Vive la évolution!
Viele Tonabnehmerhersteller versuchen, mit neuesten Magnetmaterialien, raffinierten Spulen und ausgefuchsten Gehäusekonstruktionen zu punkten. EMT hingegen verfeinert seine seit Jahrzehnten bewährte „Tondose“ nur vorsichtig – und beweist mit dem aktuellen JSD 6G, dass sanfte Evolution ein ebenso gangbarer Weg ist.
Die technischen Grundlagen der Langspielplatte wurden in der ersten Dekade nach dem Zweiten Weltkrieg definiert. Seitdem hat sich an dem Prinzip nichts Wesentliches geändert. Trotzdem präsentieren die Tonabnehmerhersteller in schönster Regelmäßigkeit „sensationelle“ Neuentwicklungen, die natürlich „alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen“, meistens aber nichts anderes sind als der sprichwörtliche alte Wein in neuen Schläuchen.
Historisches für Kenner
Ganz anders sieht das bei EMT aus. Der Traditionshersteller, 1940 in Berlin gegründet, hat sich immer auf etablierte Erkenntnisse und fundierte Forschung verlassen. Und diese Tatsachen unterliegen keiner Mode und auch keinen Marketing-Aspekten. Erst wenn sich eine technische Neuerung wirklich durchsetzen konnte, wurde sie auch in die Tonabnehmerproduktion übernommen. Ein schönes Beispiel dafür sind die als „Tondosen“ bekannten EMT-Abtaster, die in ihrer heute erhältlichen Form bereits seit 1965 existieren und sich nach wie vor großer Beliebtheit unter Vinyl-Fans erfreuen. Obwohl schon seit Mitte der 1970er Jahre die Vorteile sogenannter „scharfer“ Nadelschliffe erkannt wurden, entschloss sich EMT erst sehr spät, nämlich 1985, seine Tondosen alternativ zur bewährten Rundnadelversion auch mit einem „scharfen“ SFL(Super Fine Line)-Schliff anzubieten. Diese eher konservative Haltung hatte allerdings auch einen ganz pragmatischen Hintergrund: Die mit einem goldenen Aufkleber gekennzeichneten Tondosen mit SFL-Schliff mussten zu 100 Prozent kompatibel zu den bisherigen Standardversionen bleiben, um auch weiterhin in der Studiotechnik eingesetzt werden zu können.
So viel Nachhaltigkeit und besonders natürlich die konstante Produktqualität ist auch anderswo nicht unbemerkt geblieben. Einige renommierte High-End- Hersteller wurden auf die „uralten“ Tonabnehmersysteme aufmerksam, und in Folge produzierte EMT Sonderanfertigungen für Van den Hul, Roksan, Thorens, Tubaphon und Brinkmann. 1992 schließlich präsentierte EMT mit dem Modell HSD 6 eine eigene, mit einer Halbzollbefestigung ausgestattete Tonabnehmervariante, die für Tonarme ohne abnehmbare Headshell nach SME- oder EMT-Standard geeignet war.
Aus H wird J
2006, anlässlich des 66-jährigen Firmenjubiläums von EMT, wurde das HSD 6 durch seine beiden Nachfolger JSD 6 und JSD 5 abgelöst, die übrigens auch heute noch erhältlich sind. Zwei Jahre später folgten die Gold-Versionen JSD 6G und JSD 5G, wobei die Zahlen einen Hinweis auf den jeweils zum Einsatz kommenden Nadelschliff geben: Zur Auswahl stehen der bereits erwähnte Super Fine Line mit 6 ?m und der etwas teurere Gyger S mit 5 ?m Verrundungsradius, die sich in jedem Fall auf einem Nadelträger aus Bor befinden. Allen gemeinsam ist auch der eigentliche Generator sowie die grundsätzliche Form des JSDGehäuses, die sich in der Praxis als außerordentlich gut durchdacht erweist. So verhindert die halboffene Bauweise stehende Wellen im Inneren des Gehäuses, das aber gleichzeitig so robust ist, dass es während der Systemmontage sicher gehalten werden kann. Eine seitliche Nut für das parallele Ausrichten zur Plattenoberfläche vereinfacht ebenso die Justage wie eine vorne angebrachte „Nase“, die die Position der Nadelspitze anzeigt. Selbstverständlich weist das Gehäuse in der Headshell Gewinde auf, um eine Befestigung ohne große Mühe zu ermöglichen. Als Folge all dieser Maßnahmen und auch dank seiner rechteckigen Form ist das EMT JSD eines der am einfachsten zu justierenden Tonabnehmersysteme überhaupt!
