumen wir noch sehr gut Musik erleben? Praktisch überall, wo eine Tonbandmaschine zu sehen ist: bei EternalArts etwa (und auch bei Martion), bei Duevel und bei HiFi-ZEILE, wo die leckere 1500er Technics allerdings eher als Schaustück dient. Hier treffe ich übrigens auf den Kollegen Barske, der mir die am Audio Note OTO wirklich gut klingenden Valeur-Böxchen als Highlight unter Kennern empfiehlt. Paarpreis: autsch.
Bei der AAA steht natürlich auch die eine oder andere Bandmaschine im Fokus, doch jetzt geht es gerade um „Klangdesign“ und gewisse Filmgeräusche. Für eine praktische Vertiefung des Recordings folge ich danach dem Tonmann bis in den Raum von Phonosophie und Canton, wo Ingo Hansen zur Live-Bluessession geladen hat.
Die Bude ist randvoll, Tonband-Operator Uli Apel ein wenig konsterniert angesichts der Aufnahme-Verhältnisse (E-Gitarre und mikrofonierter Gesang sind nunmal nix „Akustisches“), doch was hier wirklich zählt, ist der unmittelbare Vergleich zwischen Live und Konserve. Die beste Quelle ist halt immer live, auch wenn’s „nur“ ’ne Elektrogitarre und ein amplifizierter Bluessänger ist. Und, hey, zu laut war’s diesmal dann auch nicht. Danke und Hut ab, dass sich Canton und Phonosophie sich wieder einmal etwas Derartiges trauen. Und auch, dass Ingo Hansen zur Abwechslung drauf verzichtet, das HiFi-Equipment – und somit auch die Hörerschaft – mit überhöhten Pegeln zu quälen.
Das wiederum ist ein stetes Phänomen in etlichen Räumen: Es ist zu LAUT! Warum merken diverse Vorführer nicht, dass die Anlage längst „am Schnaps“ läuft? Wie sollen wir mit solch groben Verzerrungen noch Musik genießen können? Hinzu kommt, dass häufig die ganz ollen Musikkamellen gespielt werden, die ich nun wirklich nicht mehr hören mag.
Bei KEF herrscht sympathischerweise ein selbstauferlegtes „Diana-Krall- und Eagles-Verbot“, dafür schießt auch KEF-DJ Johan Coorg gern ein wenig übers Pegelziel hinaus. Wenigstens gibt’s hier dann neue Musik zu entdecken.
Die gibt es bei HEAR auch, weil Arnd Rischmüller ein paar neue Scheiben per Audiomat an die JMR Euterpe Supreme weitergibt – und ich gerne sitzenbleibe, um auch den noch preisgünstigen Lautsprechern zu lauschen.
Bei nicht weniger als drei Anlagen – darunter zwei wirklich renommierte Marken – entdecke ich einen ganz elementaren Fehler: Einer der beiden Lautsprecher ist verpolt angeschlossen, es klingt sagenhaft diffus und unaufgeräumt. Peinlich, Leute! Und auch hier: zweimal echt teuer.
Richtig gut bis ausgezeichnet klingt’s über diverse Anlagen, die dann doch deutlich im besagten fünfstelligen Bereich angesiedelt sind. Versöhnlich wirkt zum Beispiel die Installation bei Wolf von Langa (Best Sound of the Show? – warum nicht).
Auch Einstein Audio mit dem fantastischen Plattenspieler Air Force 2 sowie Progressive Audio, wo die aktiven Koaxial-Schlanksäulen Extreme II mit einem unglaublichen Bass erstaunen.
Mir gefällt zudem die feine, leichtfüßige Art der kleinen Hornkultur, und noch ein bisschen mehr die kleine, komplett überarbeitete Voxativ Pi, die vor allem an der hauseigenen Elektronik mit Geschmeidigkeit und Glanz überzeugen kann.
Richtig klassisches Hi-Fi der jüngeren Neuzeit bietet Bryston, wo eine unscheinbare Dreiwegebox mit Nehmerqualitäten gegen die beste „mobile Kaffeemaschine“ antreten muss. Für die gelegentlichen Störungen des Zubereitens versöhnte dann erstens der vollmundige Klang der Bryston Mini A (die sooo klein gar nicht ist), zweitens ihr überraschend niedriger Paarpreis von 1500 Euro, und drittens natürlich die begleitende Koffeinspezialität.
Derart gestärkt, erlebe ich dann bei Silverstatic (Frank Koglin) einen bestens aufgelegten Elvis in Lebensgröße Neben der klanglichen Performance von historischen Neuinterpretationen verblassten die tollen kleinen, häufig digital unterstützten Spielzeuge ein wenig. Doch es gab sie. Etwa den kleinen, handlichen Alleskönner Sprout (gesehen bei hifi2die4)
oder den Nochvielmehrkönner iRetro, ein kompakter, röhrenbestückter, phono- und blauzahnfähiger, holzummantelter Musiktausendsassa, der vom WOD mit oder ohne passende Lautsprecher angeboten wird.
Und kurz vor Toresschluss der Messe entdecke ich noch eine halbe Etage, die ich zuvor mehrfach „übersehen“ hatte (das Kempinski lässt wieder grüßen). Highlight dort: ein Pärchen vollaktiver, digital entzerrter, kabelloser Kompaktmonitore von Nordic Audio. Die Vorführung dort ist wieder einmal zu laut, die Musik wieder einmal zu langweilig, aber ein wenig Gemecker hilft, die Sache wieder geradezubiegen. Und dann: 800 Euro pro Paar können ganz schön groß klingen. Und merke: dreistellig!
Ganz etwas anderes: Zwei gelistete Aussteller waren noch vor Beginn der Messe samt Equipment wieder abgereist, weil sie in den präparierten Hotelzimmer nicht erwarteten, die optimale Performance zu bieten. Das nenne ich konsequent, finde es aber auch schade. Denn wie man ein akustisch „holpriges“ Hotelzimmer dennoch zum Klingen bringen kann, zeigt in Hamburg nicht nur Genuin Audio mit Perraux, sondern letztlich doch eine ganze Reihe von Ausstellern. Was mich letztlich wieder versöhnlich stimmt. Oder auch abhärtet.
Zum Abschluss kehre ich nocheinmal bei AcousticPlan ein. Claus Jäckle zeigt dort seinen ersten 300B-Amp, über dessen Layout er sagt, sich eigentlich streng an der Standardschaltung von Western Electric orientiert zu haben. Derlei Ehrlichkeit erfrischt mich. Und der Preis des wunderschön gearbeiteten Röhrenverstärkers auch. Er bleibt deutlich im vierstelligen Bereich. Na also, geht doch!
Jetzt aber viel Spaß mit der Bildergalerie: