Woodstock, Oregon
Illustration: Ralf Wolff-Boenisch
In der New York Times las ich ein Interview mit Carlos Santana. Es ging um Woodstock. Heiter die Anekdote, wie sich Santana einst während seines Auftritts verzweifelt an der Gitarre festhalten musste, weil er Mescalin geschluckt hatte und nun „Lavaströme“ über die Bühne schwappen sah. Woodstock … Wie die Zeit vergeht. Sind die letzten „Arte“-Specials zum „Summer of 69“ schon wieder zehn Jahre her?
Auch heute, 50 Jahre nach dem Festival auf der Weide eines Milchbauern im Staate New York, läuft die Woodstock-Maschine kreisrund. Die Welt ist voll mit verklärenden Rückblicken. Viele Revival-Festivals wurden im Sommer 2019 organsiert, von denen das „Woodstock der Blasmusik“ im österreichischen Örtchen Ort mit tausend Blechblaskapellen noch das charmanteste war.
„Woodstock 50“, der offizielle Aufguss, wurde aber abgesagt, was vielleicht ganz gut ist, denn warum Miley Cyrus und die Imagine Dragons den Geist eines vor 50 Jahren während des Vietnamkriegs veranstalteten Hippie-Festivals wiederauferstehen lassen sollten, erschließt sich nicht unbedingt. Dafür aber wurde eine neue, 38 CDs umfassende Woodstock-Box veröffentlicht, und auch hier fragt man sich, was darauf noch Überraschendes zu hören sein sollte.
Nun, Santana jedenfalls erzählte im Interview neben seinen Lava-Fantasien noch etwas Interessantes. Für ihn und wohl für alle, die dabei waren, sei das ganze Festival eine von Musik begleitete Drogenparty gewesen, um „Vietnam, Nixon und den ganzen Scheiß“ zu verdrängen. Da zweifelt man dann schon an der seit 50 Jahren gepflegten Erinnerungskultur in Sachen Woodstock, wenn es allen Beteiligten doch ums Vergessen ging.
Nun, ich trage mein eigenes Woodstock im Herzen. Vor ein paar Jahren durchstreifte ich die Landstriche Oregons, die so schön weit ab vom amerikanischen Mainstream liegen wie einst die Weide des New Yorker Milchbauern. Per Zufall landete ich in einer Bar, ein paar Bands spielten, ich kannte keine. Man kam ins Gespräch mit Einheimischen, und es ist so: Wer in Amerikas wildem Norden von neuen Freunden eingeladen wird, muss sich entscheiden, ob er dem Geist des Augenblicks vertraut und angebotene Flaschen leert und anderes, ebenfalls von freundlicher Hand gereicht, konsumiert, oder ob er allein im Motel durch das Abendprogramm von vierhundert Fernsehsendern zappt.
Aus nüchterner Rückschau so viel: Old Light, die Band eines örtlichen Tischlers, der sonst Tresen für Cafés schreinert, startete mit einem unerhört ergreifenden Rockopus in einen magischen Abend, „Empty Head“. Indianergesänge, psychedelische Gitarren sowie zwei Schlagzeuger – während ich dieses schreibe, läuft nebenbei ein Filmchen auf dem bekannten Videoportal, eine etwas mildere Live-Variation von „Empty Head“, nur wenige Tage vor jenem Konzert eingefangen. Von dem eigentlichen Abend gibt es keine Aufnahmen. Kein Scorsese hat einen Film darüber gedreht. Nach 50 Jahren wird sich niemand mehr daran erinnern. Das ist Woodstock.
PS: Unnützes Wissen, Teil 8: Das Musikfestival Woodstock fand nicht in Woodstock im US-Bundesstaat New York statt, sondern im 70 Kilometer entfernten White Lake –wegen Anwohnerprotesten. Santana gehörte damals zu den eher unbekannten Künstlern. Er spielte am Samstag, den 16. August 1969 von 14 bis 14.45 Uhr, eine Dreiviertelstunde, für 2500 US-Dollar Gage. Blood, Sweat & Tears wurden mit 15 000 Dollar, Jimi Hendrix mit 18 000 Dollar entlohnt. Joe Cocker erhielt 1375 Dollar.