Schwergewicht
Der offensichtlichste Unterschied zwischen dem normalen JSD und der Gold-Version ist die schiere Masse. Bringt das JSD „Silber“ ungefähr 11 Gramm auf die Waage, so ist die Gold-Variante mit 18 Gramm deutlich schwerer. Das liegt am verwendeten hochdichten Material, aus dem das halboffene Gehäuse der Gold- Version gefräst und anschließend vergoldet wird. Um welche Legierung es sich dabei genau handelt, will EMT verständlicherweise nicht preisgeben.
Die Idee hinter dieser großen Masse ist einfach nachzuvollziehen: Sie dämpft schlichtweg die beim Abtastprozess unvermeidlich auftretenden Resonanzen und sorgt so für eine nochmals gesteigerte Abtastpräzision. Das enorme Gewicht – tatsächlich ist das JSD 6G das schwerste System, das ich je bei mir im Einsatz hatte – ist aber nicht nur vorteilhaft. Denn nicht jeder Tonarm ist in der Lage, diese Masse auch auszubalancieren. Zudem sollte der Tonarm selbst keine allzu hohe effektive Masse mitbringen, denn in erster Näherung addiert sich diese zum Gewicht des Systems hinzu. Das wiederum führt dazu, dass die Tonarm-System-Resonanz in den ungünstigen Bereich unterhalb von acht Hertz absinkt, was zum Beispiel auf Subchassis-Plattenspielern beziehungsweise beim Abspielen welliger Schallplatten zu Problemen führen kann. Selbstverständlich hat EMT diesen Punkt bei der Konstruktion berücksichtigt und einerseits das JSD 6G mechanisch gut bedämpft, andererseits die Nadelnachgiebigkeit von 15 auf 12 ?m/mN reduziert. Daraus folgt, dass idealerweise mechanisch stabile, leichte bis mittelschwere Tonarme (effektive Masse zwischen 5 und 15 Gramm) benutzt werden sollten.
Hochspannung
Das aktuelle JSD 6 Gold verwendet denselben Generator wie seine silberfarbenen Pendants. Den Übertragungsfaktor gibt der Hersteller – wie auch für die nach wie vor erhältlichen Original-Tondosen – mit 0,21 mVs/cm an, was für einige Verwirrung sorgt. Es bedeutet nämlich nicht, dass das EMT 0,21 mV Ausgangsspannung bei einer Schnelle von 5 cm/s abgibt und damit ein besonders leises Systemen wäre. Ganz im Gegenteil! Mit etwa einem Millivolt Ausgangsspannung bei einer Schnelle von 5 cm/s ist es ein außergewöhnlich lautes Moving-Coil-System, das aber trotzdem noch ein ganzes Stück von den echten High- Output-MCs entfernt ist (ein Denon DL-110 zum Beispiel ist nochmals deutlich lauter). Trotzdem kann man das JSD unter günstigen Umständen sogar direkt an einem MM-Eingang betreiben. Dieser sollte einen recht hohen Verstärkungsfaktor von mindestens 45 dB aufweisen, vor allem aber rauschfrei genug arbeiten.
Anforderungsprofil
Die erwähnten Anforderungen an den Tonarm erfüllt beispielsweise der SME Series IV perfekt – wenngleich er laut SME-Spezifikation gar nicht in der Lage sein dürfte, das schwere EMT auszubalancieren (der SME IV ist offiziell für Abtaster bis zu 15 Gramm spezifiziert). Obwohl das Zusammenspiel in der Praxis dennoch klappt, sollte man sich für diesen Fall das optional erhältliche schwerere Gegengewicht besorgen, um potenziell klangbeeinträchtigende Trägheitseffekte zu minimieren. Ein anderer Kandidat, nämlich der gute alte SME 3012-R, ist wegen seiner zu hohen effektiven Masse nicht unbedingt die allererste Wahl; hier ist wiederum die Verwendung einer leichten und stabilen Headshell empfehlenswert. Sehr schön läuft das EMT zum Beispiel im TW-Acustic Raven 10.5, in dem ich es aber nur kurz ausprobieren konnte. Unter den mir dauerhaft zur Verfügung stehenden Tonarmen war es diesmal der Dynavector DV-507 Mk II, mit dem mir die Tondose am besten gefiel. Ganz grundsätzlich aber scheint sich das EMT JSD 6G als recht gutmütig bezüglich der Tonarmauswahl zu verhalten; in allen genannten Armen tastete es bei seiner Nennauflagekraft von 24 mN mühelos 70 ?m ab.
Dem Original verpflichtet
Wer nun erwartet, dass ein EMT-System aufgrund seiner Studio-Herkunft betont sachlich und neutral ans Werk ginge, wird aufs Angenehmste enttäuscht. Vielmehr zählen EMT-Tonabnehmer meiner Meinung nach zu den musikalisch involvierendsten Abtastern, die es gibt – und das gilt auch für das JSD 6G. Der Zufall wollte es, dass ich in dem Zeitraum, in dem dieser Artikel entstand, Karten für das Dortmunder Konzerthaus hatte. Die Münchner Philharmoniker unter der Leitung von Lorin Maazel spielten Musik von Ravel, Mozart und Prokofjew. Dessen Sechste Sinfonie ist, um es einmal mit Vladimir Klitschko zu sagen, „schwäääre Kost“. Leider ist die mir vorliegende Aufnahme des Cleveland Orchestra unter der Leitung von George Szell (CBS 61 716) kein aufnahmetechnisches Meisterwerk. Das offenbart natürlich auch das EMT, allerdings ohne dem Zuhörer gleich pedantisch alle Schwächen der Aufnahme unter die Nase zu reiben. Gleichwohl zeigte der Konzertbesuch wieder einmal, wie es optimalerweise klingen müsste. So wird dann auch unmittelbar klar, dass die Tonmeister etwa bei der Live-Einspielung von Gustav Mahlers Zweiter Sinfonie mit dem New York Philharmonic Orchestra unter dem Dirigat von Leonard Bernstein ganze Arbeit geleistet haben: Spielt das EMT JSD 6G diese Aufnahme der Deutschen Grammophon ab, so stellt sich bei geschlossenen Augen wie von selbst der Eindruck ein, in einem Konzertsaal live dabei zu sein. Und das ist keineswegs bei jedem Tonabnehmer der Fall!
Beeindruckend „live“
Besonders bemerkenswert ist auch die Plastizität, ja Dreidimensionalität in der Wiedergabe, zu der das EMT fähig ist. Nehmen wir als Beispiel Johnny Cashs American Recordings. Höre ich mir „Delia’s Gone“ über das ebenfalls von mir sehr geschätzte Nagaoka MP-500 (montiert im SME Series IV) an, so habe ich das Gefühl, mich im Kontrollraum eines Studios zu befinden und Johnny Cashs Gesang und Gitarrenspiel über Monitorlautsprecher zu lauschen. Das EMT JSD 6G (im Dynavector DV-507 Mk II) vermittelt mir hingegen die Illusion, Johnny Cash säße in voller Lebensgröße auf meinem Schreibtischstuhl, der sich genau zwischen meinen Lautsprechern befindet. Exakt dieser Eindruck spiegelt wohl auch präzise die realen Aufnahmebedingungen wider, denn elf der dreizehn Stücke wurden entweder im Wohnzimmer des Produzenten Rick Rubin oder aber in Cashs eigener Blockhütte aufgenommen. Mit diesem faszinierend liveähnlichen Eindruck ist zugleich auch eine Sprachverständlichkeit verbunden, die es mir auffällig leicht macht, Songtexte auch ohne Booklet zu verstehen oder gegebenenfalls – abhängig vom eigenen Talent bzw. der Toleranz der Mitbewohner – sogar mitzusingen. Noch eindrucksvoller, ja geradezu erschütternd gut gelingt es mit dem EMT und dem Album American Recordings IV – The Man Comes Around, den krankheitsbedingten Verfall von Johnny Cash mitzuverfolgen.
Nur sehr, sehr wenige Tonabnehmer sind in der Lage, so viel intensive Live-Atmosphäre zu erzeugen wie dieses EMT-Modell und sich dabei gleichzeitig so der Musik unterzuordnen. Die klassische Tondose hat in Form des EMT JSD 6G definitiv einen weiteren Fan gefunden – nämlich mich. Ein Sieg der sanften Evolution!
www.gaudios.info www.emt-studiotechnik.de